Ignoranz & Inkompetenz: Der Dunning-Kruger-Effekt

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Ignoranz & Inkompetenz: Der Dunning-Kruger-Effekt

Von Bret Contreras | Benötigte Lesezeit: 5 Minuten |


Wenn du so tief in der Fitness-Industrie drinsteckst, wie ich, dann wette ich mit dir, dass du immer wieder aufs Neue ob der Ignoranz und Inkompetenz manche Personen aus der Community erstaunt bist. Man begegnet dem überall und es gibt einfach kein Entrinnen. Wenn ich durch meinen Facebook-Feed scrolle, dann möchte ich sehr oft folgendes tun:

Ignoranz & Inkompetenz: Der Dunning-Kruger-Effekt

Ignorante & inkompetente Menschen sind sich ihrer Ignoranz & Inkompetenz nicht bewusst

Ignoranz hat viele Gesichter und manchmal ist es schwer zu glauben, dass es eine solche ignorante Person wirklich Ernst meint. Wenn ich so durch die Kommentarsektion in den sozialen Medien surfe, sage ich mir oft: „Diese Person muss offensichtlich ein Troll sein.“ Aber sehr oft stellt sich heraus, dass diese Leute keineswegs Trolle sind, sondern ganz einfach nur dumm sind. Aber Ignoranz ist nichts, was der alltägliche Kommentator in den sozialen Medien für sich gepachtet hat; die Experten sind in der Hinsicht ebenfalls schuldig.

Wir haben Myriaden von augenscheinlich wissenschaftlichen Autoren, die sich der Cargo-Kult-Wissenschaft verschrieben haben – es sieht vielleicht im ersten Moment wie Wissenschaft aus und fühlt sich auch so an, aber es ist keine Wissenschaft. Diese Personen sind unfähig darin ihre eigenen Theorien zu hinterfragen, was im Grunde genommen der Essenz der Wissenschaft widerspricht.

Der verblüffende Fall des McArthur Wheeler

1995 entschied sich ein Mann namens McArthur Wheeler eine Bank auszurauben (1). Aber keine Sorge – der Kerl hatte gut vorgesorgt. Da er gewusst hatte, dass Zitronensaft als eine Art von „unsichtbarer Tinte“ verwendet werden kann, wenn man es auf Papier trocknen lässt und anschließend erhitzt, trug Wheeler ein wenig Zitronensaft auf sein Gesicht auf, ehe er die Bank ausraubte, um sein Gesicht zu verbergen. Als er dann später verhaftet wurde und man ihm das Band zeigte, indem man eindeutig sein Gesicht beim Bankraub identifizieren konnte, war er schockiert: „Aber … ich hatte doch den Saft auf dem Gesicht,“ bemerkte er lautstark.

Bevor er die Bank ausraubte, überprüfte Wheeler seine Hypothese, indem er Zitronensaft auf sein Gesicht auftrug und ein Polaroid-Foto von sich knippste. Offensichtlich war sein Gesicht auf dem Versuchsbild nicht zu sehen gewesen. Später spekulierte der Detektiv, dass Wheeler vermutlich einen kaputten Film verwendet haben muss, schlecht fotografierte oder einfach noch etwas Zitronensaft im Auge gehabt habe, was verhindert hat, dass er sich auf dem Foto vernünftig sehen konnte.

Ignoranz & Inkompetenz: Der Dunning-Kruger-Effekt

Die Sache mit dem Zitronensaft ergab für McArthur Wheeler Sinn. Bevor er die Bank ausraubte, überprüfte er die Hypothese mit Hilfe einer Polaroid-Kamera. Aber nur, weil etwas bei der Aufnahme schiefgelaufen ist, bedeutete das nicht, dass er richtig lag. (Bildquelle: Fotolia / studiostoks)

Der Dunning-Kruger Effekt

Hier kommt der Fall, bei dem Wissenschaftler aus Zitronen Limonade gemacht haben. Wheelers Fall weckte das Interesse in den Sozialpsychologen Justin Kruger und David Dunning von der Cornell University. Die beiden entschieden sich dazu die Beziehung zwischen der tatsächlichen Kompetenz mit der Selbsteinschätzung der Kompetenz zu ergründen.

Und wie sich herausstellt, sind ignorante/inkompetente Menschen sehr schlecht darin zu wissen, dass sie ignorant/inkompetent sind.  

Was die Wissenschaftler durch ihre Forschung herausgefunden haben, ist, dass eine inkompetente Person für jede ihr übertragene Aufgabe dazu neigt …

  • …ihre eigenen Fähigkeitslevel zu überschätzen.
  • …darin versagen, die realen Fähigkeiten anderer einzuschätzen und
  • …darin versagen, die Extremität ihrer Unzulänglichkeiten zu erkennen.

Dunning und Kruger Forschung führte dazu, dass man diesem Phänomen den Namen Dunning-Kruger Effekt gab, der in jedem Feld vertreten ist (insbesondere im Fitnessbereich).

Ignoranz & Inkompetenz: Der Dunning-Kruger-Effekt

Der Dunning-Kruger-Effekt in a nutshell: Wenn jemand von sich aus behauptet, ein Experte zu sein und alles zu einem Thema zu wissen, dann steht die Wahrscheinlichkeit nicht schlecht, dass er ein inkompetenter Ignorant ist. Ein wahrer Experte ist sich dagegen häufig bewusst, dass auch er nicht alles weiß und Unzulänglichkeiten besitzt. (Bildquelle: Artandtechnology.com.au)

Befinden wir uns alle in bestimmten Phasen der Selbstverleugnung?

Anosognosie ist ein Zustand, bei dem eine behinderte Person, die einen Hirnschaden erfahren hat, sich dieses Schadens nicht bewusst ist bzw. diesen leugnet (2). Diese Individuen verfügen über einen ernsthaftes Selbstwahrnehmungs-Defizit, was neurologischer oder psychologischer Natur sein könnte – und es tritt sogar in Präsenz offensichtlicher Einschränkungen, wie z.B. Blindheit oder Paralyse auf.

Was wir nun realisieren ist, dass alle Menschen in gewissem Grad an einer Anosognosie leiden, da wir nicht immer mit dem Wissen ausgestattet sind, um Ignoranz und Inkompetenz zu erkennen.

Um David Dunning zu zitieren:

Wenn du inkompetent bist, dann kannst du nicht wissen, dass du inkompetent bist. Die Fähigkeiten, die du an den Tag legen musst, um die richtige Antwort zu erhalten, sind die Fähigkeiten, die du brauchst, um zu erkennen, dass es die richtige Antwort ist.“

Obwohl ihre Forschung relativ modern ist, wurde das Phänomen bezüglich Selbstsicherheit und Kompetenz in der Vergangenheit bereits seit einiger Zeit diskutiert. Konfuzius soll einst gesagt haben:

„Wahres Wissen ist, wenn du dir des Grades deiner eigenen Ignoranz bewusst bist.“

Und Charles Darwin erwähnt:

Ignoranz führt weitaus häufiger zu Selbstvertrauen als zu Wissen.“

Und William Shakespeare schrieb:

Der Narr denkt, er sei weise, doch der Weise weiß von sich selbst, dass er der Narr ist.“

Take Home Message

Wie du nun gelernt hast, wissen Trottel nicht, dass sie Trottel sind. Als jemand, der mehr als hundert Journale pro Monat sichtet und eine ganze Menge an Zeit damit verbringt, wissenschaftliche Arbeiten zu lesen und durchzuführen, kann ich dir nur verraten, dass mehr an der Sache dran ist, als man glaube könnte.

Um eine ganz spezielle Frage zu beantworten: Oftmals müssen wir mehrere Studien durchführen und Experten aus verschiedenen Bereichen mit einbringen. Der Narr ist sich dessen nicht bewusst; er denkt, seine Intuition reicht vollkommen aus. Und deswegen haben wir eine Vielzahl an Individuen, die sich selbst als Experten für bestimmte Themen präsentieren, die eigentlich absolut ahnungslos sind – und dies beinhaltet auch Übungen, welche diejenigen niemals durchgeführt haben, Methoden, mit denen sie niemals experimentiert haben, Werkzeugen und Instrumenten, die sie nie benutzt haben und Konzepten, die sie nie erforscht oder gereviewt haben.

Im Internet ist jeder Experte – auch ohne Studium oder Forschung in einem bestimmten Areal denken viele, sie wüssten mehr, als so mancher Wissenschaftler. (Bildquelle: Fotolia / lensw0rld)

Wenn du also das nächste Mal die sozialen Medien durchstöberst und dich in der Kommentarsektion wiederfindest, kannst du ja mal schauen, ob du den inkompetenten/ignoranten Narren vom wahren Experten unterscheiden kannst. Zugegeben, es ist nicht immer einfach den Unterschied festzustellen, da sich der Narr in der Regel an einem laxen Verhaltenskodex orientiert. Der Narr hat es oft auf die Halsader abgesehen und er gebraucht Trugschlüsse (3), um seine Chancen zu erhöhen, dass es so aussieht, als würde er richtig liegen.

Schlussendlich solltest du deine Selbstwahrnehmung ein wenig schulen und deine eigenen Glaubenssätze hinterfragen – ansonsten bist du der Narr!

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Quellen & Referenzen

 (1) Kruger, J. / Dunning, D. (1999): Unskilled and unaware of it: how difficulties in recognizing one’s own incompetence lead to inflated self-assessments. In: J Personal Social Psychol. URL: http://psych.colorado.edu/~vanboven/teaching/p7536_heurbias/p7536_readings/kruger_dunning.pdf.

(2) Ames, DR. / Kammrath, LK. (2004): Mind-Reading and Metacognition: Narcissism, not Actual Competence, Predicts Self-Estimated Ability. In: J Nonverb Behav. URL: http://www.columbia.edu/~da358/publications/ames_kammrath_mindreading.pdf.

(3) Ehrlinger, J., et al. (2008): Why the Unskilled Are Unaware: Further Explorations of (Absent) Self-Insight Among the Incompetent. In: Organ Behav Hum Decis Process. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2702783/pdf/nihms38914.pdf.

(4) Hodges, B. / Regehr, G. / Martin, D. (2001): Difficulties in Recognizing One’s Own Incompetence: Novice Physicians Who Are Unskilled and Unaware of It. In: Academ Med. URL: http://pdfs.journals.lww.com/academicmedicine/2001/10001/Difficulties_in_Recognizing_One_s_Own.29.pdf. 

(5) Dunning, D., et al. (2003): Why People Fail to Recognize Their Own Incompetence. In: Durr Direct Psychol Sci. URL: https://www.researchgate.net/publication/254080911_Why_People_Fail_to_Recognize_Their_Own_Incompetence.


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Bildquelle Titelbild: Fotolia / pathdoc


Über

Bret Contreras (PhD, CSCS) wird vielfach als der führende Experte auf dem Gebiet Gesäßmuskeltrainings angesehen, was ihm unter anderem den Beinamen „The Glute Guy“ eingebracht hat. Auf seiner Seite BretContreras.com informiert der Personal Trainer seine Leser über effiziente Trainingsmethoden und Fitnesstraining.
Zusammen mit Chris Beardsley betreibt Bret darüber hinaus die Plattform Strength & Conditioning Research, die Abonnenten monatlich über neuste wissenschaftliche Erkenntnisse im Trainingsbereich informiert.
Bekannt ist Bret unter anderem auch durch seine regelmäßigen Beiträge in einschlägigen On- wie Offline-Magazinen, darunter Flex, Men’s Health, Muscle & Fitness, T-Nation.com, Bodybuilding.com und viele andere.

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