Der perfekte Trainingsplan: Wieso es ihn nicht geben kann

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Der perfekte Trainingsplan: Wieso es ihn nicht geben kann

Von Jonas Meissner | Benötigte Lesezeit: 6 Minuten |


Training wird im Sprachgebrauch der Bevölkerung in allen möglichen Lebensbereichen verwendet. Im Endeffekt geht es immer um die Verbesserung von irgendwelchen Fähigkeiten oder Fertigkeiten. Die Verbesserungen können auf physischer, psychischer, kognitiver, affektiver oder motorischer Ebene eintreten.

Sportliches Training ist ein systematischer, sachorientierter und planmäßiger Prozess (1). Das nicht weiter steigerbare Adjektiv „planmäßig“ deutet schon an, dass im sportlichen Training oft ein Trainingsplan verwendet wird.

Der Trainingsplan ist neben der Leistungsdiagnostik und Leistungskontrolle eine wichtige Komponente der komplexen Trainingssteuerung. Nicht nur Spitzensportler und Sportlerinnen planen ihr Training bis ins Detail, sondern auch Breitensportler greifen immer öfters zu einem Trainingsplan. Im folgenden Artikel werde ich das Vorgehen der Trainingssteuerung erläutern und anschließend die Lüge des perfekten Trainingsplans aufdecken.

Der perfekte Trainingsplan: Wieso es ihn nicht geben kann

Die Trainingssteuerung: Theoretische Überlegungen und eiserne Prinzipien

Um ein Training planen zu können, muss zunächst die aktuelle Leistung ermittelt werden. Dies geschieht z.B. über motorische Tests (z.B. Bankdrücken), anthropometrische Messungen (z.B. Körpergewicht) oder andere leistungsdiagnostische Verfahren (z.B. isokinetische Kraftmessungen). Anhand dieser Daten kann der aktuelle IST-Zustand ermittelt werden. Die anschließende Zielsetzung bestimmt den SOLL-Zustand.

Der perfekte Trainingsplan: Wieso es ihn nicht geben kann

No battle plan survives contact with the enemy: Du kannst deine Figuren sorgfältig in Position bringen, aber wie sich das Spiel entwickelt, kannst du nicht zu 100 % vorhersagen. So ist es auch beim Muskelaufbau und Bodybuilding. (Bildquelle: Pixabay.com / mamdg ; CC Lizenz)

Hierzu zwei Beispiele: Wenn eine Frau 150kg wiegt (IST-Zustand) und 70kg wiegen möchte (SOLL-Zustand) liegt die Differenz bei 80kg. Ein weiteres Beispiel zur Kraftsteigerung wäre ein Mann, der 100kg auf der Bank drücken möchte (SOLL-Zustand), zurzeit aber nur 60kg schafft (IST-Zustand).

Wichtig ist natürlich, dass die Zielsetzung realistisch ist. Hierfür ist eine optimale Trainingsplanung notwendig. Beide Beispiele sind z.B. nicht in 4 Wochen erreichbar. Wenn die Differenz zwischen IST- und SOLL-Zustand zu groß ist, sollten Teilziel gesetzt werden. Die Trainingsplanung beinhaltet demnach die Veränderung des momentanen IST-Wertes hin zum perspektivistischen Sollzustand (2).

Der Trainingsplanung liegen die theoretischen Anpassungsgesetzmäßigkeiten und allgemeine Trainingsprinzipien zugrunde: In der Ausgangssituation befindet sich die Körperfunktionen und das innere Milieu im Gleichgewicht. Dieser Zustand wird als Homoöstase bezeichnet. Eine überschwellige Reizsetzung folgt zu einem trainingsinduzierten Ungleichgewicht. Dies wird als Heterostase bezeichnet. Die Antwortreaktion des Körpers ist die Adaptation – der Wiederaufbau und Mehraufbau. Anschließend befindet sich unser Körper wieder in der Homöostase, allerdings auf einem höheren Niveau.

Die Trainingsprinzipien bauen auf der Grundlage der Homöostase auf. Sie sind elementare Grundsätze und Regeln zur Planung und Durchführung sportlichen Trainings. Die Art und Anzahl der Trainingsprinzipien ist allerdings – je nach Literatur – sehr unterschiedlich. Oft werden sie in Kategorien wie Auslösung, Sicherung, und spezifische Steuerung eingeteilt (1). Ich möchte an dieser Stelle nicht alle Trainingsprinzipien aufzählen, sondern die Wichtigsten herauspicken.

  1. Das Prinzip des wirksamen Belastungsreizes
  2. Das Prinzip der progressiven Belastungssteigerung
  3. Das Prinzip der optimalen Relation von Belastung und Erholung

Prinzip des wirksamen Belastungsreizes

Beim Prinzip des wirksamen Belastungsreizes wird aufgrund des aktuellen IST-Zustands der Homoöstase ein wirksamer Belastungsreiz geplant.

Gering Trainierte brauchen dabei nur niedrige und unspezifische Reize, um Anpassungserscheinungen hervorzurufen. Hochleistungssportler benötigen hingegen hohe und spezifische Reize um Adaptionen herbeizuführen.

Der perfekte Trainingsplan: Wieso es ihn nicht geben kann

Erfolgreicher Muskelaufbau ist garantiert, wenn du die wichtigsten Trainingsprinzipien im Hinterkopf behältst.(Bildquelle: Pixabay.com / skeeze ; CC Lizenz)

Prinzip der progressiven Belastungssteigerung

Beim Prinzip der progressiven Belastungssteigerung wird davon ausgegangen, dass die ermittelten Belastungsreize nach ein paar Trainingstagen nicht mehr dem neuen Niveau der Homoöstase entsprechen und daher nicht mehr wirksam sind. Die Belastungsreize müssen also progressiv gesteigert werden. Meist wird zunächst die Reizdauer und –häufigkeit erhöht, bevor die Reizintensität gesteigert werden kann.

Prinzip der optimalen Relation von Belastung und Erholung

Das dritte Prinzip optimale Relation von Belastung und Erholung zielt auf eine immer wiederkehrende Homoöstasestörung ab. Durch eine Heterostase werden zunächst abbauende (katabole) Prozesse hervorgerufen. Erst nach dem Training kann die Regeneration und somit der Aufbau einsetzen. Ein Teil der Regeneration ist die Wiederauffüllung von Speichern, was als Superkompensation bezeichnet wird, wobei das Prinzip der Superkompensation nicht auf alle Adaptationsprozesse übertragen werden kann.

Mit Hilfe dieser theoretischen Grundlagen wird ein theoretisches Training mittels eines Trainingsplans erstellt, dass den perfekten Weg von IST- zum SOLL-Zustand darstellen soll. Insgesamt ist dieses Vorgehen logisch und auf dem ersten Blick ist dem auch nichts entgegenzusetzen. Nun kommen wir aber zur Lüge des perfekten Trainingsplans.

Der perfekter Trainingsplan: Reine Utopie!

Ein perfekter Trainingsplan legt eine hundertprozentige Prognostik zugrunde. Die Behauptung wäre also in die Zukunft sehen zu können (und sogar über die Zukunft verfügen zu können). Das dies unmöglich ist, sollte jedem Laien bewusst sein. Die Planung eines Trainings ist daher eher eine Wahrscheinlichkeitsrechnung, die auf Erfahrung, Mittelwerten und Normwerten beruht.

Wenn jetzt auf einem Blatt Papier steht, dass 3 Sätze á 12 Wiederholungen mit 100kg absolviert werden müssen und nach vier Wochen 4 Sätze á 12 Wiederholungen mit 110kg, dann heißt es noch lange nicht, dass dies wirklich der beste Weg ist. Ein Satz mehr oder weniger könnte besser oder schlechter sein. Der Trainer nimmt nur an, dass der geplante Weg funktioniert. Ob es der effektivste und/oder effizienteste Weg ist, kann nicht bewiesen werden.

Anpassungen sind individuell sehr unterschiedlich: Einerseits ist die Stärke der Anpassung unterschiedlich und andererseits die Geschwindigkeit. Auch wenn jemand für sich den angeblich perfekten Trainingsplan gefunden hat – da er z.B. seine Muskelmasse während des Plans enorm gesteigert hat – könnte bei jemand anderem der gleiche Trainingsplan zu minimalen oder keinen Effekten führen.

Selbst bei der gleichen Person kann der gleiche Plan 1-2 Jahre später schon nicht mehr wirken, auch wenn das Prinzip der variierenden Belastung eingehalten wurde. Zusätzlich ist das psychische Befinden nicht jeden Tag gleich. Wenn nun ein Trainingsplan vorgibt lediglich 100kg zu heben, der Athlet jedoch merkt, dass gerade heute noch mehr gehen würden, wäre es eine Schande, diesem Gefühl nicht zu vertrauen.

Der perfekte Trainingsplan: Wieso es ihn nicht geben kann

Progression, d.h. stetige Steigerung der Gewichte, sieht nur auf dem Papier so einfach aus. Tatsächlich ist es so, dass sich die Gewichte im späteren Verlauf der Trainingskarriere nur noch unwillig steigern lassen. Zum Glück gibt es noch andere Stellschrauben!  (Bildquelle: Flickr / Jason Lengstorf ; CC Lizenz)

Ab dem fortgeschrittenen Status kann das eigene Körpergefühl oft besser sein, als eine theoretische Vorgabe. Einen trainingswirksamen Reiz zu planen ist eigentlich nicht schwer, allerdings ist es sehr unwahrscheinlich, dass ein fortgeschrittener Kraftsportler ein derart schlechtes Körpergefühl hat und nicht weiß, wann er intensiv genug trainiert.

Die progressive Belastungssteigerung zu planen ist hingegen viel schwieriger. An dieser Stelle können viele unerwartete Störfaktoren auftreten. Ob nun eine Woche früher oder später eine trainingsinduzierte Kraftsteigerung erfolgt, kann kaum prognostisch ermittelt werden. Hier ist das eigene Körpergefühl sogar meist der beste Indikator. Auch die Relation von Belastung und Erholung ist schwer vorherzusehen. Einige empfehlen dreimal die Woche zu trainieren, während andere tägliches Training bevorzugen. Auch hier beeinflussen viele Faktoren die optimale Relation – der optimale nächste Belastungszeitpunkt kann lediglich abgeschätzt werden. An dieser Stelle soll ein Beispiel zur Messgenauigkeit meine Überlegungen verdeutlichen:

Eine Waage zeigt eine Masse von 87,5kg an. Wissenschaftlich gesehen gelten jedoch immer nur die ersten zwei Zahlen als genau bekannt. Die letzte Zahl ist immer mit einer Unsicherheit behaftet. Es darf immer nur eine unsichere Zahl angegeben werden. Würde nun der Wert 87,50kg angegeben, wird eine höhere Genauigkeit suggeriert, die in der Realität nicht zutrifft. Bei Berechnungen muss darauf geachtet werden, dass das Ergebnis nie genauer ist, als der ungenauste Zahlenwert, der in eine Berechnung mit einfließt: 133,41kg + 12,341kg = 145,75kg.

Genaue diese Ungenauigkeiten sind auch in der Belastungsteuerung des Trainings vorhanden. Der Muskel sieht nicht, wie viel Gewicht er gerade überwinden muss. Wir können nicht sagen, ob eine Übung mehr oder weniger besser ist. Wir wissen nicht, ob drei Sätze oder doch lieber vier Sätze absolviert werden sollten. Diese Feinheiten übersteigen die Genauigkeit der theoretischen Grundlage. Wie in der oben beschriebenen mathematischen Rechnung ist auch ein Trainingsplan mit einer Unsicherheit behaftet.

Praktische Tipps & Abschließende Worte

Nimm dir die Trainingsprinzipien ruhig zu Herzen, setz dir Ziele und überlege, wie du diese erreichen kannst – aber plane nicht bis ins Detail. Vertraue stattdessen deinem eigenen Körpergefühl.

Der perfekte Trainingsplan: Wieso es ihn nicht geben kann

Planung ist gut und erforderlich, um die Übersicht zu behalten, doch manchmal solltest du auch nach dem Bauchgefühl entscheiden. Je fortgeschrittener du bist, desto wichtiger wird die Intuition und das eigene Körpergefühl. (Bildquelle: LocalFitness.com.au ; CC Lizenz)

Wenn es die Steigerung „planmäßig, planmäßiger und am planmäßigsten“ geben würde, dann beruht meine Empfehlung auf de, ersten Fall: Betreibe dein Training planmäßig, aber nicht am planmäßigsten.

Auch kann ich nur empfehlen – solange es der Geldbeutel hergibt – auf Experten zurückzugreifen. Nur weil es nicht den perfekten Trainingsplan gibt, bedeutet es nicht, dass du dir keine Expertenmeinung einholen kannst und sollst. Im Spitzensport diskutieren Athleten meist gemeinsam mit ihrem Trainer über das weitere Vorgehen und gerade da spielt das Körpergefühl eine wichtige Rolle. Expertenwissen ist vom Anfängerbereich bis zum Spitzensport sinnvoll und notwendig, lediglich die Traineraufgaben verändern sich.

Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer trifft sie der Zufall (Friedrich Dürrenmatt, schweizerischer Schriftsteller, * 05.01.1921, † 14.12.1990).

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Quellen & Referenzen

(1) Steinhöfer, D. (2008). Athletiktraining im Sportspiel. Theorie und Praxis zu Kondition, Koordination und Trainingssteuerung. Münster: Philippka. Erhältlich auf Amazon.de unter: https://amzn.to/2QQSNCf.

(2) Zatsiorsky, V. / Kraemer, W. (2016): Krafttraining: Praxis und Wissenschaft. Meyer & Meyer Verlag. Erhältlich auf Amazon.de unter: https://amzn.to/2O5eujq.


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Bildquelle Titelbild: Fotolia / oneinchpunch


Über

Schon als Kind war ich sportbegeistert, meine Wochenende waren mit Leichtathletikmeisterschaften, Fußball- und Basketballspielen gefüllt. Mit 16 Jahren habe ich den Spaß am Kraftsport entdeckt und war im Bereich Bodybuilding relativ erfolgreich. Mit dem Beginn des Studiums der Sport- und Ernährungswissenschaft habe ich mich vermehrt auf meine Trainertätigkeiten konzentriert, die Fitnesstrainer B-Lizenz, Leichtathletik B-Lizenz Gewichtheber C-Lizenz und verschiedene Übungsleiterscheine erworben.

Anschließend habe ich Talentaufbaugruppen trainiert, Kraft- und Leichtathletiktutorien geleitet und das Athletiktraining bei Nachwuchsbundesligaspielern im Handball und Basketball eingeführt bzw. geleitet.

Zurzeit bin ich Akademischer Mitarbeiter und Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten. Um meine Gedanken und Ideen im Bereich des Krafttrainings einer breiten Masse zu Verfügung zu stellen, schreibe ich regelmäßig online-Artikel für verschiedene Magazine. MT2-Projekts (FoSS)

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