Besserer Kraftzuwachs durch Visualisierung? Geistige Leistung als Wachstumsfaktor | Studien Review

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Bessere Kraftzuwachs durch Visualisierung? Geistige Leistung als Wachstumsfaktor | Studien Review

Von Adel Moussa | Benötigte Lesezeit: 4 Minuten |


Du hast sicher schon einmal mitbekommen, wie Bodybuilder und Trainingsexperten damit angeben, dass der Fokus und die Visualisierung die Schlüssel zu maximalen Kraft- und Muskelzuwächsen sind.

Eine neue Studie der Capital University of Physical Education and Sports in China, dem Lerner Research Institute, der Kessler Foundation und der New Jersey Medical School in den USA könnte man als ersten überzeugenden Beweis dafür sehen, dass die geistige Leistung ein bisher übersehener Counterpart zur physischen Leistung beim Krafttraining ist.

Besserer Kraftzuwachs durch Visualisierung? Geistige Leistung als Wachstumsfaktor | Studien Review

Wie die Autoren darlegen, „betonen die meisten Trainingspläne, die auf eine Kraftsteigerung ausgerichtet sind, dass das Training anhand von maximalen oder nahezu maximalen Intensitäten ausgeführt werden sollte und lang genug anhalten muss, dass alle motorischen Einheiten / Muskelfasern voll aktiviert werden“ (2). Als Aesir Sports Leser wird dir bewusst sein, dass gerade erst einige Studien herausgekommen sind, die zeigen, dass neuronale Adaptionen ebenfalls zu signifikanten Kraftzuwächsen führen können.

Leider haben einige ältere Studien, wie Yue & Cole (1992) (6) oder Ranganthan et al. (2004) (3) die Effekte mentaler Kraft auf die muskuläre Kraft nur an den Fingern untersucht. Jiang’s aktuelle Pilotstudie ist meines Wissens nach der ersten Studie, welche die Hypothese untersucht, dass „mentales Training die Kraft des Bizeps erhöhen kann.

Das Studien Setup von Jiang et al.

Untersucht wurden in diesem Experiment gesunde, aber untrainierte junge Männer mit einem standardisierten 6 Wochen langem Trainingsplan, der eine Kontraktion der Ellenbogenflexion von 30% der maximalen eigenständig erreichbaren Kontraktion (MVC) in drei Gruppen á N=6 Testsubjekten beinhaltet:

  • Eine Gruppe mit hohem mentalen Einsatz (HME, n =6), in der die Testsubjekte eine Kontraktion des Bizeps bei ca. 30% MCV durchgeführt haben und sich gleichzeitig vorgestellt haben (Bild vor den Augen), dass sie den Muskel so stark wie möglich kontrahieren;
  • Eine Gruppe mit niedrigem mentalen Einsatz (LME, n=6), in der die Testsubjekte eine Kontraktion des Bizeps bei ca. 30% MCV durchgeführt haben und gleichzeitig ein unterhaltsames Video (bspw. einen Film) ihrer Wahl angeschaut haben; und
  • Eine Kontrollgruppe ohne Training (CTR, n=6), in der die Testsubjekte an allen Messungen, aber an keinem Training, teilgenommen haben.

Es wurde angenommen, dass die Testsubjekte der HME-Gruppe eine signifikante Kraftsteigerung erfahren würden und dies bei der LME-Gruppe nicht der Fall sein würde, obwohl beide Gruppe mit der gleichen Intensität (30% MVC) trainiert haben und dem exakt gleichen Trainingsplan (30 Wiederholungen über 30 Sekunden mit 30 Sekunden Pause) an 5 Tagen pro Woche über 6 Wochen (mit 6 Wochen x 5 Einheiten/Woche = 30 Einheiten) gefolgt haben.

Das Studienergebnis: Größere Kraftzuwäche in der HME-Gruppe

Besserer Kraftzuwachs durch Visualisierung? Geistige Leistung als Wachstumsfaktor | Studien Review

Gemessene Trainingsintensität (in % des MVC, links) und prozentuale Kraftänderungen der Ellenbogenflexion (rechts) in der Gruppe mit hohem mentalen Einsatz (HME), niedrigem mentalen Einsatz (LME) und der Kontrollgruppe (CTRL) nach einem 6-wöchigem Trainingsplan. Nur die HME-Gruppe hat einen signifikanten Kraftzuwachs (20,47%) nach dem Training erfahren (P < 0,05). (Bildquelle: Suppversity (2017) | Jiang et al, 2017).

Obwohl es vor dem Training keine großen Unterschiede in den Kraftwerten der Gruppen gab (F(2,15) = 0,166, P = 0,849), stellte man  …

  • eine leicht höhere (aber statistisch nicht signifikanten) Intensität (F(1,10) = 1,536, P = 0,244) bei zufälliger Messung innerhalb der 6 Wochen der LME gegenüber der HME- Gruppe fest.
  • keinem Unterschied in der periodischen Messung (ca. 2x pro Woche) der SEMG des Biceps brachii (BB) und brachioradialis (BR) Muskels während dem Training bei der HME- und LME-Gruppen fest.

Die Vergleiche innerhalb der Gruppen haben gezeigt, dass die Kraftwerte der HME-Gruppe nach dem Training signifikant gestiegen sind (t(5) = 2,405, P = 0,03), aber die Änderung in der LME-Gruppe nicht signifikant war (t(5) = – 1,086, P = 0,16). Direkte Vergleiche der Gruppen in Prozent (%) der Kraftänderung (nach und vor dem Training) zeigten, dass die Zuwächse in der HME-Gruppe (20,47 ±  8,33%) signifikant höher als in der LME-Gruppe (1,89 ±  0,96%) und als in der Kontrollgruppe (- 3,27 ±  2,61%) waren (F(2,15) = 6,065, P = 0,01).

Abbildung 1, rechte Seite, zeigt die Änderungen der Kraft der Gruppen (relativ zum jeweiligen Ausgangswert).

       

Interpretation & Abschließende Worte

Wow?! Wenn du genau das gerade denkst, lass mich dich kurz wieder auf den Boden holen: Obwohl ich nicht anzweifle, dass man bessere Resultate erzielt, wenn man sich auf die Arbeit der Muskulatur konzentriert (und nicht nebenbei bspw. auf sein Smartphone starrt), muss ich dich darauf aufmerksam machen, dass die Ergebnisse der Studie bei einem geringen körperlichen Einsatz bei nur 30% des MVC entstanden. Das ist weniger Einsatz, als die meisten von euch in ihren Bizeps investieren.

In der realen Welt des Trainings mit einem starken körperlichen Einsatz werden deshalb die Ergebnisse signifikant geringer ausfallen – wenn nicht sogar so gering, dass kein signifikanter Unterschied mehr zu erkennen ist.

Aha, und warum sollten die Unterschiede bei einem intensiveren Training anders ausfallen?

Naja, die Autoren selbst haben zugegeben, dass „hochintensive Muskelkontraktion, wie MCV, immer einen hohen Einsatz erfordern; das ist auch der Grund, dass konventionellen Krafttraining bei hoher Intensität fast immer zu Verbesserungen der Kraft führt, sogar bevor die Adaption des Muskels eintritt“ (2). – Deshalb.

Weder die fragwürdige Relevanz für Training mit hohem körperlichem Einsatz, noch der kleine Stichprobenumfang, sowie die fehlende direkte Messung der Signalübertragung des Nervensystems sowiedie langfristigen Effekte auf die Skelettmuskulatur sollten den Erfolg der Autoren dieser Studie verringern.

Es steht letztendlich außer Frage, dass schon vorherige Studien (1)(4)(5) zu der Aktivierung des kortikalen Motorkontrollnetzwerkes durch funktionale Vorstellung herausgefunden haben, dass einen sonst nicht vorhandenen Trainingsstimulus zu einem Training mit geringer last (= Training mit geringem körperlichen Einsatz) hinzugefügt werden kann.

Diese Art des Trainings wird oft bei verletzten Athleten in der Rehabilitation oder bei Menschen, die aus verschiedenen Gründen nicht schwer trainieren dürfen oder können, eingesetzt.

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Quellen & Referenzen

(1) Grosprêtre, S.  / Ruffino, C. /  Lebon, F. (2016): Motor imagery and cortico-spinal excitability: a review. In: Eur J Sport Sci. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25830411.

(2) Jiang, CH., et al. (2017): The level of effort, rather than muscle exercise intensity determines strength gain following a six-week training. In: Life Sciences. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28412240.

(3) Ranganathan, VK., et al.  (2004): From mental power to muscle power—gaining strength by using the mind. In: Neuropsychol. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/14998709.

(4) Roland, PE., et al.  (1980): Supplementary motor area and other cortical areas in organization of voluntary movements in man. In: J Neurophysiol. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/7351547.

(5) Vingerhoets, G., et al. (2002): Motor imagery in mental rotation: an fMRI study. In: Neuroim. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/12414300.  

(6) Yue, G. / Cole, KJ. (1992):  Strength increases from the motor program: comparison of training with maximal voluntary and imagined muscle contractions. In: J Neurophysiol. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/1597701.


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Bildquelle Titelbild: Fotolia / romanolebedev


 

Über

Adel Moussa: “In den Seminaren die ich im Fachbereich Physik an der Uni halte, geht es darum den Studenten Daten, Fakten und Techniken zu vermitteln, die – obschon sie nichts mit Religion zu tun haben – so sicher sind, wie das sprichwörtliche “Amen in der Kirche”. Gerade das aber, also “Daten und Fakten” findet man im Internet kaum, wenn man nach Informationen über Training, Ernährung und Nahrungsergängzungsmitteln sucht. Das war jedenfalls vor ca. 4 Jahren so, und Grund genug für mich meinen eigene Blog zum Thema zu starten.

Der Name “SuppVersity” – Ihr hört schon, da stecken die Worte “University” und Supplement” drin – ist Programm. Unter www.suppversity.com nehme ich dort täglich die neusten Studien aus den Gebieten Training, Ernährung und Gesundheit unter die Lupe. Immer auf der Suche nach dem, was es vermutlich gar nicht gibt: Dem optimalen Trainings-, Ernährungs und Nahrungsergänzungsplan für mich, Euch und jedermann.”

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