Den Körper verstehen lernen: Über Muskeln, Faszien und Dysbalancen

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Den Körper verstehen lernen: Über Muskeln, Faszien und Dysbalancen

Von Stefan Krause | Benötigte Lesezeit: 6 Minuten |


In Anlehnung an meinen ersten Artikel hier auf Aesir Sports („Körperbewusstsein Wieso es wichtig ist und wie du es erlangst“), der sehr zu meiner Freude eine gute Resonanz zeigte, möchte ich die Thematik nun etwas vertiefen. Weil ich als Trainer und Trainierender in verschiedenen Sporteinrichtungen immer wieder enorm viele Übungen sehe, aber auch in Büchern, Zeitschriften, Fernsehen, Youtube etc., sowie von Klienten diverse Übungen gezeigt bekomme – die angeblich sehr gut sein sollen…es aber leider meist nicht sind – ist es mir wichtig, Dir  einige Zusammenhänge unseres Körpers aufzuzeigen.

Als Personal-Coach und Fitnesstrainer stelle ich immer wieder fest, dass die meisten Anfänger nicht in der Lage sind, einzelne Muskeln anzuspannen und gleichzeitig die anderen loszulassen. Dies ist einer der Gründe, dass sie die Übungen am falschen Ort spüren – beispielsweise im Nacken, statt in den Beinen oder in den Armen, statt am Rücken.

Das ist nicht deshalb so, weil sie verkrampft sind, sondern weil sie nie gelernt haben, mit ihrem Körper richtig umzugehen.

Den Körper verstehen lernen: Über Muskeln, Faszien und Dysbalancen

Grau aber nötig – Ein wenig Theorie: Tensegrity- Strukturen

Den Körper verstehen lernen: Über Muskeln, Faszien und Dysbalancen

Ein flexibler und symmetrischer Körper ist nicht nur das Ziel männlicher Athleten, sondern universal anzustreben. (Bildquelle: Flickr / Sascha Wenninger ; CC Lizenz)

Zum besseren Verständnis des menschlichen Körpers (und wie er funktioniert), möchte ich Dir die Tensegrity-Struktur vorstellen. Ohne das Wissen und Verständnis für diese Struktur kann man keine effektiven dauerhaften Erfolge haben.

Der Architekt und Ingenieur R. Buckminster Fuller entwarf diese Struktur. Tensegrity ist ein Kofferwort aus Tension  = Spannung und Integrity – Ganzheit. Es bezeichnet ein Tragwerksystem, in dem sich Strukturen durch Druck (Knochen in unserem Fall), und Spannung  (Muskeln) selbst stabilisieren. Solange die beiden Kräfte im Gleichgewicht sind, ist dieser Struktur stabil.

Tensegrity-Strukturen sind elastisch und werden umso stabiler (architektonisch in Bezug auf Bauwerke gesehen), je mehr sie belastet werden.

Wir kommen nicht darum herum, über unseren Körper nachzudenken: Muskelketten & Faszienverläufe

Muskelketten sind Muskeln, die lückenlos durch Bindegewebe (Faszien) in Verbindung stehen. Der Fachausdruck lautet daher auch „Myofaszie“. Das Wort „Myofaszie“ beschreibt die untrennbar miteinander verknüpfte Einheit aus Muskelgewebe (myo-) und dem es umgebenden Netzwerk aus Bindegewebe (Faszien). Diese Muskeln befinden sich in einer funktionellen Linie, d.h. sie beeinflussen sich gegenseitig.

Das hat zur Folge, dass ein gestörtes Glied die gesamte Kette beeinträchtigt und damit das reibungslose Zusammenspiel behindert – sei es durch einen verkürzten Muskel oder durch das unflexibel gewordene Bindegewebe. Gleichzeitig muss das Zusammenspiel des aktiven zum passiven Muskel stimmen. Diese Erkenntnisse sind sehr wichtig für den Alltag, aber auch für eine sinnvolle Trainingsplanung sowie  für den langfristigen Erfolg – sei es nun präventiv, rehabilitativ oder leistungsorientiert.

Hat man sich ein wenig Verständnis und Gefühl für funktionelle Muskelfaszienketten / Muskelschlingen angeeignet, sieht und spürt man sehr schnell, welche Übungen zur individuellen Zielerreichung passen oder am Thema vorbeigehen. 

Den Körper verstehen lernen: Über Muskeln, Faszien und Dysbalancen

Durch unsere im Laufe des Lebens erworbenen Haltungsmuster und Fehlhaltungen kommt es zu Muskelverkürzungen und Verklebungen. Es entstehen in diesen Strukturen eine verminderte Durchblutung, ein eingeschränkter Stoffwechsel sowie Schmerzen. (Bildquelle: Wikimedia.org / Dr. R. Schleip ; CC Lizenz)

Muskelschlingen & Dysbalance

Eine Bewegung ist im Normalfall das Resultat der Zusammenarbeit mehrerer Muskeln – sogenannter Muskelschlingen. Wenn Du in die Hocke gehst, arbeiten die Gesäßmuskeln, die Oberschenkelmuskeln und die Wadenmuskeln im Verbund, eben als „Schlinge“, oft auch bezeichnet als „Kette“. Ist Dein Oberschenkel relativ schwach, liegt eine sogenannte Dysbalance in der Muskelschlinge vor.

Der Fachmann erkennt dies daran, wie Du in die Hocke gehst. Du wirst die Bewegung so ausführen, dass die starken Muskeln in der Schlinge den Schwachen entlasten. Um die Dysbalance in der Muskelschlinge zu korrigieren, gilt es den schwachen Muskel aufzutrainieren (u.a. auch isoliert), so dass er die Belastung nicht auf die anderen abschieben kann.

Wie werden diese Dysbalancen üblicherweise korrigiert?

Indem der verkürzte Muskel gedehnt wird – und das so lange, bis er gleich schwach, ist wie sein Antagonist (der gegenüberliegende Muskel). Das ist Korrektur nach unten, also Nivellierung.

Den Körper verstehen lernen: Über Muskeln, Faszien und Dysbalancen

Einseitiges Training kann körperliche Dysbalancen, Fehlhaltung und Muskelfunktion negativ beeinträchtigen. (Bildquelle: Pixabay.com / Rogerio Beatz ; CC Lizenz)

Besser wäre es – was leider noch zu selten geschieht –  nach oben zu korrigieren, also beide Muskeln zu kräftigen, bis sich die Kraft nicht mehr steigern lässt. Der Schwache holt schnell auf, der Starke hat ohnehin ein geringeres Zuwachspotential. Ja näher beide ihrer genetischen Grenze kommen, desto ausgeglichener wird ihr Kraftverhältnis. Der Schwerpunkt wird also auf die genaue Ausrichtung des Körpers gelegt, was ein besseres Gleichgewicht in der Muskulatur schafft. Dadurch bekommst Du  eine bessere Körperhaltung.

Durch die dadurch entstehende korrekte Ausrichtung – z.B. der Knochen und Gelenke – verbessern sich die Atmung und der Energiefluss im Körper. Sind die Muskeln, Gelenke und Knochen wieder im Lot, können somit auch blockierte Bereiche aufgelöst werden. Die Kraft wird durch den gesamten Körper geschickt und dort auf viele Strukturen  verteilt.

Das Bindegewebe (Faszien)

Das Bindegewebe hat elementare Aufgaben im Körper. Es umhüllt und verbindet lückenlos alle Teile miteinander (Muskeln, Organe, Nerven, Gefäße, Knochen etc.). Sie passen sich den Zugkräften im Körper an.

Das heißt: Da wo mehr Zug oder Spannung im Körper entsteht, dort wird das Bindegewebe mehr dagegen spannen und – dadurch leider nicht elastischer – sondern fester und unelastischer werden. Zusätzlich wird die darunter liegende Struktur in ihrer Funktion beeinträchtigt. Diese Erkenntnis ist sehr wichtig für ein erfolgreiches Training! Ursachen dafür können sein: Kleinere oder größere Verletzungen, Krankheiten, seelische Probleme sowie Unfälle, die uns aus dem Lot bringen und ihre Spuren hinterlassen. Durch unsere im Laufe des Lebens erworbenen Haltungsmuster und Fehlhaltungen kommt es zu Muskelverkürzungen und Verklebungen. Es entstehen in diesen Strukturen eine verminderte Durchblutung, ein eingeschränkter Stoffwechsel sowie Schmerzen.

Jede Muskelzelle ist nicht nur von außen, sondern auch von innen mit Bindegewebe überzogen. Es hat nicht nur die Aufgabe eines Strukturgitters, sondern schützt den Muskel vor Zerreißung. Darum ist dieses Bindegewebe ein aktiver Partner der begleitenden aktiven Bewegungselemente des Muskels. Das Bindegewebe ist ein reagibles (reaktionsfähiges) Gewebe, welches zentralnervös gesteuert, sich selbst an die verschiedensten Beanspruchungen des Körpers anpasst.

Die Muskulatur

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Ein gesunder schmerzfreier Muskel ist elastisch, kräftig und gut durchblutet. (Bildquelle: Michael Coghlan ; CC Lizenz)

Ein gesunder schmerzfreier Muskel ist elastisch, kräftig und gut durchblutet. Damit eine bestimmte Bewegung erfolgen kann, müssen die Muskeln verschiedene Rollen einnehmen. Ein Muskel (oder eine Muskelgruppe), der eine bestimmte Bewegung ausübt, wird als Agonist bezeichnet, während sein Hilfsmuskel ein Synergist ist.

Der Muskel mit der genau entgegen gesetzten Funktion ist der sogenannte Antagonist.

Bei Anspannung verkürzt sich der Muskel und sein Gegenspieler muss sich entsprechend verlängern. Kann dieser sich nicht gleichermaßen verlängern, ist die Funktion des aktiven Muskels gestört. Es entstehen vermehrt Druck- und Zugkräfte in den Gelenken und Strukturen. Sind diese Kräfte zu stark, entstehen Schmerzen.

Dehnen

In diesem Zusammenhang blicken wir kurz auf die Thematik des Dehnens. Über das Thema Dehnen wurde schon viel geschrieben. Aktives, passives, dynamisches oder statisches Dehnen…oder was es noch so an Variationen gibt! Ich habe viele Klienten, die immer wieder sagen, dass sie sich doch dehnen und Übungen machen – es aber trotzdem nicht besser wird.

Eine der Ursachen, warum es nicht den gewünschten Effekt hat, liegt daran, dass das Bindegewebe z. B. zu schnell gedehnt wird. Was zur Folge hat, dass es dabei reißt! Das ist auch die häufigste Form von Bindegewebsverletzungen.

Wird die Dehnung dagegen „langsam“ ausgeführt, kommt es zu einer plastischen Deformation. Die Faszie wird ihre Länge verändern und diese Veränderung beibehalten. Dies ist sehr wichtig zu wissen und zu verstehen, denn immer wiederkehrende Zerrungen haben mit großer Wahrscheinlichkeit genau diese Ursache: Man meint, man müsse dehnen und statt den Muskel zu dehnen, „reißt“ man nur am Bindegewebe rum.

Leistungssportler, Kampfsportler etc. die ihren Körper bewusst wahrnehmen können haben eine andere Herangehensweise… Aber dazu später mehr in einem meiner nächsten Beiträge.

Was kann Mann/Frau nun verändern?

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Regelmässiges, forderndes Training: Heutzutage eine Bürgerpflicht, von der sich niemand lossprechen kann (oder sollte). (Bildquelle: Flickr / The U.S. Army ; CC Lizenz)

Zum gesund sein und gesund bleiben, gehört nicht nur, dass unser Körper geschmeidig sein und bleiben muss, sondern auch eine gesunde Lebensweise. Also solltest Du auch darauf achten, was Du isst, trinkst, wie Du schläfst und Dich bewegst und wie Deine Gedanken „programmiert“ sind. Fast jeder kennt das, wenn wir wütend sind oder immer negativ denken, fühlen wir uns schwach, verspannt und irgendwann auch leer.

Wer trainiert, will sich verändern, ist getragen von der Überzeugung der Machbarkeit. Früher sind die Menschen um die 30 Kilometer am Tag gelaufen. Dadurch haben sie ihren Stoffwechsel, die Muskeln, die Knochen und viele Dinge mehr in ihrem Körper aktiviert und angeregt. Die meisten für unser Befinden, unsere Gesundheit und unsere körperliche Leistungsfähigkeit bestimmenden Faktoren sind genetisch vorgegeben. Zwei wesentliche kannst Du aktiv und gezielt verändern: die Geschicklichkeit (Koordination) durch Übung und die Kraft durch Training. Im Grunde, ist alles „sehr einfach“ wenn man das Zusammenspiel der Muskeln und Faszien verstanden hat.

Das andere Problem sind WIR selbst oder der sogenannte innere Schweinehund. Es geht nicht darum, nur zu üben, wenn man Schmerzen hat – nein! –, man muss immer etwas für sich tun, regelmäßig, sein Leben lang!

Wir müssen lernen zu verstehen, dass WIR selbst sehr viel dafür tun müssen.

Du musst ja nicht jeden Tag üben, fang langsam an: Zunächst nur jeden zweiten Tag oder nur zweimal die Woche. Das ist am Anfang in Ordnung. Aber zweimal die Woche muss es schon sein – sonst bringt es Dir nicht so viel.

Wenn Du die richtigen Übungen in deinen Alltag integriert hast, wirst Du sie auch öfters ausführen, weil Du spüren wirst, dass es Dir gut tut.

Frage Dich immer:

  • Kann ich meine Muskeln willentlich bewegen und auch entspannen?
  • Habe ich lange und geschmeidige Muskeln?
  • Kann ich meinen Körper in alle Richtungen drehen, biegen ohne Schmerzen?

Die entscheidende Trennlinie zwischen Erfolg und Misserfolg lässt sich in vier Worten definieren: Ich hatte keine Zeit.

Abschließende Worte

Nimm Dir Zeit für das Wesentliche im Training. Konzentriere Dich vollkommen auf das, was Du gerade tust. Tägliche Disziplin hilft, das innere Gleichgewicht zu erhalten.

Quellen & Referenzen

[1] Meyers, TW. (2010): Anatomy Trains: Myofasziale Leitbahnen (für Manual- und Bewegungstherapeuten). 2.Auflage. Urban & Fischer Verlag. URL: http://goo.gl/tFWxia.

[2] van Wingerden, (1998): Bindegewebe in der Rehabilitation. URL: http://goo.gl/6e6PNM.

[3] van den Berg, F. (2010): Angewandte Physiologie: Band 1. Das Bindegewebe des Bewegungsapparates. 3.Auflage. Thieme. URL: http://goo.gl/isOA1C.


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Bildquelle Titelbild: Pexels.com / Binyamin Mellish ; CC Lizenz


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Master Personal Trainer Stefan Krause (Potsdam-Personaltraining.de), der nach über zehn Jahren Personal-Trainer-Tätigkeit jetzt umschwingen - nun mehr die Feder zu Wort kommen lassen - möchte, um seine eigenen Erfahrungen aus über 25 Jahren Kraftsport und Ernährung sowie die seiner Klienten (Frauen und Männer) wiederzugeben und auch ein Augenmerk auf die Motivationen lenken möchte.

„Meine Schwerpunkte haben sich in den letzten Jahren auf die Wirbelsäulen und Gelenkproblematik, sowohl im präventiven, als im rehabilitativen Bereich konzentriert. Ich sehe hierin die Möglichkeit eine größere Zielgruppe (in allen Altersgruppen) zu erreichen, so dass ich einer breiten Schicht von Trainierenden die Möglichkeiten biete, sich ständig neu zu erfinden, zu hinterfragen, zu motivieren und das Bestmögliche aus ihrem Körper herauszuholen. Es gilt für Otto-Normal-Verbraucher, aber auch für den fortgeschrittenen Athleten. Dies praktiziere ich jetzt mit dem Wiedergeben von Trainings-, Ernährungs- und Motivationsthemen aus meiner Praxis.

Ich würde mich freuen wenn wir in Zukunft gut miteinander kooperieren können.“

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1 Kommentare

  1. Guter Artikel.
    Dankeschön!

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