Energiestories – Part III.1: Kalorienrestriktion & Diät: Das Minnesota Starvation Experiment

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Von Damian N. Minichowski | Benötigte Lesezeit: 13 Minuten |


Mit dem dritten Teil der Energiestories-Serie (Teil I | Teil II) begeben wir uns ganz tief in die Abgründe der Menschlichkeit und dessen, was moralisch und auch im Namen der Wissenschaft noch vertretbar ist. Niemals hat man die psychischen und physischen Auswirkungen von Hunger und Nährstoffarmut unter derart “klinisch-sauberen” Bedingungen beobachtet – und, was noch wichtiger ist: vermutlich wird dies auch niemals wieder der Fall sein.

Meine Damen und Herren, ich präsentiere euch die Empirie des Hungers in Persona: Das Minnesota Starvation Experiment des Dr. Ancel Keys:

Hunger knows no friends but its feeder.” – Aristophanes, 450-385 BC

Leningrad im November 1941. Zirka drei Monate sind seit der Ankunft der Nazis vergangen. Nachdem die Armee Hitlers die Stadt eingekesselt hat, fasste der Führer den kruden Plan die wehrhafte Bevölkerung der russischen Stadt systematisch auszuhungern, um damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Zum einen ermöglichte ihm das den Abzug von Panzern und Artillerie, die an anderer Stelle gebraucht wurden, zum Anderen würde dies für eine geringere Zahl von Kriegsgefangenen sorgen, die es anschließend durchzufüttern galt.

Die Belagerung Leningrads sollte 872 lange Tage dauern und mit dem Wintereinbruch im November 1941 schlug die Menschheit eine weiteres, in der westlichen Zivilisation bis dato unvorstellbares, dunkles Kapitel ihrer Stammesgeschichte auf, das uns aufzeigt, wieviel Zivilisation und Anstand noch möglich sind, wenn das blanke Chaos herrscht und der Hunger nahezu unstillbar wird. Zuerst verschwanden die Tiere aus dem Zoo, die den Menschen der belagerten Stadt für eine kurzfristige Zeit über den nagenden Hunger hinweghelfen konnten. Es dauerte nicht lange, bis auch diese Nahrungsquelle erschöpft war. Die Menschen Leningrads wandten sich nun den eigenen Haustieren zu. Freilich: das Töten eines liebgewonnenen Tieres ist ihnen ungleich schwerer gefallen, als es vielleicht bei den Tieren aus dem Zoo der Fall gewesen ist, aber auch hier zahlte man den Tribut an den Hunger.

Die Behörden setzten die Rationierung der eisenern Reserven fort. Leute, die arbeiteten, erhielten als Notration schätzungsweise 700 Kilokalorien in Form von Brot und Kohl pro Tag zugewiesen. Diejenigen, die nicht arbeiteten – oder nicht arbeiten konnten – mussten sich dagegen schon mit 473 Kilokalorien begnügen (Kinder sogar nur 423 kcal)

Energiestories - Part III.1: Kalorienrestriktion & Diät: Das Minnesota Starvation Experiment

Cover des TIME-Magazine

Zum Sterben zuviel, zum Leben zuwenig. Sogar die Ratten, die bisher eine allgegenwärtige Plage waren, machten sich aus dem Staub. Nachdem nun auch die Tiere verspeist und die Rationen gekürzt wurden, wuchs die Verzweiflung: Bei Temperaturen von – 40° Fahrenheit begann man nun, den Kleister, der mit Hilfe von Kartoffelstärke hergestellt worden war, der Wandtapete in eine zähflüssige Suppe zu verkochen. Auch Leder (gegerbte Tierhaut) wurde, soweit vorhanden, eingekocht und verspeist. Den Hunger stillen konnte es freilich nicht.

Nach zwei Jahren der Belagerung, wir befinden uns gerade im Jahr 1943, mussten sich selbst die Zähesten einer Herausforderung stellen auf die sie niemand vorbereitet hat: man ging dazu über, die Leichen der Verstorbenen zu konsumieren (welche dank der klirrenden Kälte relativ gut konserviert blieben). Kannibalismus ging um. In seinem Buch The Great Starvation Experiment” schildert Todd Tucker in der Einleitung die beklemmende Situation in erschreckender Weise.

“The eating of the dead became a ghoulish fact of life, until inevitably, the hungriest began looking for fresher meat.

The children of Leningrad began disappearing. As rumors of cannibalism spread, it became illegal to sell any form of ground meat in the city, as the sources became to horrificially questionable. In one case, the bones of several dozen children were found inside the apartment of a concert violinist. Even his own five-year-old son was missing. The Leningrad police formed a special division to combat cannibalism. By the beginning of 1944, as even corpses and children became scarce, there were reports of people cutting off their own body parts and eating them in a desperate attempt to stave of hunger.” ([1], S. 8)

Über eine Million Menschen fand in den Straßen Leningrads den Tod. Die Greueltaten, die innerhalb der Stadt geschehen waren, wurden aber weder offiziell, noch inoffiziell thematisiert. Zu groß war die Scham und der Schrecken der Geschehnisse. Die rote Armee durchbrach am 27. Januar 1944 die deutsche Belagerung.

Wann immer ihr also gezwungen seid, eine Mahlzeit aus Zeit- oder Termingründen zu verschieben und “schier vor Hunger umkommt,” dann denkt einmal Leningrad 1942-44 und fragt euch selbst, ob dies wirklich Hunger ist, was ihr da verspürt, oder doch nur Appetit auf einen kleinen Snack, der euch bis zum Abend hinüber rettet…

Energiestories – Part III.1: Kalorienrestriktion & Diät: Das Minnesota Starvation Experiment

36 Männer, 180 Tage, -25 % “initial body weight” – Das Minnesota Starvation Experiment

Energiestories - Part III.1: Kalorienrestriktion & Diät: Das Minnesota Starvation Experiment

“The Great Starvation Experiment” fasst die Studie sehr gut – und emotional – zusammen. Ein Buch, was ich jedem empfehlen kann, der sich für das Thema interessiert und gerne mehr wissen möchte.

Ursprünglich wollte ich ein komplettes Review zum Buch liefern, doch aus zeitlichen Gründen – und weil ich die Erlaubnis erhalten habe – wird sich der dritte Teil der „Energiestories“-Reihe auf eine profane – aber doch verdammt eindrucksvolle – Abfassung von Rajgans Artikel  befassen (übrigens: sein Blog Better.Stronger.Faster ist nicht von ungefähr in meiner Blogroll vertreten – sehr lesenswert!).

Das Intro weiter oben diente nur als Vorgeplänkel, um euch die wahren Ausmaße von Dilemmata vorzuführen, mit denen sich die Menschheit konfrontiert sah. Im Gegensatz dazu wirken UNSERE Probleme nahezu lächerlich und nicht erwähnenswert. Fünf Kilo zuviel auf der Waage? Im Aufbau ein Ernährungsplan, bei dem das Wort Hunger gar nicht vorkommt und man sich die letzten Bissen gar mit Gewalt reinzwingen muss (Achtung: Hardgainer!). Hier und da ein paar feinkosmetische Verbesserungen?

Wir alle sind mit unseren Körpern unzufrieden und diejenigen, die vielleicht behaupten, sie wären es nicht, die lügen entweder ganz feist oder befinden sich auf dem besten Weg zum Guru-Status und dem Nirwana. Auch abseits der körperlichen Unzufriedenheit kennen nur die Wenigsten  unter uns den nagenden Hunger, wie er vielleicht tagtäglich in Afrika – oder seinerzeit im zweiten Weltkrieg – an der Tagesordnung war. Wir sind eine verwöhnte Zivilisation. Wir sind eine verweichlichte Zivilisation. Wir haben krumme Rücken, Haltungsschäden durch unsere Bequemlichkeit „errungen“ und die einzige Sorge, die wir uns hinsichtlich unserer Ernährung häufig machen, ist die Frage, ob man heute bei Burger King, zu McDonald’s oder Kentucky Fried Chicken einkehren sollte.

Doch der Mensch wächst am Widerstand

36 Männer haben sich gegen Ende des zweiten Weltkrieges aufgemacht, um den Hunger kennenzulernen. Sie wollten keinen Dienst an der Waffe leisten, aber sie wollten sich auch nicht ihrem Vaterland verwehren, wenn es darum ging, einen Beitrag zu leisten. Keiner von ihnen wusste zu diesem Zeitpunkt, worauf sie sich da einlassen würde oder wohin die Reise ging. Aber es war eine Reise: Selbsterkenntnis, Disziplin, mentale Stärke – das sind einige der Dinge, über die jeder von ihnen einen tieferen Einblick erhalten sollte. Und ja, einige kamen sogar in den Geschmack der bitteren Niederage, schummelten und wurden aus dem Experiment ausgeschlossen, weil sie nicht den eisernen Willen aufbringen konnten, wie ihre Kameraden – und betrogen. Andere hackten sich – willkürlich oder unwillkürlich – (das konnte der Mann selbst nicht mehr einschätzen) Gliedmaßen ab, um sich vom Hunger abzulenken. Einige wurden sogar von Kannibalismus-Träumen heimgesucht. Schlimme Sachen, noch schlimmere Gedanken.

Aber ich bin grunsätzlich der Meinung, dass jeder fitnessambitionierte Mensch, der ein Faible für Kraftsport, Disziplin und Ernährung hat, vom Minnesota Starvation Experiment gelesen und gehört haben sollte. Jeder Bodybuilder, der zu einem Termin X trocken sein muss und sich einer Hardcore-Diät unterzieht, wird vermutlich die einen oder anderen Symptome des Hungers (des Verhungerns!) bei sich wiederkennen können. Aber auch der Every-Day Joe, der sein Spiegelbild nicht länger ertragen konnte und sich in Crash-Diet-Style Manier auf Untergewicht runtergehungert hat, wird Parallelen wiederfinden: Es ist der Hunger in seiner Reinform, den ich euch hier präsentiere – ein Experiment, welches in der Form am Menschen aufgrund der schrecklichen Ereignisse in deutschen Konzentrationslagern, in der Menschenrechtscharta – nach heutigen Maßstäben – als unwürdig und folglich verboten eingestuft wird:

Enter Ancel Keys

Aus dem Englischen von N.D. „Furor Germanicus“ M. / copyright by Better.Stronger.Faster & Rajgan Path

Energiestories - Part III.1: Kalorienrestriktion & Diät: Das Minnesota Starvation Experiment

Das Werbeplakat, mit dem die Studienteilnehmer damals rekrutiert wurden.

Im Zuge der Planung einschlägiger Rehabilitations Strategien, entschieden sich Ancel Keys und sein Team von Wissenschaftlern dazu, ein Experiment durchzuführen. Der Plan sah grob gesprochen so aus: Sie würden eine Gruppe von Personen für diese Studie rekrutieren, ihren Kalorienbedarf zum Erhalt ihres Körpergewichtes ermitteln und – plötzlich und abrupt auf drastische Art und Weise die Kalorienzufuhr um Menge X reduzieren um einen Zustand des „semi-starvation“ [„halb-verhungern“]  herbeizuführen. Das erhoffte Ziel? Den Effekt des Verhungerns aus erster Hand studieren und in einem weiteren Schritt die daraus gewonnene Daten dazu zu verwenden, eine Rehabilitations-Strategie zu entwerfen, die den Millionen von Hungernden, die sich aus den Trümmern des Krieges erheben würden, zu helfen.

Der Studienzeitraum wurde auf zwölf Monate festgelegt, wobei der Untersuchungszeitraum aufgeteilt wurde in eine Kontrollperiode (die ersten drei Monate), die Semi-Starvation Periode (6 Monate) sowie eine restringierte Rehabilitations Periode (die letzen 3 Monate).

Das Setup

Ein paar zusammenfassende Daten und Fakten hinsichtlich des Experimentes und die Test-Subjekte:

  • Totale Anzahl der Probanden: 36
  • Umfassendes Alter: 22 bis 33 Jahre
  • Durchschnittliches Körpergewicht: 69,26 kg
  • Durchschnittlicher Körperfettanteil: 14 % [Hydrostatisches Wiegen]
  • Durchschnittsgröße: 5` 10“
  • Physische Aktivität:  ~ 40 Meilen gehen/pro Woche (jeder Proband musste 22 Meilen pro Woche laufen und das zusätzlich zu der Zeit, die er auf dem Laufband im Labor verbrachte PLUS die 2-3 Meilen, die zurückgelegt werden mussten, um zur Kantine und wieder zurück zu gelangen)
  • Diverse Aktivität: Alle Teilnehmer erhielten im Zuge des Experimentes Jobs, die sie für 15 Stunden pro Woche beschäftigen würden [z.B. Holz hacken]
  • Überwachung: Alle Probanden wurden in ein Kaloriendefizit versetzt, so dass sie  bis zum Ende der 6-monatigen Semi-Starvation Periode  25 % ihres initialen Körpergewichtes  verlieren würden. Ihre Gewichtsverlustkurven wurden geschätzt, gedruckt und als in Zement gegossen betrachtet [„considered a bible“]. Sobald ein Studienteilnehmer von dieser geschätzten Kurve abwich, wurden die Kalorien weiter reduziert.  Als sich die Abweichungen mehrten, wurden ihre Freiheiten weiter beschnitten um etwaiges Schummeln zu verhindern.
  • Essen: Jedes Nahrungsmittel, was den Studienteilnehmern zugeführt wurde, war genaustens berechnet und gewogen, sowie portioniert.
  • Freies Essen/Trinken: Die Probanden konnten soviel Wasser, schwarzen Kaffee, Kaugummis und Zigaretten konsumieren, wie sie wollten
  • Freiheit: Die Männer durften jederzeit überall hin  gehen. Die einzige Bedinung bestand darin, dass sie nur das essen durften, was vom Labor und vom Wissenschaftsteam gestellt wurde. [Als sich die Abweichungen häuften, ergänzte man diese Regelung dahingehend, dass die Männer nur paarweise das Labor verlassen durften, also mindestens immer zu zweit um sich gegenseitig vom Schummeln abzuhalten]

Die Probanden waren also grundsätzlich fitte, junge Männer, die auch aktiv waren – damals musste man nicht erst in ein Fitnessstudio laufen, um die Art von Person zu finden. Es handelte sich hier um fitte und freie Menschen, die Jobs und Aktivitäten hatten, die sie permanent beschäftigt hielten. In den 40ern war das Diäten nicht wirklich ein Thema, wie man sich vorstellen kann. Die Leute waren den ganzen Tag über aktiv, arbeiteten hart und aßen eine ganze Menge guter Lebensmittel, welche ihnen den nötigen Treibstoff lieferten. Aber das erschreckendere an diesem Studiendesign ist vielmehr die Tatsache, dass die meisten Personen heutzutage eine ähnliche Herangehensweise an den Tag legen würden, wenn es um das „diäten“ geht. Ihr braucht nur einmal auf die Straße zu gehen, und den nächstbesten Typen darum bitten, eine Diät zu starten. Geradezu automatisch wird er seine Kalorienzufuhr drastisch reduzieren und weniger essen, während er eine innige Beziehung mit dem Laufband aufbaut. Der einzige Unterschied, der hier besteht, liegt in der Tatsache, dass sich HEUTE die Leute freiwillig in diese kalorienrestriktierten Diäten begeben. Die frappierende Ähnlichkeit – und was wir von dieser Studie lernen können – liegt in der Absicht dieser Analyse.

Seid ihr bereit? Füllt euren Kaffeebecher noch einmal und passt gut auf…

Die Kontroll-Periode

Energiestories - Part III.1: Kalorienrestriktion & Diät: Das Minnesota Starvation Experiment

Die “predicted weight-loss curve” – sie war quasi in Zement gegossen. Jedes reale Abweichen von der Kurve resultierte in weiteren Einschnitten in der Kalorienzufuhr.

In dieser dreimonatigen Phase, spielten die Wissenschaftler einwenig mit der Kalorienzufuhr der Probanden (auf individueller Basis), um den jeweiligen isokalorischen Erhaltungswert herauszufinden (also die Anzahl an Kalorien, an denen weder eine Zu- noch einer Abnahme des Gewichtes erfolgte). Am Ende der Kontroll-Periode aßen die Probanden 3 Mahlzeiten pro Tag. Der durchschnittliche Kalorienbedarf wurde in der Zeit auf 3.210 Kilokalorien festgelegt. Und das scheint für einen 68 kg schweren Mann, dessen Körperfettanteil bei 14 % liegt und der rund 40 Meilen pro Woche läuft, durchaus realistisch. Zusätzlich zu dem Kalorienbedarf ermittelte man auch weitere Vitalparameter, wie zum Beispiel die Größe des Herzens, das zirkulierende Blutvolumen, die Fähigkeit zu Hören, Sicht und die Anzahl der Spermien.

Die Semi-Starvation Periode

In dieser sechsmonatigen Phase wurde die Kalorienzfuhr der Studienteilnehmer plötzlich – und drastisch – reduziert. Dies geschah zum einen, in dem man die Mahlzeitenfrequenz auf 2 herabsetzte und zum anderen durch die Reduktion der durchschnittlichen Kalorienzufuhr, die nun bei  1.570 Kilokalorien pro Tag lag (das entspricht einem Kaloriendefizit von 1.640 Kilokalorien ; mehr als 50 %! des Erhaltungswertes) – und das vom ersten Tag an.

Die Ernährung beschränkte sich vielfach nur auf Kartoffeln, Salat und Vollkornbrot, was in etwa dem Nahrungsmittelangebot in den europäischen Hungerzonen entsprach. Lediglich die Werte für Vitamin A, Thiamin, Niacin, Vitamin C lagen unter permanenter Beobachtung (das Konzept der Vitamine war zu der Zeit noch relativ jung). Zur besseren Veranschaulichung ein beispielhaftes, einfaches Abendessen (siehe Bild)

Energiestories - Part III.1: Kalorienrestriktion & Diät: Das Minnesota Starvation Experiment

So sah ein typischen Abendessen aus. Das Highlight der Studienteilnehmer: Die Nudeln!

Was also passierte während dieser 6-monatigen Phase des Halb-Verhungerns? Haben die Probanden ihr Gewicht in dem Umfang verloren, wie es von den Wissenschaftlern und ihren Methoden prognostiziert wurde?

Nun – ja. Dieser intensive Schnitt in der Kalorienzufuhr sorgte für eine Gewichtsreduktion oder um präziser zu werden: fast so genau, wie es von den Graphen vorhergesehen wurde (jedenfalls in den meisten Fällen). Und was passierte außerdem? Richtig – jetzt wirds interessant.

Die Ergebnisse der Semi-Starvation Periode

  • Alle Probanden verloren ihre Libido und ihr Interesse darin, attraktiv auf das andere Geschlecht zu wirken oder das Bedürfnis Geschlechtsverkehr auszuüben
  • Die meisten Teilnehmer gaben an, desinteressiert an jeglicher Form von Aktivität zu sein und sie bevorzugten es außerdem isoliert und für sich zu sein
  • Alpträume waren an der Tagesordnung. Die meisten davon wurden dominiert von Themen wie Essen und Kannibalismus
  • Jeder der Studienteilnehmer gab an, dass er permanent an Essen und Nahrungsmittel dachte. Sie hatten es derweil akzeptiert, dass sie diverse Rezepte und Bilder von Nahrungsmitteln aufbewahrten, um sie dann und wann anzusehen (wie Pornographie)
  • Verlust von muskulärer Stärke und Ausdauer war weit verbreitet und signifikant.
  • Bei vielen der Probanden wusste man, dass sie relativ schnell wütend oder irritert wurden. Sie schrieen die ganze Zeit, sie fluchten und zerstörten in ihrer Wut Dinge.
  • Die Verlockung zu Schummeln (das Essen von mehr Lebensmitteln außerhalb) wurde von Mal zu Mal attraktiver. Das anschließende Gefühl des Versagens sorgte jedoch dafür, dass die Probanden jegliche Art von Betrug gegenüber anderen und sich selbst leugneten [und die meisten hielten auch durch, ohne zu betrügen]
  • Der Konsum von Kaffee und Kaugummi schoss rapide in die Höhe. Einer der Probanden kaute sogar bis zu 40 Packungen Kaugummi pro Tag – jeden Tag!
  • Im weiteren Verlauf der Studie wandelte sich die Ansicht der Studienteilnehmer, was die Ziele dieser Untersuchung betraf. Der Wunsch, das Experiment zu Ende zu bringen und damit lebensrettende Daten für die Menschheit im Zuge dieses Experiments zu schaffen, wurde nicht mehr als allzu wichtig erachtet
  • Erschöpfung und Müdigkeit war signifikant und allgegenwärtig
  • Die Bekömmlichkeit der Nahrung stieg rapide an – sogar bis zu einem Punkt, wo weggeworfene Lebensmittel aus dem Müll als attraktiv angesehen wurden
  • Eine „Entlastungs-Mahlzeit“ (Cheat Meal) wurde von den Forschern nach 15 Wochen Semi-Starvation gewährt. Dies weckte die Lebensgeister der Probanden und sorgte für eine Einkehr der Vernunft und einen Fokus zum Ende des Experimentes hin. [zu dem Zeitpunkt war die Moral der Studienteilnehmer weit im Keller und alle schienen demoralisiert – wer will es ihnen verübeln? 15 Wochen!]
  • Mit dem hohen Konsum an Flüssigkeit, ging auch ein hoher Bedarf der Erleichterung einher ; die Frequenz der Toilettengänge stieg rapide an
  • Die Probanden wurden obzessiv, was die eigenen Körperfunktionen betraf. Sie achteten auf jedes kleinste Detail – angefangen von Veränderungen in der Urinations-Frequenz und Urinfarbe bis hin zu Glieder- und Gelenkschmerzen etc.
  • Das Sitzen wurde zur Belastung infolge von mangelnder Fettpolsterung
  • Die Körperkerntemperatur sank von 37°  auf 35,44° Celsius (!) und die Probanden fngen an, sich über den kleinsten Abfall in der Temperatur zu beschweren
  • Die Herzschlagrate fiel von 55 auf 35 bpm (Schläge pro Minute)
  • Der Körperfettanteil sank von ~14 % auf 5 % [!!!]
  • Ödeme (Wasseransammlungen, bedingt durch geschwollene Gelenke) waren allgemein verbreitet im Camp [und sorgen für Probleme bei der Ermittlung des tatsächlichen Körpergewichts)
  • Die Fähigkeit sich zu Konzentrieren, sich zu fokkusieren und an irgendetwas Anteilnahme zu empfinden, war so gut wie bei allen Teilnehmern nicht mehr vorhanden
  • Die Gesichter wurden ausgemergelt  und blass
  • Die Toleranzschwelle für Musik und sogar das Sprachvolumen verringerte sich infolge des Hungers, der den Hörsinn signifikant schärfte
  • Die grundlegende Fähigkeit zu Koordination verkümmerte
  • Das Haar der Studienteilnehmer wurde rau, dünn und spröde

Zusammenfassung & Ausblick

Bevor wir uns nun weiter mit der restriktrierten Rehabilitations-Phase beschäftigen, lasst uns die hier gewonnenen Erkenntnisse einmal zusammenfassen:

Energiestories - Part III.1: Kalorienrestriktion & Diät: Das Minnesota Starvation Experiment

Das “Cheat-Meal”-Setup in Woche 15: Die Studienteilnehmer aßen auch die Orangenschalen, was Dr. Ancel Keys erzürnte – die Schalen waren nicht einkalkuliert. Die Mahlzeit umfasste “2.366 glorreiche Kalorien.”

Eine Gruppe gesunder, junger und fitter Erwachsener wurde für eine Periode von 24 Wochen auf eine radikale, kalorienrestringierte (ca. 1.600 kcal) Diät gesetzt.  Als Endergebnis bleibt festzuhalten, dass jeder Studienteilnehmer im Durchschnitt knapp 37 Pfund und ca. 9 % Körperfett verloren hat. Das entspricht einem Gewichtsverlust von 4 % bzw. 1,5 % Körperfett pro Monat. Desweiteren verringerte sich die Libido der Probanden, sie wurden leicht irritierbar, konnten mit Kälte wesentlich schlechter umgehen, bekamen Heißhunger, Alpträume, träumten vom Essen, verloren ihren Fokus, hatten Erschöpfungszustände, verloren ihr Haar, fingen an zu betrügen („cheating“) und zeigten ein reges Desinteresse an Sozialisation jeglicher Art.

Aus heutiger Sicht betrachtet: Wie oft sieht man junge Erwachsene, die sich Hals über Kopf in einer einschneidende kalorienrestringierte Diät stürzen – und – sogar mehr Gewicht, in wesentlich kürzerer Zeit verlieren, als hier geschehen? Wie viele von uns haben diese Symptome am eigenen Leib erlebt – oder erleben sie immernoch? Ist Kalorienrestriktion als per se schlecht für die Gesundheit?

Ist das Diät halten ungesund? Ist chronisches Diäten ungesund?

Was lehrt uns dieses Super-Experiment, welches technisch gesehen eine perfekte Simulation heutiger Begebenheiten darstellt? [pullquote]„No man can ever equal the machine; No sinew, bone and muscle can compete. Against the monster. In the clash between, the two, we men must always meet defeat.” – Journaleintrag von Sam Legg zum Ende des Experimentes, S. 156[/pullquote]

Der Versuch diese Frage en detail zu beantworten, wird in einem bald folgenden Artikel unternommen, in dem auch die Rehabilitations-Phase (und ihre Effekte auf die Studienteilnehmer) diskutiert und näher beleuchtet wird. Anschließend versuche ich mich in der Antwort der Eine-Million-Euro-Frage: „Wieviel Gewicht/Fett kann ich in einem Monat überhaupt erwarten zu verlieren?“ Ich möchte nichts an dieser Stelle vorweg nehmen,  aber es ist in jedem Fallmehr an dieser Analyse dran, als der simple Vergleich diverser Szenarios. Es handelt sich um mehr Methoden des Wahnsinns im Bezug auf Kalorienrestriktion, die darüber enscheiden, ob wir es hier mit einem Teufel oder einem Elixir zu tun haben.

Sorgt also dafür, dass ihr den folgenden Artikel nicht verpasst. In der Zwischenzeit: Fühlt euch frei über die Studie zu diskutieren, eure Gedanken mit Hilfe der Kommentarfunktion ( siehe unten) mitzuteilen, die von mir gestellten Fragen zu reflektieren oder eigene Fragen zu stellen.

Du fandest den Artikel informativ? Dann wäre es schön, wenn du ihn mit Freunden und Bekannten teilst (sharing is caring), oder uns in Form eines Kommentars deine Meinung sagst.

Quellen & Referenzen

Tucker, T. (2008):  The Great Starvation Experiment: Ancel Keys and the Men Who Starved for Science . University of Minnesota.

Bildquellen

Sämtliches Bildmaterial stammt aus dem oben aufgeführten Buch und obliegt auch dem Urherberrecht des Herausgebers.


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Über

Damian N. „Furor Germanicus“ Minichowski ist der Gründer und Kopf hinter dem Kraftsport- und Ernährungsmagazin AesirSports.de. Neben zahlreichen Gastautorenschaften schreibt Damian in regelmäßigen Abständen für bekannte Online-Kraftsport und Fitnessmagazine, wo er bereits mehr als 200 Fachartikel zu Themen Kraftsport, Training, Trainingsphilosophie, Ernährung, Gesundheit und Supplementation geschrieben hat.

Zu seinen Spezialgebieten gehört das wissenschaftlich-orientierte Schreiben von Fachartikeln rund um seine Passion – Training, Ernährung, Supplementation und Gesundheit.

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1 Kommentare

  1. Wow, geiler Artikel, vielen Dank!! Freue ich mich schon auf den nächsten!

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