„Du wirst nie wieder Beugen“: Warum Physiotherapeuten & Ärzte ein wenig Biomechanik lernen sollten

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Von Bret Contreras | Benötigte Lesezeit: 7 Minuten |


Gene Lawrence ist ein Badass. Er ist ein 74 Jahre alter Powerlifter und hat schon zahlreiche Rekorde aufgestellt – obwohl er erst mit 69 mit dem Powerlifting angefangen hat. Letztes Jahr hat er 102kg gebeugt, 118kg auf der Bank gedrückt und 166kg gehoben – alles RAW.

Im gleichen Jahr hat er sich auch den Rectus Femoris bei einem Sturz in der Einfahrt gerissen.

„Du wirst nie wieder Beugen“: Warum Physiotherapeuten & Ärzte ein wenig Biomechanik lernen sollten

Das ist Gene Lawrence. (Bildquelle: BretContreras.com)

Der operierende Arzt hat ihm gesagt, dass er nie wieder Beugen wird. Sein Physiotherapeut hat das Gleiche gesagt. Ich wusste es besser. Ich habe Gene gesagt, dass er vermutlich in einem Jahr seinen alten PR beugen wird.

„Du wirst nie wieder Beugen“: Warum Physiotherapeuten & Ärzte ein wenig Biomechanik lernen sollten

Als Athlet habe ich schon viele Geschichten von Ärzten (und manchmal auch Physiotherapeuten) gehört, die ihren Patienten gesagt haben, dass ihre sportlichen Karrieren beendet sei und sie eine bestimmte Bewegung nie wieder ausführen werden können. Nur sehr selten ist dieser Rat richtig.

Ärzte und Physiotherapeuten sind meist übervorsichtig, da sie für ihre Entscheidung haften. Ihr Fokus liegt nicht darauf, wie sehr du Powerlifting oder einen anderen Sport liebst, sondern darauf dich gesund zu halten und nicht verklagt zu werden. Und der einfachste Rat, um jemanden verletzungsfrei zu halten, besteht nun einmal darin ihm zu sagen er solle nicht mehr schwer trainieren.

Trotzdem haben viele Powerlifter nach „Karriere-beenden Verletzungen“ neue PRs aufgestellt und ihr Comeback gefeiert. Donnie Thompson ist der einzige Mann mit einem Gesamtergebnis von 1.361 kg (574kg Kniebeuge, 431 kg Bank, 356 kg Kreuzheben). Es wissen zwar nicht viele, aber vor einigen Jahren hatte Donnie eine grauenhafte Verletzung des Rückens – er hat sich 3 Wirbel gebrochen. Als Folge konnte er kaum laufen – aber ist dennoch aufgestanden und hat sich selbst rehabilitiert.

Nach nur 3 Monaten hat er wieder gebeugt und neue PR’s aufgestellt. Verstanden? Er hat nur 3 Monate nach dem Bruch von 3 Wirbeln neue PR’s gebeugt!

Das ist Gene, der neben Donnie „Mr. 3000“ Thompson steht. (Bildquelle: BretContreras.com)

Nach seiner Operation hat Gene ungefähr 4 Monate mit seinem Physiotherapeuten verbracht und seine Oberschenkel und Hüften gestärkt, sowie seine Beweglichkeit erarbeitet. Anschließend hat er wieder angefangen mit Charles Staley und mir zu trainieren.

Wir haben ihn sofort eine Menge Hip Thrusts und Rückenstrecker mit dem eigenen Körpergewicht machen lassen, um seine hintere Muskelkette zu stärken. Er hat auch wieder mit dem Kreuzheben angefangen. In den ersten zwei Wochen haben wir leichte Rackpulls gemacht und anschließend vom Boden gearbeitet. Nach einem Monat hat er mit leichten Box Squats mit dem eigenen Körpergewicht angefangen. Nach zwei Wochen hat er Goblet Squats, und nach weiteren zwei Wochen konventionelle Kniebeugen, trainiert.

Nach nur 4 Monaten Training mit uns (und den 4 Monaten mit seinem Physiotherapeuten) hat Gene kürzlich 97,5 kg gebeugt (4,5 kg unter seiner Bestleistung), 117 kg auf der Bank gedrückt (1 kg unter seiner Bestleistung) und 150 kg gehoben (16 kg unter seiner Bestleistung bei diesem Körpergewicht). Er wird schon bald seinen Rekord in der Kniebeuge brechen, genau wie ich es vorhergesagt habe.

Es ist nicht einfach sich mit 74 Jahren von einer solchen Verletzung zu erholen, aber Gene wird schon bald anfangen neue PRs zu setzen – und das nur wegen seiner unglaublichen Arbeitsmoral und Konsistenz (Charles und ich haben ihn einen genau geregelten Plan gegeben).

Eines haben Gene’s Ärzte nicht beachtet

Gene lebt für das Powerlifting und deshalb gibt es ihm Kraft, Mut und Leidenschaft in seinem ganzen Leben. Gene’s Homegym ist sein ganzer Stolz – er lagert dort auch all seine Powerlifting Trophäen und Medaillen. Neue PRs geben ihm den Antrieb aufzustehen und zu trainieren. Es liegt ihm im Blut. Als Athlet wirst du das verstehen.

Was wäre passiert, wenn Gene auf seinen Arzt und Physiotherapeuten gehört hätte?

Er hätte mit dem Sport aufgehört, was negativen Einfluss auf seine Gesundheit gehabt und ihn psychisch fertiggemacht hätte.

Wenn du unter einer ernsthaften Muskel-Skelett- oder Gewebe-Verletzung leidest, dann solltest du die folgenden Schritte beachten:

  1. Überstürze niemals den Heilprozess.
  2. Steige mit einem sukzessiven und progressiven Rehabilitationsprogramm ein.
  3. Finde einen Arzt und Physiotherapeuten, die sich mit Kraft und Konditionierung auskennen (es gibt viele großartige Ärzte und Therapeuten, welche diese Thematik verstehen und an die man sich wenden sollte).

Die folgenden Schritte solltest du auf keinen Fall gehen:

  1. Nur auf den Rat eines Arztes oder Therapeuten vertrauen und
  2. Einen Sport oder eine Aktivität aufgeben, bevor der Rehabilitationsprozess abgeschlossen ist. Niemand kann genau vorhersehen, wie man individuelle von einer Verletzung zurückkommen kann.

Vermutlich trainieren 90% der Ärzte nicht mal

Die meisten verstehen Krafttraining, die damit verbundene mentale Stärke und den Stolz der Kraft im Training nicht. Wegen ihrer Ignoranz und Angst vor schweren Gewichten geben sie oft lächerliche Ratschläge.

Ärzte werden dir schon bei der geringsten Gefahr raten nicht weiter zu trainieren.

Ellenbogen tun weh? Hör auf! Knie tun weh? Hör auf! Rücken tut weh? Hör auf! Warum kann man nicht um das Problem herum arbeiten?

  • Tut dein Knie weh, dann kannst du ziemlich wahrscheinlich noch den Rückenstrecker mit Zusatzgewicht ausführen und damit deine gesamte hintere Muskelkette stark halten.
  • Tut dein Rücken weh, kannst du immer noch einbeinige Beinübungen und einige Oberkörperübungen machen.

Das wäre aber viel mehr, als ein Arzt dir raten würde. Ein erfahrener Athlet kann allerdings sehr gut um Verletzungen herum arbeiten.

Vielmehr verstehen die meisten Ärzte und Therapeuten Biomechanik nicht richtig.

„Du wirst nie wieder Beugen“: Warum Physiotherapeuten & Ärzte ein wenig Biomechanik lernen sollten

Ein Arzt, der selbst nicht trainiert, wird nie verstehen, wie viel uns das Training bedeutet. Er wird dir vermutlich auch fast immer davon abraten schwer zu trainieren – alleine deswegen, um sich rechtlich abzusichern. (Bildquelle: Fotolia / Chinnapong)

Ich weiß nicht wie oft ich schon einen Klienten hatte, der von seinem Arzt oder Physio gesagt bekommen hat, dass er eine Übung wie die Kniebeuge oder das Kreuzheben nicht mehr ausführen können wird – nur um herauszufinden, dass er eine andere Übung verschrieben bekommen hat, die genauso viel oder sogar mehr Last auf ein Gelenk geladen hat, als die verteufelte Übung. Nach einigen Nachforschungen habe ich dann meist herausgefunden, dass der Arzt oder Physio nicht die Technik des Klienten betrachtet hat, bevor er zu seiner Schlussfolgerung gekommen ist; er hat lediglich eine Pauschalaussage getroffen, um sich abzusichern.

Ein anderer Trugschluss vieler Ärzte führt dazu, dass sie einigen Patienten (beispielsweise einer schwangeren Frau oder einer am Rücken operierten Person) sagen, sie können nie wieder mehr Last als ein bestimmtes Gewicht – beispielsweise 15 kg – heben. Allerdings bestimmt die Biomechanik die Verteilung einer Last auf verschiedene Körperteile; auch die Beziehung der Körperposition, Haltung, Last, Schwerkraft und Stetigkeit der Position müssen beachtet werden. Kreuzheben mit einer 14 kg schweren Kettlebell, positioniert direkt unter dem Schwerpunkt und bewegt mit einer guten Technik und neutraler Wirbelsäule führt zu deutlich weniger Last auf der Wirbelsäule, als das Heben eines 14 kg schweren Objektes, positioniert vor dem Schwerpunkt und mit einer komischen Technik. Verdrehte Übungen mit dem eigenen Körpergewicht können gefährlicher für die Wirbelsäule sein, als eine Übung mit der Langhantel und 60 kg, durchgeführt mit perfekter Technik.

„Nie wieder“ ist eine ziemlich harte Aussage

Mit vernünftigem progressivem Training und exzellenter Technik kann fast jeder ziemlich stark werden. Es wäre deutlich sinnvoller vernünftige Mechanik zu lehren, als ein Limit auf eine bestimmte Last zu setzen und so eine lebenslange Angst vor schwerem Training zu erzeugen. Nocebo-Effekte können unnötig und kontraproduktiv sein.

Die Kniebeuge kann sehr gut vom Körper toleriert werden, wenn die Beziehung zwischen Pro- und Regression verstanden wird.

Wenn du auf einem vernünftigen Level startest und die Bewegung richtig ausführst, indem du dich nach hinten setzt und die Knie in einer Linie mit den Füßen bleiben, gibt es keinen Grund zur Sorge. Du kannst mit hohen Box Squats anfangen und dich langsam in eine tiefere Bewegungsamplitude herunter arbeiten; du kannst dann in der Goblet-Position Last einführen. Menschen müssen im alltäglichen Leben in die Kniebeuge gehen, weshalb diese Bewegung nicht vermieden werden kann.

Du kannst entweder so tun, als würde es die Kniebeuge nicht geben, oder du stellst sicher, dass die Bewegung richtig ausgeführt wird; und somit die Last vernünftig über die Hüften verteilt wird, um die Knie zu schonen.

Athleten mit Rückenproblemen sollte nicht automatisch alle Bewegungen vermeiden, in denen sich die Hüfte schließt. Sie sollten viel mehr lernen, wie man die Hüfte richtig bewegt und gleichzeitig eine exzessive Bewegung in der Wirbelsäule vermeidet, sowie den Gluteus stärkt.

Rackpulls, Kreuzheben, Kreuzheben mit der Trapbar oder der Kettlebell, Kettlebell Swings, Hyperextensions, Rückenstrecken und sogar reverses Rückenstrecken mit dem eigenen Körpergewicht können sinnvoll eingesetzt werden, wenn die Technik stimmt. Viele Leute können bei diesen Bewegungen keine neutrale Wirbelsäule beibehalten, da sie einen schwachen Gluteus durch eine Bewegung der Wirbelsäule ausgleichen. Wenn diese Personen nie lernen, die Hüfte richtig zu bewegen, wie wird ihre Technik aussehen, wenn sie im Alltag Dinge aufheben, oder im Garten arbeiten?

Noch mal: Die Lösung ist nicht das Vermeiden von Bewegungen, sondern das Erlenen der richtigen Technik.

       

Abschließende Worte

Es bestehen auch genügend Situationen, in denen Personen am besten daran tun, eine bestimmte Übung nicht mehr schwer zu trainieren. Beispielsweise eignet sich nicht jeder für die Kniebeuge und das Kreuzheben. Das heißt aber nicht, dass sie keine Goblet Squats oder dynamischen Hebebewegungen in ihr Warm-Up einbauen können, um die Technik für die Kniebeuge und allgemeine Hüftbewegungen im Alltag zu erhalten.

Ebenfalls können diese Personen sinnvolle Alternativen finden. Beispielsweise bulgarische Ausfallschritte, Hip-Thrusts oder russische Beincurls. Mit diesen Übungen kann eine wahnsinnige Muskulatur und Stärke aufgebaut werden.

Es ist nicht meine Absicht alle Ärzte und Physiotherapeuten runter zu machen. Ich bin mit viele sehr guten Ärzten und Therapeuten befreundet, die einen unglaublichen Wissensschatz im Bereich von Kraft und Konditionierung besitzen. Aber – wie auch bei jedem anderen Beruf –  es gibt auch hier eine große Lücke zwischen den besten Leuten und dem typischen Arzt oder Physio. Das gleiche gilt für Training des Kraftsports und für Personal Trainier – es gibt eine riesige Lücke zwischen den besten des Bereichs und dem Anfänger McFit Mitarbeiter.

Zum Glück hat Gene zwei kompetente Trainer als Freunde (Charles und mich), die wissen wie er tickt und ihm bei einem genauen Plan helfen. Letztes Wochenende hat Gene an einem Wettkampf teilgenommen und hat dort einen 91-jährigen Powerlifter kennengelernt, der ihn sehr inspiriert hat.

„Du wirst nie wieder Beugen“: Warum Physiotherapeuten & Ärzte ein wenig Biomechanik lernen sollten

Gib niemals auf Gene! (Bildquelle: BretContreras.com)

Genau so will ich auch sein – bis zum Tag an dem ich sterbe schwer heben. Mach dein Ding Gene!


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Bildquelle: Fotolia / YakobchukOlena


Über

Bret Contreras (PhD, CSCS) wird vielfach als der führende Experte auf dem Gebiet Gesäßmuskeltrainings angesehen, was ihm unter anderem den Beinamen „The Glute Guy“ eingebracht hat. Auf seiner Seite BretContreras.com informiert der Personal Trainer seine Leser über effiziente Trainingsmethoden und Fitnesstraining.
Zusammen mit Chris Beardsley betreibt Bret darüber hinaus die Plattform Strength & Conditioning Research, die Abonnenten monatlich über neuste wissenschaftliche Erkenntnisse im Trainingsbereich informiert.
Bekannt ist Bret unter anderem auch durch seine regelmäßigen Beiträge in einschlägigen On- wie Offline-Magazinen, darunter Flex, Men’s Health, Muscle & Fitness, T-Nation.com, Bodybuilding.com und viele andere.

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