Kraftzuwächse: Wo kommen sie her? Muskelaktivierung > Hypertrophie > Ausgangskraft | Studien Review

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Kraftzuwächse: Wo kommen sie her? Muskelaktivierung > Hypertrophie > Ausgangskraft | Studien Review

Von Adel Moussa | Benötigte Lesezeit: 5 Minuten |


Hast du dich schon mal gefragt, wieso du eigentlich 10 kg mehr beugen kannst, obwohl deine Beine immer noch relativ dünn aussehen? Wenn du ein Mann bist, dann macht dich das wahrscheinlich nicht sehr glücklich, jedoch bin mir nicht wirklich sicher, ob ein näherer Blick  in eine recht aktuelle Studie, die sich mit den Mechanismen der Kraftsteigerung infolge von Widerstandstraining auseinandersetzt, dabei helfen wird dich fröhlich zu stimmen (1) – aber zumindest bist du nach diesem Artikel ein Stückchen schlauer.

Kraftzuwächse: Wo kommen sie her? Muskelaktivierung > Hypertrophie > Ausgangskraft | Studien Review

Die britischen Wissenschaftler wollten herausfinden, wo die Kraftzuwächse eigentlich herkommen. Hierzu untersuchte das Team  den individuellen und kombinierten Beitrag der Adaptionen von neuralen (antagonistisches EMG des Quadrizeps und Beinbeuger) und morphologischen (Quadrizepsvolumen und θp, den Pennationswinkel) Variablen.

Basierend auf den Daten ihrer 12-wöchigen Studie an 28 gesunden, jungen Männern, die länger als 18 Monate kein Unterkörper-Krafttraining durchgeführt hatten (und generell kein regelmäßiges körperliches Training ausführen), waren die Forscher in der Lage den individuellen Beitrag der vorher genannten Variablen – sowie den Effekt auf die anfängliche Muskelkraft der Teilnehmer bei folgendem Training – zu berechnen:

„Nach einem gründlichen Warmup aus submaximalen Kontraktionen beider Beine, führten die Teilnehmer vier Sätze unilateraler, isometrischer Kniestrecker-Kontraktionen jedes Beins aus, wobei die Sätze zwischen dem dominanten und nicht dominanten Bein abgewechselt wurden. Jeder Satz dauerte 60 Sekunden mit 2 Minuten zwischen den Sätzen jedes Beins“ -Balshaw et al, 2017.

Um die Beeinflussung des Potentials mit explosiver und anhaltender Kontraktion unterscheiden zu können, wurden die Teilnehmer weiterhin per Randomisierung in zwei Gruppen eingeteilt:

  • Die Explosivkontraktionsgruppe führte kurze, explosive Kontraktionen aus, wobei sie angewiesen wurden jede Kontraktion mit einer maximalen Beschleunigung von bis zu ≥80% für ~1 Sekunde – also „so hart und explosiv wie nur möglich“ auszuführen und dann für 5 Sekunden zwischen den Wiederholungen entspannen
  • Die anhaltende Kontraktionsgruppe führte verlängerte Kontraktionen bei 75% MVT mit 2 Sekunden Pause zwischen den Wiederholungen aus.

Für beide Gruppen stellten die Wissenschaftler einen Computermonitor bereit, der neben der Rate der Beschleunigungsentwicklung auch die Zielbeschleunigung (2 Sekunden vor jeder Kontraktion) abbildete.

Exkurs: Was kann uns diese Studie im Kontext besser trainierter Athleten verraten?

Wenn wir die Studienergebnisse der Untersuchung mit anderen Experimenten vergleichen, dann wird es  möglich Abschätzungen über die treibenden Kräfte des Muskelwachstums bei besser trainierten Personen zu machen – auch wenn die Studie wahrscheinlich mit einer anderen Kohorte wiederholt werden müsste, um es mit Sicherheit sagen zu können.

Kraftzuwächse - Wo kommen sie her? Muskelaktivierung > Hypertrophie > Ausgangskraft | Studien Review

Ohne eine Follow-Up Studie an trainierten Personen können wir über das Ausmaß des Beitrags der Muskelaktivierung, Hypertrophie und Ausgangskraft zur Kraftentwicklung bei bereits trainierenden Personen nur spekulieren. Das oben ist meine Schätzung – nur eine belesene Vermutung. (Bildquelle: Adel Moussa)

Wie Balshaw et al. aufzeigen, sind ihre Ergebnisse konform mit denen anderer EMG-Studien, die den Trainingseffekt auf die unteren Extremitäten untersuchten. Interessant ist jedoch, dass die Forscher einer anderen Studie – nämlich der von Erskine et al. (2014) widersprechen – die nur eine marginale Korrelation zwischen verbesserten Aktivierungsabläufen und Kraftzuwächsen im Bizeps (einem Muskel mit einem bereits hohen Maße an Aktivierung – auch bei untrainierten Personen hat) zeigten (2).

Dieses Ergebnis ist wichtig für unsere Abschätzung, denn es weist darauf hin, dass eine höhere Grundaktivität den Beitrag der neuralen Variablen zum Kraftaufbau reduziert. Das wiederum deutet offensichtlich darauf hin, dass trainierte Personen, die bereits signifikante Verbesserungen der neuralen Steuerung durch Training erreicht haben, deutlich weniger von der Muskelaktivität in Bezug auf die Kraftentwicklung profitieren, als untrainierte Menschen. 

Ein Äquivalent zu Abbildung 3 für gut trainierte Athleten könnte vielleicht so aussehen, wie ich es in der obigen  Abbildung dargestellt habe: Die Hypertrophie könnte den größten Einfluss haben, wohingegen die Muskelaktivierung nur einen geringen Einfluss auf die Kraftzuwächse hätte. Aber behalte im Hinterkopf, dass das nur eine belesene Vermutung ist – basierend auf der Annahme, dass die relative Beteiligung der Hypertrophie steigt, wenn die relative Beteiligung der Muskelaktivierung über die Zeit sinkt. (Achtung: Ob die drei Variablen dann immer noch 60% der Variation erklären, erscheint trotz der Reduktion der geschätzten Power um 10% in der obigen Studie als fraglich).

Jeder Teilnehmer führte die oben erwähnte isometrische Kniestreckung dreimal wöchentlich aus, bevor und nachdem die maximale spontane Beschleunigungskraft (MVT), sowie die neurale Steuerung zum Agonist (QUEMGMVT) und Antagonist (HEMGANTAG) simultan festgestellt wurden. Zusätzlich wurde QUADSVOL (Quadrizepsvolumen) durch ein MRI bestimmt und das QUADSθp (Pennationswinkel) durch Ultraschall.

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Grafik 1: Beziehungen zwischen der prozentualen Veränderung (∆) der Kniestreckung, spontaner Beschleunigung (MVT) und ∆ Quadrizepsmuskelvolumen (QUADSVOL; r = 0.461, P = 0.014), b ∆ faszialer Pennationswinkel des Quadrizeps (QUADSθp; r = −0.207, P = 0.291) nach 12 Wochen Wiederstandstraining. Die durchgehenden und gestrichelten Linien zeigen den Trend der Beziehung den Variablen an und 95% Konfidenzintervall. Die schwarzen Dreiecke stehen für die anhaltende Kontraktionsgruppe (n=15), weiße Kreise für die Explosivkontraktionsgruppe (n=13). (Bildquelle: Balshaw et al, 2017)

Ich muss sagen, dass die Art und Weise, wie die Wissenschaftler die Daten aufbereiteten, ein wenig ungewöhnlich ist – mit den Kraftzuwächsen (als eigentlich interessantes Ergebnis), würde ich erwarten, dass es sie auf der vertikalen – nicht der horizontalen – Achse dargestellt werden … aber egal.

Die beiden Grafiken (Grafik 1, oben und Grafik 2, unten) sagen dir, dass…

  • …die Hypertrophie quasi-linear zum Kraftaufbau beiträgt (Abbildung 1A) – ich würde schätzen, dass der Kehrwert des Anstiegs der linearen Regressionsgerade bei ~2,5 liegt, was bedeutet, dass jeder Anstieg der Muskelmasse um 1% auch die maximale spontane Beschleunigung um 2,5% steigen lässt.
  • …die Änderung der Agonistenaktivität quasi-linear zum Kraftaufbau beiträgt (Abbildung 2A) – ich würde schätzen, dass der Kehrwert des Anstiegs der linearen Regressionsgerade „nur“ bei 0,8 liegt, was bedeutet, dass jede Steigerung der Muskelaktivität um 1% die maximale spontane Beschleunigung um 0,8% steigen lässt.
  • Die Ausgangskraft die Kraftzuwächse nahezu vorhersagt (Abbildung 2C) – was anfangs vielleicht ungewöhnlich klingt, ist eigentlich nur logisch. Je stärker du zu Anfang bist, desto geringer werden die Zuwächse sein. Für diesen Zusammenhang würde ich den Kehrwert des Anstiegs der linearen Regressionsgerade auf ca. -1,5 schätzen, was bedeutet, dass für jedes Newtonmeter (nM) maximale spontane Beschleunigung vor dem Training, die Steigerung durch das Training um 1,5% reduziert wird
  • …die Veränderungen des Pennationswinkels und Antagonistenaktivität nicht klar zum Kraftzuwachs beitragen (Abbildung 1B, Abbildung 2B) – Wir wissen das, weil es keinen klaren Zusammenhang der beitragenden Variablen in der Regressionsanalyse der Wissenschaftler gab.

Es gibt also klare Beweise, dass die Massezuwächse (Hypertrophie), Muskelaktivierung (EMG) und natürlich die Grundkraft die Kraftzuwächse bei Krafttrainings-Anfängern bestimmen.

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Grafik 2: Die Beziehungen zwischen der prozentualen Veränderung (∆) der Kniestreckung, maximaler spontaner Beschleunigung (MVT) und: (A) Quadrizeps EMG bei Kniestreckungs-MVT (QEMGMVT; r = 0.576, P = 0.001); (B) ∆ antagonistisches Beinbeuger EMG bei Kniestreckungs-MVT (HEMGANTAG; r = 0.298, P = 0.123) und (C) Kniestreckungs-MVT vor dem Training r = −0.429, P = 0.023) nach 12 Wochen Widerstandstraining. (Bildquelle: Balshaw et al, 2017)

Der Pennationswinkel und Antagonistenaktivität (hier der Beinbeuger) scheinen auf der anderen Seite nur marginal zur Kraftsteigerung beizutragen, welche die vorher untrainierten Personen nach 12 Wochen verzeichnen konnten.

       

Was ist also die wichtigste Variable?

Das ist schwer zu sagen. Da die individuellen Korrelationen relativ schwach sind, kann man sich nicht auf die vorher berechneten Anstiege verlassen. Sie geben uns eine Idee darüberm, wie der Beitrag in der Realität aussehen würde, wenn es einen perfekten Zusammenhang zwischen den Variablen gäbe.

Um die obige Frage zu beantworten, müssen wir trotzdem in die anschließende multiple Regressionsanalyse schauen, in der die Wissenschaftler hervorheben, dass „zum ersten Mal festgestellt wurde, dass diese drei Variablen zeitgleich zu der absoluten Varianz der Kraft beitragen“ (1).

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Die multiple Regressionsanalyse der Wissenschaftler zeigt die Stärke des Beitrags jeder Variable, welche die Forscher untersuchten (Balshaw 2017).

Selbst wenn du die Massezuwächse (Hypertrophie), Muskelaktivierung (EMG) und natürlich die Grundkraft mit einbeziehst, erklären diese Variablen nur 60% der absoluten Varianz im Kraftaufbau – wobei:

  • die individuellen Beiträge zu 30,6% durch die agonistische neurale Steuerung (bekannt als Muskelaktivierung (EMG))
  • 18,7% durch den Massezuwachs und
  • 10,6% durch die Ausgangskraft

…erklärt werden.

Das bringt mich zu der unausweichlichen Frage, wie es mit erfahrenen Trainierenden aussieht (die Antwort auf diese Frage findest du oben im Exkurs).

Quellen & Referenzen

(1) Balshaw, TG., et al. (2017): Changes in agonist neural drive, hypertrophy and pre-training strength all contribute to the individual strength gains after resistance training. In: Eur J Appl Physiol. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28239775.

(2) Erskine, RM. / Fletcher, G. / Folland, JP. (2014): The contribution of muscle hypertrophy to strength changes following resistance training. In: Eur J Appl Physiol. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24610245.


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Bildquelle Titelbild: Fotolia / Vasyl


Über

Adel Moussa: “In den Seminaren die ich im Fachbereich Physik an der Uni halte, geht es darum den Studenten Daten, Fakten und Techniken zu vermitteln, die – obschon sie nichts mit Religion zu tun haben – so sicher sind, wie das sprichwörtliche “Amen in der Kirche”. Gerade das aber, also “Daten und Fakten” findet man im Internet kaum, wenn man nach Informationen über Training, Ernährung und Nahrungsergängzungsmitteln sucht. Das war jedenfalls vor ca. 4 Jahren so, und Grund genug für mich meinen eigene Blog zum Thema zu starten.

Der Name “SuppVersity” – Ihr hört schon, da stecken die Worte “University” und Supplement” drin – ist Programm. Unter www.suppversity.com nehme ich dort täglich die neusten Studien aus den Gebieten Training, Ernährung und Gesundheit unter die Lupe. Immer auf der Suche nach dem, was es vermutlich gar nicht gibt: Dem optimalen Trainings-, Ernährungs und Nahrungsergänzungsplan für mich, Euch und jedermann.”

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