Evidenzbasierte Praxis (EBP) in Training & Ernährung: Missverständnisse & Kritik

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Evidenzbasierte Praxis (EBP) in Training & Ernährung: Missverständnisse & Kritik

Von Anoop Balachandran & Brad Schoenfeld | Benötigte Lesezeit: 11 Minuten |


Evidenzbasierte Praxis (EBP) bzw. evidenzbasierte Medizin (EBM) waren für mich immer sehr wichtige Themen. Ich habe praktisch jedes vorhandene Buch darüber gelesen, einige Kurse dazu belegt und mit nahezu jedem Experten im EBM-Bereich gesprochen. Ich bemühe mich stets darum mit David Seckett, dem Vater der EBM, in engem Kontakt zu bleiben.

Ohne den EBP-Ansatz ist wissenschaftliche Forschung im Bereich Gesundheit und Fitness relativ nutzlos. Auch ohne selbst als Arzt oder Trainer professionell auf diesem Gebiet unterwegs zu sein, sollte jeder ein grundlegendes Verständnis für EBP haben, der sich um seine Fitness, Ernährung und Gesundheit kümmert.

Diesen Artikel habe ich zusammen mit meinem Freund und Kollegen Brad Schoenfeld, Ph.D. verfasst, um auf einige Fragen und Bedenken zum Thema EBP einzugehen. Brad hat sowohl einen akademischen als auch einen praktischen Hintergrund, was in der Fitnesswelt nicht gerade häufig ist.

Wir (Anoop Balachandran, Ph.D. & Brad Schoenfeld, Ph.D.) sind froh, dass sich immer mehr Leute für das Erlangen und Anwenden von Evidenz im Bereich Training und Ernährung interessieren. Dennoch gibt es noch einige Missverständnisse bezüglich evidenzbasierter Praxis (EBP). In diesem Artikel werden wir einige der häufigsten Kritiken und Missverständnisse adressieren. Los geht’s.

Artikelinhalte

Evidenzbasierte Praxis (EBP) in Training & Ernährung: Missverständnisse & Kritik

Warum brauchen wir EBP? Reichen anekdotische Evidenz oder Expertenmeinungen nicht?

Tatsächlich wurden in der Geschichte der Medizin immer wieder Anekdoten und Expertenmeinungen als „Evidenz“ genutzt, um Menschen zu behandeln. Wie hunderte Beispiele für medizinische Fehlschläge in der Vergangenheit jedoch zeigen, funktioniert dieser Ansatz nicht sonderlich gut. Rauchen galt beispielsweise als „gesund“, bis Studien das Gegenteil zeigten; der Aderlass war 2000 Jahre lang eine der gebräuchlichsten Behandlungsmethoden, bis dessen Ineffektivität ans Tageslicht kam, und so weiter.

Man könnte sagen, EBP entwickelte sich, gerade weil Anekdoten und Expertenmeinungen einfach keine guten Ergebnisse erzielten. Mehr zum Thema folgt demnächst in einem separaten Artikel.

Was ist also Evidenzbasierte Praxis / Evidenzbasierte Medizin?

Die Definition von EBM (Evidence Based Medicine) lautet nach David Seckett:

„EBM ist ein systematischer Ansatz für klinische Problemstellungen, der die Integration von bester verfügbarer Evidenz einerseits und klinischer Expertise sowie Patientenwerten andererseits erlaubt.“

Dieses Prinzip kann auf viele wissenschaftliche Disziplinen – einschließlich Training und Ernährung – angewandt werden, um die Ergebnisse zu optimieren.

Was ist „Evidenz“?

Viele Leute nehmen fälschlicherweise an, dass sich der Begriff „beste verfügbare Evidenz“ ausschließlich auf forschungsbasierte Evidenz – also wissenschaftliche Studien, bezieht.

Tatsächlich kann sich Evidenz jedoch sowohl durch gut designte, randomisierte kontrollierte Studien bilden, als auch durch unsystematisch erlangte klinische Beobachtungen oder sogar Expertenmeinungen. Evidenz könnte also auf einer Studie, deinem Lieblings-Fitnessguru oder einem physiologischen Mechanismus basieren.

Der wichtige Punkt ist jedoch, dass die Wichtigkeit und das Vertrauen auf die jeweilige Evidenz davon abhängt, welcher Typ von Evidenz vorliegt. Wir kommen darauf später zurück, wenn wir über die Hierarchie der Evidenz sprechen.

Was ist mit individuellen Werten und Vorlieben?

Jeder Patient oder Klient hat gegenüber Entscheidungen und Ergebnissen eigene Werte, Vorlieben und Erwartungen.

Einigen ist beispielsweise Muskelwachstum sehr wichtig, anderen ist hingegen ihre allgemeine Gesundheit am Wichtigsten. Manche würden den Aufbau von Oberkörpermuskulatur verglichen mit der Unterkörpermuskulatur, als wichtiger bewerten. Wieder anderen ist der soziale Aspekt des Trainings im Fitnessstudio wichtiger, als die Muskel- und Kraftzuwächse.

Und bei alldem gibt es kein richtig oder falsch. Alle Präferenzen sollten gleichermaßen respektiert werden. Der Job eines Profis im Fitness- und Gesundheitsbereich ist es, jedem Klienten beim Erreichen seiner Ziele zu helfen, was auch immer diese sind; wir können unseren Klienten nicht unsere eigenen Werte und Meinungen aufzwingen, egal, wie entgegengesetzt sie sein mögen.

Was ist mit klinischer Expertise? Und was ist die „Kunst“ der EBP, über die immer gesprochen wird?

Klinische Expertise ist, was viele als die „Kunst der EBP“ verstehen. Heißt das also einfach die ganze Zeit Dinge anzuwenden, die für eigene Klienten funktioniert haben? Definitiv nicht.

Klinische Expertise involviert grundlegende wissenschaftliche Kenntnisse, praktische Expertise und Intuition, um:

  • Das Problem zu diagnostizieren (zum Beispiel, warum eine Person nicht in die tiefe Kniebeuge kommt oder andere Technikmängel vorliegen oder warum jemand keine Kraft zulegt oder kein Gewicht verliert),
  • Relevante Forschungsarbeiten und Studien zu recherchieren (zum Beispiel, welche Übungen bestimmte Muskeln treffen oder wie viele Sätze ein Fortgeschrittener Trainee pro Muskelgruppe benötigt, um Muskeln aufzubauen) und kritisch in Bezug auf eventuelle methodologische Mängel zu analysieren (waren die Studiensubjekte Trainingsanfänger? Waren die Ergebnismessungen relevant?),
  • Nutzen, Risiken und Alternativen eines Ansatzes für ein bestimmtes Ziel zu bewerten (ein Crossfit-typisches Training mag motivierend sein und die allgemeine kardiovaskuläre Ausdauer stärken, involviert jedoch ein beträchtliches Verletzungsrisiko),
  • Ein Programm auf dem Feedback und den Ergebnissen des Klienten basierend anzupassen (zum Beispiel die Satzanzahl zu reduzieren oder die Übungen zu modifizieren, wenn ein Klient älter ist oder einen Verletzungshintergrund hat),
  • Auf die Werte und Vorlieben eines Klienten eingehen zu können, deutlich und einfach über Nutzen, Kosten und Risiken informieren zu können und den Klienten in die Entscheidung miteinzubeziehen.

Und dies nennt man dann die Kunst des evidenzbasierten Ansatzes. Wie man sehen kann, ist klinische Expertise ein integraler Teil der EBP und kann niemals durch Forschung alleine ersetzt werden. Ebenso wie auch die klinische Expertise die Forschung niemals ersetzen kann.

Was ist die Hierarchie der Evidenz? Und warum sind RCTs an der Spitze der Pyramide?

Die Hierarchie der Evidenz ist eines der fundamentalen Konzepte der EBP. Drei wichtige Punkte sollte man dabei im Kopf behalten:

Evidenzbasierte Praxis (EBP) in Training & Ernährung: Missverständnisse & Kritik

Die Evidenzklassen der evidenzbasierten Medizin ist pyramidenartig aufgebaut und kann als Richtung zur Einschätzung und Klassifikation von Informationen dienen. (Bildquelle: EBM-Netzwerk.de)

  1. Die Evidenztypen sind, wie auf dem Bild zu sehen, in einer geordneten Art und Weise dargestellt. Je höher wir in der Hierarchie gehen, desto größer ist das Vertrauen in die Evidenz. RCT’s (randomisierte kontrollierte Studien) bilden die Spitze der Pyramide, da sie das bestmögliche Design für Studien beinhalten und in der Lage sind, Kausalität zu erkennen. Expertenmeinungen besetzen die unterste Stufe der Pyramide und sind somit am wenigsten vertrauenswürdig. Meta-Analysen – systematische Analysen und Integrationen mehrerer RCTs – werden oft als höchste Form der Evidenz angesehen, da sie die gesamte relevante Literatur eines Themenbereiches synthetisieren und die Ergebnisse anhand statistischer Kenngrößen und praktischer Bedeutung quantifizieren und bewerten. Besonders im Feld Training und Ernährung spielen Meta-Analysen eine wichtige Rolle, da die Stichproben einzelner Studien oft sehr klein sind. Eine Synthese der Daten aller relevanten Studien sorgt daher für eine größere statistische Aussagekraft.
  2. Es ist wichtig zu erwähnen, dass abhängig von ihrer Designqualität auch eine RCT manchmal nur mangelhafte Evidenz bieten kann. Eine schlecht designte Studie kann nie hohe Levels der Evidenz erreichen und im Gegenteil sogar die Fähigkeit, sinnvolle und evidenzbasierte Schlüsse zu treffen, einschränken. Die Hierarchie der Evidenz ist somit nicht in Stein gemeißelt.
  3. Es gibt immer Evidenz. Die beste verfügbare Evidenz ist jedoch nicht immer eine RCT. Aber auf den Evidenztypen basierend müssen sich unser Vertrauen auf die Evidenz und unsere Empfehlungen entsprechend anpassen.
  4. Was, wenn es keine RCTs gibt? Wie bewertet man ein Trainingsprogramm oder eine Ernährungsweise?

Als erstes sei noch einmal gesagt: Es gibt immer Evidenz. Wenn es keine RCTs gibt, rückt man in der Hierarchie der Evidenz einfach eine Stufe tiefer. Sicherlich steigt dabei natürlich auch die Unsicherheit bezüglich der Validität der Evidenz.

Zweitens muss man immer die Kosten, Nutzen, Risiken und die wissenschaftliche Plausibilität prüfen und alternative Programme vergleichen, bevor man Empfehlungen abgeben kann.

Hier sind einige Beispiele dafür, dass die Abwesenheit von RCTs nicht unbedingt bedeutet, keine Empfehlungen aussprechen zu können.

  • Beispiel 1: Wenn ein Klient mit einem neuen Programm ankommt, welches 2,5 kg Gewichte verwendet, um die Kraft zu steigern, können wir bereits mithilfe von grundlegenden wissenschaftlichen Kenntnissen schlussfolgern, dass die Muskel- und Kraftzuwächse aufgrund der fehlenden Progression nahezu null sein werden. Ein solches Programm widerspräche den fundamentalsten Grundlagen des Muskelwachstums. Somit kann man von dem Programm abraten – auch ohne eine RCT.
  • Beispiel 2: Die Impfung gegen das Ebola-Virus wurde verabreicht, bevor eine RCT durchgeführt wurde. Warum? Dies ist ein klassisches Beispiel dafür, wie Nutzen, Risiken und Alternativen abgewogen werden, um dann trotz schwacher Evidenz eine starke Empfehlung auszusprechen. In diesem Fall war das Risiko der Tod, der Nutzen offensichtlich und es gab keine Alternativen. Daraus wurde geschlossen, dass die Impfung angebracht war. Und 99% der informierten Patienten stimmten dieser Empfehlung zu.
  • Beispiel 3: Wenn ein Klient das Xfit-Programm probieren möchte, sollte er über die schwache Evidenz bzw. das Mangeln positiver Studien, über involvierte Risiken und die Zeit, die für das Lernen der Technik benötigt wird, informiert werden und es sollten ihm andere Programme vorgeschlagen werden, die seinen Zielen entsprechen. Wenn derjenige es immer noch tun möchte, sollte diese Entscheidung akzeptiert und respektiert werden.
  • Beispiel 4: Eine Observationsstudie belegt, dass das Essen von Fleisch das Krebsrisiko erhöht. Wissend, dass Observationsstudien unabhängig von deren Design in der Hierarchie immer tiefer stehen, können Empfehlungen auf dieser Basis nie mehr als bloße Vorschläge sein.

Was, wenn es keine Studien dazu gibt, mein Klient aber ein neues Programm probieren will?

Wie bereits erwähnt: Wenn eine Person die Unsicherheit der Lage aufgrund der fehlenden oder schwachen Evidenz sowie die Risiken, Kosten und Alternativen verstanden hat, kann die Person nun selbst eine rationale, persönliche Entscheidung treffen.

Es ist nun mal so, dass die Mehrheit der Fragen im Feld des Trainings und der Ernährung keine starke Evidenz hinter sich haben. Sogar in der Medizin ist dies oft der Fall. Es ist jedoch enorm wichtig, zu verstehen und zu vermitteln, auf welcher Basis eventuelle Empfehlungen ausgesprochen werden.

Es gibt eine Menge Faktoren wie Genetik, Ernährung und Motivation, welche die Ergebnisse beeinflussen können. Eine Studie kann nicht…

Viele Leute haben noch nicht erkannt, dass die Randomisierung in einer RCT einen entscheidenden Zweck hat:  Die Randomisierung stellt sicher, dass bekannte UND unbekannte Variablen, welche sich potenziell auf den Muskel- oder Kraftzuwuchs auswirken, ausgeglichen auf beide Gruppen verteilt sind.

Wenn es also unbekannte, genetische Faktoren gibt, die den Muskelaufbau beschleunigen, sind auch diese genetisch gesegneten Individuen in beiden Gruppen gleichermaßen vorhanden – dies ist der Grund, warum RCTs als Goldstandard angesehen werden, um Ursache und Wirkung zu untersuchen. Die Ergebnisse einer Studie können so mit großer Sicherheit an der jeweiligen Intervention oder Behandlung festgemacht werden.

Die Forschung birgt zahllose Probleme. Kann man Studienergebnisse deshalb nicht verwenden, um seine Klienten zu trainieren?

Doch. Aber ein grundlegender Schritt der EBP ist es eben auch, die Studie kritisch zu analysieren: Wenn die Studie methodologische Schwächen hat oder die Population der Stichprobe nicht zum Klienten passt, muss die Aussagekraft seiner Empfehlungen auch an diese Schwäche der Evidenz angepasst werden.

Die meisten Studien über Krafttraining/Muskelaufbau werden an untrainierten Individuen durchgeführt.

So ist es. Und man muss immer aufpassen, wenn man Ergebnisse solcher Studien auf trainierte Individuen extrapoliert.

Die Trainingswissenschaft ist ein relativ neues Feld und Studien an trainierten Individuen sind rar gesät, es werden aber immer mehr. Die Generalisierbarkeit einer Studie (also die Möglichkeit, Ergebnisse der Studie bei einer gegebenen Population anzuwenden) muss immer gut bedacht werden, wenn man seine Entscheidungen durch die Forschung leiten lässt.

Es ist mir egal, „warum“ etwas funktioniert. Mich interessieren nur Ergebnisse.

Wie bereits gesagt – die EBP entwickelte sich, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Sie entwickelte sich nicht, um zu erklären, wie oder warum etwas wirkt.

Es gibt tausende lebensrettende Behandlungen und Medikamente, bei denen der zugrundeliegende Wirkmechanismus noch nicht bekannt ist.

Studien schauen nur auf Durchschnitte der Stichprobe. Es gibt große individuelle Unterschiede.

Stimmt. In der Tat sollten eigentlich „n=1 – Studien“ ganz oben in der Hierarchie der Evidenz stehen, da nur diese eins zu eins auf das gegebene Individuum übertragbar sind. Es ist jedoch nahezu unmöglich, diese mit dem Zweck durchzuführen, bestimmte Wirkungen wie Muskelwachstum oder Krankheitsprävention nachzuweisen.

Die sogenannte „Trial and Error“ – Methode, von der so oft gesprochen wird, birgt insbesondere zwei Bedenken.

  1. Selbst wenn ein bestimmtes Programm bei einem wirkt, ist es in vielen Fällen extrem schwierig, herauszufinden, welche Variable es genau war, die tatsächlich den Unterschied machte. War es diese spezifische Übung, die Änderung der Ernährung, die Genetik, der Placebo-Effekt oder eine sonstige, unbekannte Variable?
  2. Abhängig vom gewünschten Ergebnis ist es oft gar nicht klar, ob überhaupt eine Verbesserung erreicht wird. Muskelzuwächse in trainierten Individuen kommen beispielsweise sehr langsam (oft weniger als 1 kg pro Jahr). Man müsste ein Programm also prinzipiell mehrere Jahre lang durchführen, bevor der Effekt überhaupt sichtbar wäre. In der kontrollierten Forschung haben wir hingegen aufgrund von extrem sensiblen Messmethoden die Möglichkeit, auch geringe Veränderungen der Muskelmasse wahrzunehmen und so schon innerhalb von Wochen Verbesserungen zu erkennen.
  3. Für mich hat es funktioniert!

Was war das gemessene Ergebnis? Kraft, Muskelaufbau, Gewichtsverlust? Verglichen womit hat es funktioniert? Mit vorherigen Ergebnissen? Wie groß war die Wirkung? Ohne all diese Fragen beantworten zu können, ist die Bedeutung von „funktionieren“ einfach sehr schwammig.

Weiterhin wissen wir, selbst wenn es funktioniert hat, noch nicht, weswegen es funktioniert hat oder ob es für andere Leute ebenfalls funktionieren wird. Und eine weitere Sache gilt es zu bedenken: Nur weil etwas „funktioniert“ hat, heißt das noch nicht, dass etwas anderes nicht vielleicht besser funktioniert hätte.

Solche persönliche Anekdoten sind in den allermeisten Fällen mit solchen Problemen bespickt und müssen in der EBP entsprechend gewichtet werden.

Nahrungsergänzungsmittel X vermehrte den Muskelaufbau in einer Tierstudie. Sollte ich es verwenden?

Tierstudien stehen in der Hierarchie der Evidenz fast ganz unten. Sie sind auf Menschen nur sehr eingeschränkt übertragbar und die Unsicherheit ist hoch, weshalb sich auf ihrer Basis nur sehr aussageschwache Empfehlungen aussprechen lassen.

Tiermodelle spielen eine wichtige Rolle in der Vorlaufforschung; wenn man im Kontext evidenzbasierter Praxis jedoch Anwendungsrichtlinien entwickeln möchte, sollte man sich auf Studien an menschlichen Subjekten verlassen.

Eine Nahrungsergänzungsmittelstudie zeigte einen „signifikanten“ Gewichtsverlust. Kann ich dieses Nahrungsergänzungsmittel für meine Klienten verwenden?

Man sollte sich zunächst anschauen, wie viel Gewicht die Subjekte tatsächlich verloren haben. Der Begriff „Signifikanz“ sagt lediglich etwas darüber aus, mit welcher Wahrscheinlichkeit das Ergebnis nur ein Zufall war; er sagt nicht unbedingt etwas über das Ausmaß des Effektes aus. Mit einer genügend großen Stichprobe kann schon der Gewichtsverlust von 500 g im Zeitraum eines ganzen Jahres statistisch signifikant sein. Dies wird dann als „klinische Signifikanz“ bezeichnet.

Würdest du ein Nahrungsergänzungsmittel nehmen, um in einem Jahr ein halbes Kilogramm Gewicht zu verlieren? Abhängig von den Kosten, dem Aufwand und der Dringlichkeit des Gewichtsverlustes wahrscheinlich eher nicht.

EBP widerspricht einem wissenschaftsbasierten Ansatz.

EBP widerspricht NICHT einem wissenschaftsbasierten Ansatz.

Ein wissenschaftsbasierter Ansatz bietet aussagekräftige Evidenz, wenn ein Programm oder eine Behandlung gegen fundamentale Prinzipien oder universelle Gesetzmäßigkeiten verstößt. Zum Beispiel im Falle der Homöopathie.

EBP jedoch unterstützt keine Evidenz, die lediglich auf biologischer Plausibilität oder mechanistischer Evidenz beruht. Wenn eine neue Diät verspricht, man könne so viel essen, wie man wolle, um Gewicht abzunehmen, widerspricht das den fundamentalen Gesetzmäßigkeiten der Thermodynamik. Man benötigt keine RCT, um eine aussagestarke Empfehlung gegen diese Diät auszusprechen.

Wir sind der Ansicht, dass eine Intervention in der Abwesenheit von Forschungsevidenz nicht durchgeführt werden sollte.“

Dies war das Credo einer Debatte am Ende der PhysioUK2015 Konferenz in Liverpool.

Wie nun bekannt sein sollte, sind RCT’s für die EBP nicht zwingend notwendig. Ein bekanntes Zitat der EBP lautet: „Es gibt immer Evidenz“. Es ist ein unglückliches Missverständnis der EBP/EBM, dass ohne RCT’s keine Behandlung empfohlen werden dürfe. Rauchen beispielsweise hat vielleicht den zerstörerischsten Einfluss auf die körperliche und soziale Gesundheit und Gesundheitsorganisationen raten allesamt davon ab. Trotzdem haben wir bis zum heutigen Zeitpunkt noch keine einzige RCT über das Rauchen!

Die Effekte des Rauchens sind aus Observationsstudien bekannt. Da jedoch der Umfang des entstehenden Schadens so groß ist, wurde die Evidenz in der Pyramide nach oben gestuft. Dies zeigt ein weiteres Mal, dass die Hierarchie der Evidenz nicht in Stein gemeißelt ist.

Die Benutzung von Fallschirmen, um dem Tod und schweren Hirntraumata in Verbindung mit der Gravitationsherausforderung vorzubeugen.“

Dies ist der Titel eines im BMJ (British Medical Journal) veröffentlichten Artikels. Der satirisch geschriebene Artikel argumentiert, dass die Benutzung von Fallschirmen noch kein Thema rigoroser Untersuchungen durch RCT’s gewesen sei und seine lebensrettende Funktion somit nicht belegt sei. Kritiker der EBP nutzten dies als Kritik gegen EBP und die Verlässlichkeit von RCT’s.

EBP hatte immer den Standpunkt, dass RCT’s nicht erforderlich seien, wenn das Wirkungsausmaß, ob positiv oder negativ, sehr hoch ist.

Insulininjektionen, das Heimlich-Manöver und die Anästhesie sind alles Beispiele für Verfahren, bei denen das Ausmaß des Nutzens sehr groß ist und RCT’s somit nicht benötigt werden.

       

Ich bin nicht kompetent genug, um Studien kritisch zu analysieren.

Im Feld von Training und Gesundheit gibt es einige gute Ressourcen, welche die Evidenz für einen kritisch untersuchen. Beispiele hierfür wären (Achtung, englische Quellen!) www.alanaragon.com, www.strengthandconditioningresearch.com und www.weightology.net.

Abschließend hoffen wir, dass dieser Artikel geholfen hat, das Grundgerüst der evidenzbasierten Praxis/evidenzbasierten Medizin besser zu verstehen und wertzuschätzen. EBP ist aktuell die wertvollste Methode, um Entscheidungen in den Gebieten Gesundheit und Fitness zu treffen.

Ein guter EBP-Praktizierender sollte sowohl für die praktischen, als auch für die wissenschaftlichen Aspekte von Training und Ernährung ein tiefgehendes Verständnis haben; und noch wichtiger, Empathie und ein unermüdliches Bemühen in Bezug auf seine Klienten und deren Werte und Vorlieben.

Du fandest diesen Beitrag zum Thema Evidenzbasierte Praxis (EBP) informativ & lesenswert – – und würdest gerne mehr evidenzbasierte Informationen (Praxis & Theorie) lesen? Dann werde Leser unseres monatlich erscheinenden Magazins, der Metal Health Rx



Bildquelle Titelbild: Fotolia / Couperfield


        

Über

Anoop Balachandran verfügt über einen PhD in Exercise Physiology, einen Masterabschluss in Human Performance und ist ein ACE und NSCA zertifizierter Personal Trainer und Kraftcoach.

Fitness ist seine leidenschaftliche Passion. Auf seiner Seite ExerciseBiology.com lässt sich Anoop zu einer Vielzahl von Themen aus, die sich um Kraftsport, Leistungssteigerung, Ernährung und eine Verbesserung der Körperkomposition drehen.

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