Circadian Rhythm Protein Timing (CRPT): Proteinzufuhr im Kontext der zirkadianen Biorhythmik

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Circadian Rhythm Protein Timing (CRPT): Proteinzufuhr im Kontext der zirkadianen Biorhythmik

Von Menno Henselmans | Benötigte Lesezeit: 7 Minuten |


Als ich vor 7 Jahren mit Bodybuilding anfing, aß jeder ein großes Frühstück und 6 Mahlzeiten am Tag. Es war auch allgemein anerkannt, dass Kohlenhydrate nur zu Beginn des Tages zugeführt und später am Tag eher „langsamere“ Energiequellen konsumiert werden sollten. Vor dem Schlafen gehen gehörte es zum guten Ton, dass man Kasein mit etwas Fett zuführte, um dem Katabolismus in der Nacht vorzubeugen. Ich kann die Anzahl der Male, die ich früher morgens Haferbrei mit Whey und vor dem Schlafengehen körnigen Frischkäse mit Hanfsamen gegessen habe, gar nicht mehr aufzählen.

Heute ist alles anders. So ziemlich all diese aufgelisteten Formen des Nährstofftimings wurden der Ineffektivität überführt. Man kann ohne Probleme das Frühstück auslassen, ohne dass man wegen eines erhöhten Kortisolspiegels seine Muskeln opfern muss; die Mahlzeitenfrequenz und -anzahl pro Tag ist irrelevant; Kohlenhydrate und Fette können zu jeder Tageszeit konsumiert werden; und man kann eine sehr lange Zeit nichts essen, ohne sich Sorgen um seine Muskeln machen zu müssen.

Diese Veränderungen haben bei vielen Menschen eine große Skepsis gegenüber dem gesamten Prinzip des Nährstofftimings hervorgerufen. Vor allem bei Nihilisten des IIFYM (If It Fits Your Macros)-Ansatzes ist diese Skepsis weit verbreitet. In der grundlegendsten (!) Form bedeutet IIFYM, dass die Makronährstoffverteilung alles ist, worauf es ankommt. Die Mengen an Kohlenhydraten, Fetten und Eiweißen und die resultierende Kalorienanzahl seien das einzige, das es wert sei, beachtet zu werden. Wann diese Nährstoffe konsumiert werden, sei total egal: Es ist einfach nicht Teil des Systems. Und auch wenn dieses Prinzip stark vereinfacht ist, ist es trotzdem noch um einiges wissenschaftlicher als die Broscience-Einstellung von wegen „lass uns alles probieren, was cool klingt, selbst wenn es einfach nur irgendeine Theorie ohne jeglichen empirischen Hintergrund ist“.

In der Abwesenheit von Belegen gibt es keinen Grund, einer Aussage Glauben zu schenken. Es scheint jedoch tatsächlich Evidenz dafür zu geben, dass in dem IIFYM-Ansatz etwas fehlt. Dieses Etwas nennt sich „Circadian Rhythm Protein Timing“ (CRPT).

Lass uns die Daten dazu einmal anschauen.

Circadian Rhythm Protein Timing (CRPT): Proteinzufuhr im Kontext der zirkadianen Biorhythmik

CRPT ist eine Form des Nährstoff- genauer gesagt Proteintimings, welches an den zirkadianen Rhythmus – die „biologische Uhr“ des Körpers – angepasst wird. Genau wie im Falle der (widerlegten) Theorie des „anabolen Fensters“ (1) werden Kohlenhydrate und Eiweiß in Abhängigkeit von den Trainingseinheiten verteilt. Einfach ausgedrückt bezieht der CRPT mit ein, dass verschiedene Menschen zu verschiedenen Zeiten schlafen und gibt mithilfe dieser Information Aussagen darüber, wie man seine Eiweißzufuhr am besten über den Tag verteilt.

Lass uns einen Blick in die Forschung über CRPT werfen. Die folgenden Studien kontrollierten die tägliche Eiweiß- und Kalorienzufuhr sehr streng.

Burk et al. (2009) veröffentlichten eine Langzeitstudie mit Crossover-Design, in der sie zwei Gruppen männlicher Teilnehmer verglichen, die beide ein ernsthaftes Krafttraining absolvierten und dabei insgesamt mehr als ausreichend Eiweiß zu sich nahmen. Der einzige Unterschied zwischen den Gruppen war das Timing eines aus 70 Gramm Eiweiß bestehenden Supplements.

Die eine Gruppe erhielt es mittags (8 Stunden nach dem Aufwachen), die andere Gruppe 90 Minuten vor dem Schlafengehen. Letztere Gruppe baute durchschnittlich signifikant mehr Muskelasse auf als Erstere (2). Das Eiweißtiming machte hierbei sogar den Unterschied zwischen Muskelerhalt- und Aufbau aus.

CRPT bringt nicht nur einen zusätzlichen Nutzen; es kann nicht einmal pauschal gesagt werden, dass das Timing der Nährstoffe grundlegend weniger wichtig ist, als die Gesamtenergiezufuhr oder dass Letztere in der Hierarchie dem Timing immer übergeordnet ist. So einfach ist es nicht. Selbst wenn man hart trainiert und die richtigen Dinge isst, kann man sich den Muskelaufbau versauen, indem man die falschen Nährstoffe zur falschen Zeit isst. Und es wird noch besser: CRPT funktioniert auch in Sachen Fettabbau.

Keim et al (1997) veröffentlichten ebenfalls eine Langzeitstudie mit Crossover-Design, um zwei Gruppen, die beide einer klinisch kontrollierten hypokalorischen Ernährung unterzogen waren, zu vergleichen. Der einzige Unterschied zwischen den Gruppen war der Zeitpunkt, zu dem der Großteil der Kalorien aufgenommen wurde. Die eine Gruppe konsumierte 70% ihrer Gesamtkalorien vormittags, die andere Gruppe nachmittags. Beide Gruppen standen vor 08:00 Uhr morgens auf. Die Gruppe, die ihre Nahrung hauptsächlich nachmittags zuführte, konnte mehr Muskelmasse erhalten und den Körperfettanteil mehr als die andere Gruppe reduzieren (3).

Diese beiden gut kontrollierten Studien tendieren zur Empfehlung, den Großteil der Eiweißzufuhr später am Tag zu konsumieren. Sie konnten jedoch nicht belegen, dass die Vorteile tatsächlich durch das Eiweiß- und nicht einfach durch das Kalorientiming entstanden.

Deshalb verglichen Jordan et al. (2010) zwei Gruppen, die eine kohlenhydrat- bzw. eiweißhaltige Mahlzeit zum Frühstück bzw. nachmittags (etwa 10 Stunden nach dem Aufstehen) konsumierten. Messungen der Stickstoffbilanz wurden vorgenommen, welche ein Marker für die Proteinbilanz und somit den Aufbau von Muskelmasse ist. Die eine Gruppe bekam die Kohlenhydrate zum Frühstück und das Eiweiß später am Tag, die andere Gruppe bekam das Eiweiß zum Frühstück und die Kohlenhydrate erst später am Tag. In der Gruppe, welche das Eiweiß später am Tag bekam, wurde durchschnittlich eine signifikant positivere Stickstoffbilanz gemessen als in der anderen Gruppe (4).

Da hier zwischen Eiweiß und Kohlenhydraten differenziert wurde, kann nicht das Kalorientiming, sondern nur das Eiweißtiming den Unterscheid ausgemacht haben. Interessant ist besonders, dass die „eiweißhaltige“ Mahlzeit nur 15 Gramm Eiweiß enthielt (bei einer insgesamt mehr als ausreichenden Eiweißzufuhr) und trotzdem ein signifikanter Effekt gefunden wurde.

Der zirkadiane Rhythmus in CRPT: Warum funktioniert CRPT?

Circadian Rhythm Protein Timing (CRPT): Proteinzufuhr im Kontext der zirkadianen Biorhythmik

Rhythmische Wachstumshormonausschüttung nach Uhrzeit. (Bildquelle: Ken et al, 2005)

Eine Erklärung wäre, dass das Eiweiß in diesen Studien schlichtweg besser über den Tag verteilt wurde. Dieser Theorie nach würde jedoch auch einfach eine höhere Mahlzeitenfrequenz in einer positiveren Eiweißbilanz resultieren, was, wie wir alle wissen, nicht der Fall ist. Stattdessen glaube ich, dass der Mechanismus von CRPT ähnlich funktioniert wie eine Art des anabolen Fensters.

Die Theorie des stereotypen anabolen Fensters ist jedoch von wenig Relevanz, da a) dieser hypothetische Zeitraum ungefähr 48 Stunden lang anhält (1) und b) zwischen den Trainingseinheiten normalerweise mehrere Mahlzeiten liegen, die unabhängig von der genauen Einnahmezeit für eine konstante Aminosäurezufuhr sorgen.

Die zentrale Message ist jedoch die: Das anabole Fenster ist ein Zeitraum, in dem der Körper besonders sensitiv auf Nährstoffe reagiert. Manche sagen nun, die gesamte Magie geschieht innerhalb des anabolen Fensters infolge des Trainings, aber ich glaube, es gibt noch eine andere solche Phase, in der die echte Magie (Verstehst du? Echte Magie) passiert. Diese Phase wird Schlaf genannt.

Die Mengen, in denen Hormone wie Testosteron oder das Wachstumshormon im Körper vorkommen, variieren tageszeitabhängig. Man sollte zwar immer aufpassen, wieviel man in vorübergehende Änderungen der Hormonkonzentrationen hereininterpretiert, da solche Argumentationsketten oftmals nicht wissenschaftlich und die Basis für diverse Broscience darstellen; aber im Falle des zirkadianen Rhythmus‘ sind die Fluktuationen tatsächlich ziemlich gravierend. Sie geschehen tagein und tagaus, sind sehr stabil und weichen stark vom Mittelwert ab.

Schaut man sich die linke Grafik an, sieht man, wie das Wachstumshormon in Menschen, die zwischen 00:00 und 08:00 Uhr schlafen, an einem Tag fluktuiert (Ken et al., 2005 [8]).

Es scheint mir demnach, dass eine vernünftige Versorgung mit Aminosäuren zwischen 21:00 und 09:00 Uhr besonders wichtig ist, um die Effekte des Wachstumshormons auszureizen. Das gleiche gilt für Testosteron, dessen Tagesfluktuationen in der Grafik unten dargestellt sind (Raff & Sluss, 2008 (5)).

Circadian Rhythm Protein Timing (CRPT): Proteinzufuhr im Kontext der zirkadianen Biorhythmik

Zirkadiane Biorhythmik der Testosteronausschüttung in älteren (OLDER) und jüngeren (YOUNGER) Individuen. (Bildquelle: Raff & Sluss, 2008)

Schlaf ist eine Art Wiederherstellungsphase für den Körper. Es hat für mich noch nie Sinn gemacht, dass die Hälfte der von der Fitnessindustrie ausgehenden Theorien sich zwar um die anabolen Hormone drehen, der Schlaf dabei jedoch zumeist völlig außer Acht gelassen wird. Der Ratschlag, vor dem Schlafen nichts zu essen, ist dumm. Eine aktuelle Studie zeigte:

Direkt vor dem Schlafen eingenommenes Eiweiß wird effektiv verdaut und absorbiert, was während der nächtlichen Erholungszeit die Muskelproteinbiosynthese stimuliert und die Proteinbalance im gesamten Körper erhöht.“ – (6)

Fazit

Circadian Rhythm Protein Timing (CRPT): Proteinzufuhr im Kontext der zirkadianen Biorhythmik

Buchempfehlung zur Vertiefung des Wissens: Nutrient Timing von John Ivy & Robert Portman

Die Energie- und Makronährstoffzufuhr sind weit davon entfernt, die einzige Priorität in der Ernährung zu sein; sie können auch nicht pauschal als wichtiger eingestuft werden als das Nährstofftiming. CRPT ist das Verteilen des Eiweißes über den Tag in Abhängigkeit vom zirkadianen Rhythmus und kann sowohl in Bezug auf den Muskelaufbau, als auch auf den Fettabbau Vorteile mit sich bringen.

Unter Umständen kann es sogar den entscheidenden Unterschied zwischen signifikantem Muskelaufbau und Stagnation ausmachen. Das ist sicherlich noch nicht das Ende vom Lied und es müssen noch einige Aspekte näher erforscht werden, aber zur Zeit deutet die Evidenz eindeutig in die Richtung, dass man den Großteil seiner Eiweißzufuhr später am Tag konsumieren sollte, um das Maximum herauszuholen. Ob auch das Kalorientiming an sich positive Effekte mit sich bringt und wie das optimale Timing ganz genau aussehen sollte, ist zum derzeitigen Zeitpunkt noch nicht klar.

CRPT ist ein Beispiel dafür, dass es auch in Zeiten, in denen die „Fitness-Community“ zum Simplifizieren tendiert und wieder zu den Basics zurückrudert, noch kleine Dinge gibt, die einen großen Unterschied machen können.

Take-Home Message: Konsumiere mindestens eine Mahlzeit mit ordentlichem Eiweißgehalt in den Stunden vor dem Schlafengehen.

Quellen & Referenzen

(1) Aragon, AA. / Schoenfeld, BJ. (2013): Nutrient timing revisited: is there a post-exercise anabolic window? In: J Int Soc Sports Nutr. URL: https://jissn.biomedcentral.com/articles/10.1186/1550-2783-10-5.

(2) Burk, A., et al. (2009): Time-divided ingestion pattern of casein-based protein supplement stimulates an increase in fat-free body mass during resistance training in young untrained men. In: Nutr Res. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19628107.

(3) Keim, NL., et al. (1997): Weight loss is greater with consumption of large morning meals and fat-free mass is preserved with large evening meals in women on a controlled weight reduction regimen. In: J Nutr. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/9040548.

(4) Jordan, LY., et al. (2010): Nitrogen balance in older individuals in energy balance depends on timing of protein intake. In: J Gerontol A Biol Sci Med Sci. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20622139.

(5) Raff, H. / Sluss, PM. (2008): Pre-analytical issues for testosterone and estradiol assays. In: Steroids. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/18589466.

(6) Res, PT., et al. (2012): Protein Ingestion before Sleep Improves Postexercise Overnight Recovery. In: Med Sci Sports Exerc. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22330017.

(7) Darzy, KH., et al. (2005): The dynamics of growth hormone (GH) secretion in adult cancer survivors with severe GH deficiency acquired after brain irradiation in childhood for nonpituitary brain tumors: evidence for preserved pulsatility and diurnal variation with increased secretory disorderliness. In: J Clin Endocrinol Metab. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15728206.

(8) Ken, KYH. / Meinhardt, UJ. (2007): Regulation of Growth Hormone Action by Gonadal Steroids. In: Endocrinol Metabol Clin. URL: http://www.endo.theclinics.com/article/S0889-8529(06)00100-9/references.



Bildquelle Titelbild: Fotolia / fotoatelie 


 

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1 Kommentare

  1. Sehr interessant! Wie verhält es sich aber, wenn ich sehr früh morgens trainiere, um 6 Uhr? Trotzdem erst abends die proteinreich(st)e Mahlzeit?

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