Nichts ist unmöglich – Realisiere dein Potenzial – Teil 1

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Nichts ist unmöglich - Realisiere dein Potenzial - Teil 1

Von Crean Quaner

Ein kurzes Gedankenexperiment: Du bist Wissenschaftler. Bei deinen Studien stößt du auf ein neues Forschungsobjekt. Eigenschaften? Die komplexeste Organisation von Materie im Universum. Als Wissenschaftler erkennst du sofort das Potenzial, das dieses komplexe System hat. Das System von dem hier die Rede ist, ist dein Gehirn.

Eckdaten? 100.000.000.000 Neuronen mit 100.000.000.000.000 Verbindungen ermöglichen 38.000 Billionen Operationen pro Sekunde [5]; Neuroplastizität und -genese bieten massives Veränderungspotenzial.

Als Produkt seines eigenen Gehirns fehlt einem oft die nötige Distanz, um zu erkennen, was dieses System für Möglichkeiten bietet. Daher ist die Alltagskonzeption von dem, was möglich ist, oft sehr begrenzt. Wie wir am Ende sehen werden, ist sogar der Satz „Nichts ist unmöglich“ eine Untertreibung! Warum?

Sogenannte cognitive biases (= kognitive Verzerrungen) sind unbewusste und falsche Wahrnehmungen oder Urteile. Von diesen gibt es zwei besonders bedeutsame, wenn es um die Realisierung menschlichen Potenzials und um Veränderung geht.

Nichts ist unmöglich – Realisiere dein Potenzial

Teil 1: Vom Interfacer zum Good Regulator

Bias 1: Vermenschlichte Systemdynamik

(Bildquelle: FineArtAmerica / Crean Quaner) Das Gehirn ist ein komplexes Gebilde, welches die meisten von uns nicht annährend fassen können. Müssen wir auch nicht wirklich, denn: Wir sind “Interfacer“. (Bildquelle: FineArtAmerica / Crean Quaner)[/caption]

Hast du schon mal gespürt, dass es in deinem Kortex (die Hirnrinde) zu wirbelsturmartigen Ausbrüchen neuronaler Aktivität kommt [4]?

Menschen sind gerade deshalb so effiziente Agenten (Akteure), weil ihr phänomenales Selbstmodell (vereinfacht = dein “Ich”) keinen Zugriff auf die es begründenden Strukturen und Dynamiken hat [10]. Neue Studien zur Evolution der Wahrnehmung zeigen beispielsweise, dass natürliche Selektion fitte gegenüber wahren Wahrnehmungen präferiert [6]. Du siehst nicht was ist, sondern was fit ist/war. Dies nennt man auch Interface-Strategie. So kannst du zum Beispiel dein Smartphone via Touchscreen-Interface bedienen, ohne Kenntnis der zugrundeliegenden Technik haben zu müssen.

Wirklich zu wissen, wie sich beispielsweise Muster im Gehirn-Körper-Umwelt-System bilden, hatte in der evolutionären Vergangenheit keinen biologischen Fitnessvorteil [6], also weißt du es von Hause aus nicht. Wenn du aber Veränderung anstrebst, die weit über Ernährungsfragen und Muskelaufbau hinausgeht, dann ist es ein Problem, wenn du dein Interface mit der tatsächlichen Systemdynamik verwechselt.

Um das zu verstehen, betrachten wir ein grundsätzliches Prinzip der Kybernetik – der Lehre der Steuerung komplexer Systeme – das sogenannte “good regulator theorem” [3]. Dieses besagt, dass jeder gute Regulator eines Systems ein Modell dieses Systems sein muss.

Beispiel: Gewohnheiten. Wir sprechen von Gewohnheiten und nicht von “Gewohnheitstopologie” oder “Gewohnheitsraum” [2]. Das hat im Alltagssprachgebrauch auch seinen pragmatisch-operativen Sinn. Sobald man aber Gewohnheiten fundamental verändern will, scheitert man oder erreicht lediglich suboptimale Ergebnisse, denn du als Regulator hast nur ein unzureichendes Modell des Systems, das du steuern/verändern möchtest. Du bist also kein „guter Regulator“.

Aus der Dynamik nicht-linearer Systeme folgt, dass man Gewohnheiten haben kann, die man noch nie ausgeführt hat [2]. Auf diese Idee würde man von selbst wahrscheinlich nie kommen. „Gewohnheiten? Die haben doch mit wiederholter Ausführung zu tun!“ sagt das Interface. Und so versucht man dann neue Gewohnheiten einzeln und durch Wiederholung zu übernehmen, ohne auf die Idee zu kommen, den Gewohnheitsraum als solchen zu verändern (was ein „guter Regulator“ vor allem bei komplexen Gewohnheiten machen würde).

(Bildquelle: Wikimedia.org / DDSniper ; CC Lizenz) What you see is what you get: Um in der Welt überleben zu können oder um Veränderungen in uns und der Umwelt hervorzurufen, müssen wir kein tiefergehendes (explizites) Wissen besitzen. Ein höheres Verständnis kann uns allerdings dabei behilflich sein optimalere, schnellere und langanhaltendere Modifikationen auf leichterem Wege durchzuführen. (Bildquelle: Wikimedia.org / DDSniper ; CC Lizenz)[/caption]

Bias 2: Unterschätztes Transformationspotenzial

(BIldquelle: Flickr.com / SWwelch1031 ; CC Lizenz) Wissen ist Macht: Der sichtbare Möglichkeitsraum ist also fast immer kleiner als der Tatsächliche. (Bildquelle: Flickr.com / Sdwelch1031 ; CC Lizenz)[/caption]

Da mit dem Interface oft schwache Veränderungsergebnisse erzielt werden und das Interface meist transparent ist (also nicht als Ursache der schwachen Veränderungsergebnisse in Betracht kommt) – schließen wir aus den schwachen Veränderungsergebnissen fälschlicherweise auf das grundsätzliche Veränderungspotenzial des Systems – das dann als entsprechend gering erscheint.

So reduziert man dann die Carbs ein wenig, statt – wie Wim Hof – mal eben sein Immunsystem zu kontrollieren [7][8] oder willentlich Gamma-Hirn-Wellen zu produzieren [9].

Gedankenexperiment: Fortsetzung

Setzen wir das Gedankenexperiment fort: Stell dir vor, du als Wissenschaftler hast das menschliche Gehirn in einem isolierten Labor untersucht und noch nie einen Menschen gesehen. Aufgrund der unvorstellbaren Möglichkeiten des Systems, das du dein Leben lang untersucht hast, stellst du dir Menschen als Wesen vor, die ihr Veränderungspotenzial voll ausschöpfen.

Dann läufst du zum ersten Mal durch eine Fußgängerzone…
…und denkst dir: dagegen muss man doch was tun können.

Kann man auch. Sogar mehr, als du denkst.

The Knowledge of Wisdom Paradox

Der Neurophilosoph Scott Baker hat das “Knowledge of Wisdom Paradox” formuliert:

The more explicit knowledge we accumulate, the more we can environmentally intervene. The more we environmentally intervene, the more we change the taken-for-granted backgrounds. The more we change taken-for-granted backgrounds, the less reliable our implicit knowledge becomes. – [1]

18-Du-wirst-nur-durch-die-Mauern-begrenztAlso: Explizites Wissen über die reale Systemdynamik („guter Regulator“) führt zu mehr Interventionspotenzial, das wiederum zu mehr Veränderungspotenzial führt, das wiederum das implizite Wissen (Interface) unzuverlässiger macht. Bis hierhin alles der „gute Regulator“ (besseres Systemmodell = besser steuerbar). Entscheidend ist, was sich ändern lässt, nämlich die „taken-for-granted backgrounds“, die normalerweise (ohne entsprechendes explizites Wissen) gar nicht sichtbar sind, geschweige denn als potenzielles Veränderungsobjekt erscheinen (erinnere dich an den Gewohnheitsraum).

Bedeutet: Du kannst Strukturen und Dynamiken ändern, von denen du so noch nicht einmal weißt, dass sie dein Verhalten, Denken und Erleben bestimmen!

Wenn du also hörst „Nichts ist unmöglich“, denke in Zukunft daran, dass wahrscheinlich auch hier der implizite Möglichkeitsraum, in dem „Nichts ist unmöglich“, selbst ein „taken-for-granted“ Möglichkeitsraum ist. „Nichts ist unmöglich“ gilt hier also nur für die – aufgrund von explizitem Wissen – sichtbaren Möglichkeiten. Der sichtbare Möglichkeitsraum ist also fast immer kleiner als der Tatsächliche.

Also: „Weniger als nichts ist unmöglich“, oder um es positiv und weniger paradox zu formulieren: Es ist mehr möglich, als du denkst.

Zusammenfassung

Wer sein Potenzial wirklich realisieren möchte, muss vom „Interfacer“ zum „guten Regulator“ werden (Überwindung Bias 1). Dadurch wird das ganze Veränderungsspektrum erst sichtbar (Überwindung Bias 2) und dazu muss implizites Wissen durch explizites (aber nicht allumfassendes) Wissen über die reale Systemdynamik ersetzt werden. Welches explizite Wissen?

Dazu mehr in meinen kommenden Artikeln…

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Bildquelle Titelbild: FineArtAmerica / Crean Quaner

Über den Autor – Crean Quaner

Crean QuanerCrean Quaner ist Psychologe und umfassend Trainingsbegeisterter (funktionelles Krafttraining, Calisthenics, Kampfsport).

Mit seinem Projekt wendet er neuste kognitions- und neurowissenschaftliche Erkenntnisse an, um menschliche Entwicklung zu ermöglichen, die dem menschlichen Entwicklungspotenzial wirklich gerecht wird.

So hat er beispielsweise die Erkenntnisse zu Embodied Cognition in ein vereinheitlichtes Framework von embodied nutritional and exercise psychology übersetzt. Dieses Framework gibt kognitionswissenschaftlich fundierte Antworten auf die Frage, wie man sich ernährt und trainiert, wenn man seine Kogniton (Denken, Wahrnehmen und Handeln) – und nicht nur seinen Körper – maximal trainieren möchte.

[toggles title=”Quellenangaben (draufklicken)”]

[1] Baker, RS. (2015): The Knowledge of Wisdom Paradox. In: rsbakker. URL: http://rsbakker.wordpress.com/2015/09/02/the-knowledge-of-wisdom-paradox/.

[2] Barrett, NF. (2014): A dynamic systems view of habits. In: Frontiers in Human Neuroscience. URL: http://journal.frontiersin.org/article/10.3389/fnhum.2014.00682/full.

[3] Conant, RC. / Ashby, RW. (1970): Every good regulator of a system must be a model of that system. In: International Journal of Systems Science. URL: http://pcp.vub.ac.be/Books/Conant_Ashby.pdf & http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/summary?doi=10.1.1.161.3702

[4] Freeman, WJ. / Kozma, R. (2010): Freeman’s mass action. In: Scholarpedia, 5 (1), 8040. URL: http://www.scholarpedia.org/article/Freeman’s_mass_action.

[5] Greenemeier, L. (2009): Computers have a lot to learn from the human brain, engineers say. In: Scientificamerican.com. URL: http://blogs.scientificamerican.com/news-blog/computers-have-a-lot-to-learn-from-2009-03-10/.

[6] Hoffman, DD. / Prakash, C. (2014): Objects of consciousness. In: Frontiers in Psychology. URL: http://journal.frontiersin.org/article/10.3389/fpsyg.2014.00577/full.

[7] Kox, M. / Stoffels, M., et al. (2012): The Influence of Concentration/Meditation on Autonomic Nervous System Activity and the Innate Immune Response: A Case Study. In: Psychosomatic Medicine. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22685240.

[8] Kox, M. / van Eijk, LT., et al. (2014): Voluntary activation of the sympathetic nervous system and attenuation of the innate immune response in humans. In: PNAS. URL: http://www.pnas.org/content/111/20/7379.

[9] Lutz, A. / Greischar, LL., et al. (2004): Long-term meditators self-induce high-amplitude gamma synchrony during mental practice. In: PNAS. URL: http://www.pnas.org/content/101/46/16369.full.

[10] Metzinger, T. (2003): Being No One. The Self-Model Theory of Subjectivity. In: Cambridge, MA.: MIT Press. Bei Amazon unter: http://goo.gl/8i3fvb. [/toggles]

Suchbegriffe für diesen Artikel: Crean Quaner, Embodied Cognition, Knowledge of Wisdom, Paradox, Transformationspotenzial, Interface Strategie, Interface-Strategie, good regulator theorem, Prinzip der Kybernetik, Gewohnheit, Gewohnheiten, Scott Baker, taken-for-granted backgrounds

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6 Kommentare

  1. Sehr faszinierend was hier Creaner wagt zu vermitteln. Trotz der kürze des Artikels wird hier sehr viel Tatsache formuliert. Sehr lobenswert, dass die Qualität der Kernaussagen die andauernden Fragen übersteigt, die sich über Motivation und Plateaus handeln. Ein neuer Horizont. Ich bin sehr gespannt auf Part II!

  2. Hallo Damian, mich persönlich regt dieser Artikel radikal an. Auch aus dem Grund, dass er ‘Treppenstufen’ weit höher liegt. Da steckt viel Qualität dahinter, deshalb ist sehr gut das der Autor diese Verbindung eingeht, über die Frage der Technik im Smartphone und die Sicht des Neurowissenschaftlers in der Fußgängerzone. Unterm Strich werden hier praktisch zwei (oder mehr?) extrem Große Bereiche verknüpft. Great Job!

  3. Grandiose Perspektive!

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