Zughilfen: Wer sie braucht und wann sie Sinn machen

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Zughilfen (engl. lifting straps): Achtung, bitte hier vehementes Aufschreien einsetzen! Der Freund oder Feind eines jedes Eisenkriegers und ein höchst umstrittenes Thema in der Kraftsportliga. Während viele Lifter eine Daseinsberechtigung für diese kleinen Helferlein in hohen Gewichtsklassen sehen, lehnen Andere den Gebrauch von Zughilfen rigoros ab. “Zughilfen, bei dem Gewicht? Mach dich nicht lächerlich,”lautet eine der gängigen Häme, derer sich diejenigen erwehren müssen, die bei bestimmten Übungen zu diesem Behelfsequipment greifen.

 

Zughilfen - Wer sie braucht und wann sie Sinn machen

Zughilfen sind ein umstrittenes Thema – auch im Bodybuilding

Und ich kenne einige K3K’ler, die an dieser Stelle eher zu Magnesia – ob flüssig oder in Pulverform – oder Kreide raten (flüssig z.B. wenn es in gängigen Gyms als verpönt/verboten gilt, mit Pulver zu hantieren).

Zughilfen – Wer sie braucht und wann sie Sinn machen

Zughilfen – aber wann?

Es gibt viele Gründe, warum ein Gros der trainingserprobten Kraftsportler oder K3K’ler den Gebrauch von Zughilfen ablehnen oder davon abraten. Zum einen sind diese Hilfsmittel in Gewichtheberwettbewerben nicht zulässig – und ein Training mit ihnen folglich nicht praxisrelevant. Zum anderen umgehen Zughilfen einen entscheidenden, limitierenden Faktor des Körpers: die Griffkraft. Gleichwohl muss auch das Unterarmtraining bei der häufigen Benutzung von Zughilfen zurückstecken.

Es ist natürlich richtig, dass man als Kraftsportler, was das Wort auch impliziert, “Kraft” aufbauen möchte. Der altbewährte Spruch “Bodybuilder, die haben nur aufgepumpte Muskeln, aber keine Kraft” stimmt natürlich nicht, da auch Athleten, die eher auf das Aussehen hintrainieren meist ein ansehnliches Kraftpotenzial entfalten können (“form follows function”). Jemand der +150 kg hebt, ist garantiert kein Schwächling. Doch wieso sollte man die Vorteile, die Zughilfen an dieser Stelle eindeutig liefern, nicht für sich nutzen? Wenn der Rücken noch nicht ausgereizt ist, aber die Unterarme und die Griffkraft aufgrund der Vorermüdung bereits streiken, dann macht es Sinn zu Zughilfen zu greifen.

Zughilfen - Wer sie braucht und wann sie Sinn machenFlüssige Kreide oder Magnesia ist eine andere Methode um die Griffkraft zu verbessern.

Der Einsatz ist keine Frage des Gewichtes, sondern des Erschöpfungzustandes. Gleichwohl kann man körperliche Dysbalancen dadurch umgehen, dass man gesondertes Unterarm- und Griffkrafttraining einbaut und auch diese Muskelpartien gezielt trainiert.

Warum sollte man also als klassischer Bodybuilder nicht zu Zughilfen greifen? Damit limitiert man seine Fortschritte. Für Powerlifter könnte dies sicherlich problematisch sein und hier würde sich tatsächlich der Einsatz erst in höheren Gewichtsklassen empfehlen – wenn es aber – in erster Linie – gar nicht auf diesen Kraftfaktor im Endeffekt ankommt, dann ist auch die Argumentationskette brüchig.

Die klassischen Übungen, wo sich Zughilfen bewähren

Freilich sollte man nicht nach getätigtem Kauf gleich bei jeder Übung zu Zughilfen greifen – und erst recht nicht in den ersten Sätzen. Der Einsatz sollte immer sparsam und wohldosiert erfolgen und wirklich erst dann, wenn die Griffkraft so gut wie ausgeschöpft ist. Aber genau hier kommt der maximale Benefit zum tragen. 

Welche Übungen sind also prädestiniert für den Einsatz von Zughilfen? Klassisches Kreuzheben gehört dazu – nur nicht bei Wettkämpfen. Auch beim vorgebeuten Langhantel- und Kurzhantelrudern können die Zughilfen dabei behilflich sein, die Zielmuskulatur besser zu treffen und die Synergistenarbeit auf ein Minimum zu beschränken. Gleiches gilt übrigens für Klimmzüge – es hilft ungemein, wenn man sich nicht länger auf den festen Gripp konzentrieren muss. Grundsätzlich eignen sie sich für jegliche Art von “back work.”

Shrugs, ob mit der Kurz- oder der Langhantel sind eine vorzügliche Übung für dieses Einsatzgebiet, einfach weil die hier bewegten Gewichte für den isolierten Muskeln relativ schnell relativ hoch werden können – und genau hier spielt die Griffkraft häufig nicht mehr mit (vor allem dann nicht, wenn man sich schon vorher an schweren Grundübungen ausgetobt hat). Auch bei Bauchübungen, wie z.B. dem Hangig Leg Raisekönnten Zughilfen durchaus zum Einsatz kommen.

Ein weiterer Aspekt, der aber häufig vergessen oder vernachlässigt wird, ist die Möglichkeit ein schonenderes Training zu absolvieren. Ob es nun Verletzungen sind, um die gezielt herumtrainiert wird oder bei grundlegendem Reha-Training: Zughilfen können die Lasten von bestimmten Körperstellen nehmen (z.B. bei Handverletzungen/Gelenkproblemen) , ohne das man dadurch z.B. die größeren Muskelgruppen nun vernachlässigen muss. Vorsichtig ist aber natürlich auch hier die Mutter der Porzellankiste: better safe than sorry! Und auch bei “maximum effort”-Versuchen wird bei höheren Gewichtsklasse zu Zughilfen gegriffen.

Ihr seht also: die Anwendungsgebiete sind mannigfaltig und der Einsatz von Zughilfen sicherlich berechtigt, allerdings sollte man auch die Downside-Effects in Betracht ziehen, die sich mit dem Einsatz ergeben können.

Der Nachteil von Zughilfen

Wie bereits erläutert, kann das zu häufige Training mit Zughilfen auch zu einigen Nachteilen führen. Der Klassiker: die Griffkraft und die Unterarme werden nur unzureichend trainiert. Ein “workaround” besteht darin, in dem man diesen Muskelpartien einfach ein paar seperate Übungen verpasst, so dass diese trotz Zughilfeneinsatz nachziehen können.

Einerseits können Zughilfen auch eine elegante Lösung darstellen, um um Verletzungen herumzutrainieren, aber andererseits kann der unbedachte Einsatz auch zu einer Verschlimmerung führen. Das sollte man immer im Hinterkopf behalten, wenn man mit einer Handverletzung ans Eisen geht.

Sofern man nun nicht gerade schwer verletzt ist, überwiegen also die Vorteile die Nachteile für den klassischen Bodybuilder.

Zughilfen – Arten & Kriterien

Zughilfen kommen meistens in relativ einfacher Beschaffenheit vor und es gibt dank industrieller Herstellung der gängigen Marken nur geringe Qualitätsunterschiede. Üblicherweise bestehen sie aus Baumwolle, Nylon, Leder oder gar Wildleder. Wirklich: hier kommt es vielfach auf den persönlichen Geschmack an. Wenn man Wert auf die Funktionalität legt, gibt es noch eine weitere Steigerungsform, z.B. Gorilla Grips, aber dafür muss man dann auch schon mal einwenig mehr auf den Tisch legen. Weiterhin sollte man sich vorher darüber Gedanken machen, ob man sich ggf. ein Paar zulegt, was man auch anschließend waschen kann (wer viel und häufig Zughilfen benutzt und wie ein Tier schwitzt, der wird schon wissen warum).

Preislich nehmen sich die Produkte nicht viel, sofern man nun nicht zu irgendwelchen teuren Exoten greift (Leder ist üblicherweise teurer als Baumwolle und Nylon – you don’t say?). Der teurere Preis ist aber nur selten gerechtfertigt.  Üblicherweise halten genähte Versionen am längsten.

Es gibt die “normale Version” mit Schlaufen zum durchziehen, relativ simpel, oder auch eine “crossover Version,” wo die Handschuhe bereits über integrierte Zughilfen verfügen. Eine Zughilfen-Version beinhaltet Eisenhaken, wo man das Gewicht quasi “einhaken” kann. Während dies bei chronischen Handverletzungen sicherlich eine probate Alternative darstellt, bin ich persönlich nicht sehr überzeugt davon. Ich habe mir selbst ein Paar mit Eisenhaken zulegt, die ich mir originär für das HFT-Training mit kurzen Satzpausen gekauft hatte: Gewicht ablegen, kurz Pause und dann ohne großes herumwickeln wieder einhaken & go! Was in der Theorie gut klingt, erweist sich in der Praxis etwas komplizierter – ich hatte stellenweise das Gefühl, dass mir das Gewicht jederzeit “vom Haken” rutschen könnte – und das tat es auch eines Tages dann. Abgesehen von dem tierischen Lärm, den die herunterfallende Hantel beim Kreuzheben gemacht hat, muss ich natürlich nicht erst sagen, dass der Schrecken, dank Lastumkehr, tief saß und die Erfahrung höchst unbefriedgend war. Zugegeben:wenn man eine Verletzung an der Hand hat und moderate Gewichte zum Muskelerhalt bewegen möchte, dann kann sich hier diese Version als brauchbar erweisen.

Dies führt zu einem weiteren Kriterium, was man vorher bedenken sollte: Wie schnell/leicht sind die Zughilfen einsatzbereit? Kann man sie mit einer Hand ohne Probleme um die Hantelstangen wickeln? Oder muss man sich erstmal ‘ne gute Minute hinhocken um alles safe rumzuwickeln? Wer ein Training mit kurzen Satzpausen absolvieren möchte, der sollte darauf achten, dass die Zughilfen schnell und unkompliziert benutzt werden können.

Zusammengefasst kommt es also auf einige Dinge an: Material, Art, Zeitfaktor für Ensatz und natürlich auch der Preis. Wer sich aber alle paar Monate Supplemente für +100 € gönnt, für den dürften Zughilfen eine Art Cent-Artikel sein. Nicht Wenige liegen bei unter 10 €, halten aber dafür mehrere Jahre. Worauf es hier vielmehr ankommt, ist das sichere Gefühl und die Funktionalität der Zughilfen – viel falsch machen kann an da freilich nicht.


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Die Studienlage zu Zughilfen

In der Empirie dürfte es eigentlich keinerlei Zweifel daran geben, dass man mit Zughilfen eindeutig höhere Lasten heben kann, als ohne sie. Die Griffkraft, die bei vielen Kraftsportathleten irgendwann der limitierende Faktor wird, kann mit diesem Equipment erfolgreich erweitert werden und es hat seine Gründe weshalb die Dinger bei Wettbewerben im K3K-Bereich nicht zugelassen sind. Aber wie groß ist der Kraftvorteil wirklich? Marginal? Handelt es sich nur bei wenigen Kilos (wobei auch das schon die Entscheidung für Sieg und Niederlage bedeuten kann)? Oder bewegen sich die Lasten schon im zweistelligen Prozentbereich?

Ich habe mich mal auf die Suche nach Studien gemacht, allerdings ist die Ausbeute alles andere als üppig. Im  Journal der Australian Strength and Conditioning Associaten wurde zumindest 2010 unter dem Titel “The effect of lifting straps on peak velocity, force, and power during clean pull” eine Feldstudie publiziert, in der es um die Kraftzuwächse mit und ohne “Lifting Straps” ging. [1] Allerdings ist die Probandenzahl alles andere als ausreichend: 5 männliche Footballer versuchten sich in 2 Szenarios im 2×2-Schema an einem Clean Pull. Die Langhantel selbst wog inklusive Gewichten 140 kg. Im Abstract heisst es:

“The highest value amongst four trials (two sets of two repetitions) in each condition for each subject was used to compare between the two conditions by effect size. Four out of five subjects showed greater peak velocity (10.1-28.5%), force (2.9-34.4%), and power (6.5-46.5%) with the lifting straps, but one subject did not show a difference between conditions. The effect sizes for the velocity, force, and power were 1.22, 1.52, and 1.31, respectively, showing large effects. It is concluded that using lifting straps is beneficial for athletes who wish to enhance velocity, force and power during clean pull.” [1]

Vier der fünf Teilnehmer konnten Verbesserungen in der Schnelligkeit (velocity), der Kraft (force) und der Leistung (power) verzeichnen. Wahnsinn: die Leistungssteigerung von 46,5 % bei einem (oder meheren?) der Probanden zeigt, wieviel Macht man aus diesen kleinen Stofffetzen herausholen kann. Auch die Schnelligkeit ist mit einem Spitzenwert von 28,5 % im zweistelligen Bereich. Die Kraft liegt im besten Fall ebenfalls ordentlich zu (34,4 %). Es verwundert auch nicht, dass die ausführenden Forscher zu dem Ergebnis kommen, dass Zughilfen einen entscheidenden positiven Vorteil für alle jene entfalten, die sich in Schnelligkeit, Kraft und Leistung verbessern wollen. Dennoch sei an dieser Stelle nochmal auf die geringe Probandenzahl hingewiesen, die eigentlich keine ausreichend große Stichprobe für einen validen Ergebnisoutputdarstellt. Immerhin gab es auch ein fünftes Testsubjekt, das anscheinend von den Zughilfen kaum bis gar nicht profitiert hat (rot markiert im Zitat). Falls ihr noch weitere Studien zur Hand haben solltet, dann werde ich diese gerne evaluieren und hier vorstellen. Ansonsten geht es jetzt mal an was praktisches: den eigentlichen Produkttest.

HIER geht es zum PRODUKTTEST

Quellen & Referenzen

(1)  Hori, N. / Appleby, B. / Andrews, W./ Nosaka, K. (2010). The effect of lifting straps on peak velocity, force, and power during clean pull. In: Journal of Australian Strength and Conditioning , 18(2), 4-9. URL: http://ro.ecu.edu.au/ecuworks/6622/.

Bildquellen

(C) MyProtein.co.uk: Zughilfen & Liquidchalk. URL: http://www.myprotein.co.uk . (abgerufen am 01.06.2012)


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1 Kommentare

  1. Hallo,

    wirklich sehr guter Artikel, der mal aufklärt, wann und ob man überhaupt Zughilfen braucht weil meiner Meinung nach benutzen zu viele und besonders Anfänger zu häufig Zughilfen und tun sich damit nichts gutes.

    Viele Grüße,
    Peter

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