Mehr Testosteron = mehr Muskeln? | Studien Review

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Supplemente für verbesserten Fettverlust | 6 „Fat Burner“, die etwas taugen

Von Damian Minichowski | Benötigte Lesezeit: 6 Minuten |


Vollmundiger kann eine Schlagzeile nicht ausfallen. Jedenfalls nicht, wenn wir auf den Bereich Bodybuilding und Muskelaufbau zu sprechen kommen: “Bodybuilding Myth Debunked: Growth-Promoting Hormones Don’t Stimulate Strength,” schreibt der ScienceDaily in einer News-Meldung vom letzten Donnerstag (14. Juni 2012) (1) und bringt damit die Herzen vieler Pumper für einen kurzen Moment zum Stillstand. 

Sollte die Annahme, dass mehr Testosteron im Körper eines Mannes ihn auch gleichzeitig für mehr Muskelmasse predisponiert, nun widerlegt worden sein? Ist der Testosteron-Spiegel doch nicht die entscheidende Schlüsselkomponente im Muskelaufbau? Sind die Ausreden vieler Heringe etwa hinfällig, wenn sie jammernd behaupten “mein Testosteronspiegel ist schuld. Die Ärzte sagen, er wäre zu niedrig!”? Und wie steht es um unsere liebe Damenwelt, die ja von Natur aus mit einem anderen Hormonprofil und weitaus wieniger “muskelstrotzendem Testosteron” ausgestattet ist – liegen die Barrieren womöglich woanders?

Testo-Kur adé? 

Ihr merkt schon – so ganz möchte ich den Braten nicht unreflektiert schlucken und auch wenn ich eigentlich keine Zeit für ausfürhliche Studienanalysen habe (jedenfalls nicht in dem Segment), so muss ich dieser Story dennoch auf den Grund gehen.

Let’s do it! 

Mehr Testosteron = mehr Muskeln? | Studien Review

Wachstumshormon, IGF-1 und ein wenig Kortisol

Das Paper von West und Phillips, welches sich mit dem Zusammenhang zwischen den trainingsinduzierten Veränderungen auf hormoneller Ebene im Zusammenhang mit hochintensiven Widerstandstraining beschäftigt, erschien erst kürzlich im European Journal of Applied Physiology. Darin unterzogen sich 56 junge Männer (die allerdings mit Krafttraining Neuland betraten, also als untrainiert gelten könnten) einem zwölfwöchigen Ganzkörperprogramm:

”[the men] were not actively participating in any weightlifting activities <= 8 months before this study.” (2)

Kein Training vorher also – na gut. Dafür bestand aus 5 Trainingstagen pro Woche und setzte sich aus mehreren Ober- und Unterkörperübungen zusammen – solides Pensum. In der Postworkout-Phase unterteilte man die Probanden in drei Gruppen nach ihrer PWO-Supplementierung: “skim-milk,” “soy beverage” (isokalorisch) und “carbohydrate” (isokalorisch). Also entweder Magermilch, ‘n Sojagetränk oder ein Kohlenhydratgetränk. Wie sonst üblich, konsumierten die Studienteilnehmer das Getränk innerhalb der nächsten Stunde postworkout. 

Im weiteren Verlauf entnahmen die Forscher den Probanden in der siebten Woche zum einen in der Ruhephase eine Blutprobe und eine weitere direkt vor der Einnahme des PWO-Supplements. Weitere Blutproben folgten rund 30, 60, 90 und 120 Minuten nach Zeitpunkt X (also dem Zeitpunkt direkt vor der Einnahme des Supps) nach einem “intense representative bout of lower-body exercise, from a regular training session” mit einer anschließenden Auswertung des Hormonprofils (2).

Schon in einer älteren Untersuchung zeigten West und Kollegen, dass unmittelbar nach dem Training (zum Ende des Experimentierzeitraumes) nur eine marginale Veränderung im Hormonmillieu postworkout stattfindet (3). Warum also nicht diesmal die Veränderungen im midpoint des Trainings (die 7te Woche) messen? 

Die Analyse des Blutes beinhaltete eine Auswertung des Serum-Wachstumshormons, dem freien Testosterongehalt, IGF-1-Werte und Kortisol-Werte. West und Phillips betonen ausdrücklich, dass es sich hier um unkorrigerte Konzentrationen im Plasmavolumen handelt (die Proben wurden alle sorgfältig bei -80° gelagert vom Zeitpunkt der Studie bis zur Auswertung). Man untersuchte auch die Veränderungen im Körpergewicht, dem Fettanteil und den der lean body mass (LBM), die “leg power” sowie die oben erwähnten Hormonwerte. 

Ergebnisse der West/Phillips-Studie 

Was haben die Forscher nun also herausgefunden? Kann man sich den Testosteronwert zukünftig schenken oder ist hier doch mehr “than meets the eye” – wie man so schön sagt. Im Paper findet sich eine Referenz zu Hartman et al., der schon 2007 feststellen konnte, dass die Probanden, die nach dem Training Milch zu sich nahmen die größten Zuwächse an fettfreier Muskelmasse verzeichneten (4). Milch hatte dort ggü. Sojaprotein und Kohlenhydraten den Vorteil:

“Subjects were randomly assigned to consume drinks immediately and again 1 h after exercise: fat-free milk (Milk; n = 18); fat-free soy protein (Soy; n = 19) that was isoenergetic, isonitrogenous, and macronutrient ratio matched to Milk; or maltodextrin that was isoenergetic with Milk and Soy (control group; n = 19).” (4)

Nun wurden einige statistische Kniffe angewendet und man behalf sich sogenannte Z-Scores (Standardisierung der Werte). Hätten die Testosteronspiegel nun tatäschlichen Einfluss auf die fettfreie Masse (LBM), so hätte dies in einer höheren “Z-Score” resultieren müssen. (”irrespective of nutrition, you would expect that those individuals that had higher Z scores would have greater testosterone responses.”) (4).

Die Magermasse stieg während des Experimentes im Durchschnitt um 3,1 kg (12 Wochen!!!!), die Zusammensetzung der Muskelfasern stieg bei Typ I um 641 μm² und bei Typ II um 1123 μm² auf einem höchst signifikantem Niveau (P<0,01), genauso wie der 1RM Wert (ebenfalls (<0,01). Der Konsum der PWO-Supplemente schien in der Untersuchung unmittelbar und 60 Minuten nach dem Training keinen Einfluss auf die durch das Training bewirkte Hormonveränderungen zu verursachen – doch die Kortisolspiegel zeigten eine positive Korrelation mit der LBM im Gegensatz zum Wachstumshormon, dem Testosteron und IGF-1. Fernerhin scheinen die Hormonwerte keinen Einfluss auf die “leg strength” bei 1 RM entfaltet zu haben. 

  • Für die Veränderungen in der Muskelfaserzusammensetzung Typ I spielte das Wachstumshormon eine signifikante Rolle – Kortisol, Testosteron und IGF-1 dagegen nicht.  
  • Für die Veränderung in der Muskelfaserzusammensetzung Typ II waren es das Wachstumshormon UND Kortisol – Testosteron und IGF-1 wiederum nicht.

Wie sind die Ergebnisse der West/Phillips-Studie zu interpretieren? 

Wie so oft hinterlassen derartige Untersuchungen oftmals mehr Fragezeichen, als dass die Fragen wirklich beantworten. Das Ziel der Studie bestand darin, die durch das Training induzierten Effekte auf diverse Hormone zu analysieren. Namentlich:

  • Wachstumshormon 
  • Testosteron 
  • IGF-1 
  • Kortisol 

Man nahm auch die Veränderungen der Probandenkörper in Augenschein und untersucht hierbei:

  • die Veränderung der Magermasse (Muskeln
  • die Veränderung in der Muskelfaserzusammensetzung (Typ I & II) 
  • die Beinkraft beim leg press (1 RM)

Im Paper resümieren West/Phillips: KEINE Verbindung zwischen BEINKRAFT und der durch das Training bewirkten hormonellen Veränderung. KEINE Veränderung in der Magermasse die auf WACHSTUMSHORMON und TESTOSTERON zurückzuführen ist. Stattdessen hatten WACHSTUMSHORMON und KORTISOL einen Einfluss auf die Veränderung der Typ II-Fasern (Erklärungsgüte ~8% und 12% der Varianz im Endergebnis). 

Anzumerken sei noch, dass es sich hier natürlich um die Auswirkungen der VERÄNDERUNGEN der Hormonwerte handelt – nicht die “natürliche Ausstattung” (2). AHA, so sind die Dinge also – das Haar in der Suppe ist gefunden. Das alleine relativiert für mich die Studie schon einwenig und ich hoffe, der geneigte Aesir Sports Leser weiß, was ich damit meine. Ob und mit wieviel Testosteron (oder irgend ein anderes Hormon) man uns auch ausgestattet hat im Leben (der “natürliche Spiegel”) kann schon seine Auswirkung haben – insbesondere, wenn es vielleicht um “chronisch erhöhte Werte” geht (z.B. Testo-Kur?). 

Die hormonellen Veränderungen derjenigen, die aufgebaut und sich verbessert haben (”responders”) unterschied sich im Endergebnis nicht wesentlich von den Werten der anderen Teilnehmer (”non-responders”). 

“[…] subjects at the top ~16% in terms of resistance exercise phenotypic responses were no different from those at the bottom ~16% in terms of the acute response of testosterone, GH, IGF-1 and cortisol.” (2)

Während man also in der gängigen Literatur darüber diskutiert, dass die hormonellen Veränderungen, die durch das Training herbeigeführt wird, einen signifikanten Impact auf das Muskelwachstum hat (”größere Hormonausschüttung”), scheinen West/Phillips der Theorie einen kleinen Lackschaden verpasst zu haben. Ein interessantes Point-out wird aber noch hinblicklich des Kortisols gemacht, welches im gängigen Kanon als vermeintlich “böser, kataboler Teufel” gehandelt wird – hier aber eine durchaus positive – wenn auch schwache – Korrelation mit der Erhöhung der Typ II Muskelfasern und der Magermasse (zusammen mit dem Wachstumshormon) aufweist -> höhere Kortisolspiegel = mehr Muskeln und mehr Fasern? Seems fishy, mh?

Vermutlich wird man also auch in Zukunft mehr Farben als nur Schwarz und Weiß zulassen müssen, wenn man die genauen metabolischen Prozesse verstehen will. Abschließend noch ein Zitat mit Referenz auf den Science Daily-Artikel der letzten Tage: 

“However, we did not observe any significant relationships between the exercise-induced increase in testosterone concentration and the degree of LBM, hypertrophy or strength.” (2)

Alles in allem bewirkte das Training eine Verdopplung der Testosteronspiegel für ~15-30 Minuten, was aber angesichts einer exogenen – chronischen – Zufuhr (über Wochen/Monate) von Testosteron vermutlich nicht einmal erwähnenswert wäre. 


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Takeaway 

Die durch das Widerstandstraining bewirkten Veränderungen im hormonellen Millieu scheinen in letzter Instanz nicht unbedingt den ausschlaggebenden Grund für mehr Muskeln, eine bessere Muskelfaserzusammensetzung und letzendlich auch Power zu bedeuten. Von einem natürlichen Basiszustand aus gesehen, war die Erhöhung in einschlägigen “Muskelhormonen” wie Testosteron, Wachstumshormon und IGF-1 nicht wesentlich unterschiedlich – und doch gab es “responder” und “non-responder” – also jene, die verdammt gut und verdammt schnell aufgebaut haben und jene, bei denen das 12wöchige Training nur wenige Auswirkungen zeigte. 

Probanden in der Spitze konnten bis zu 3,2 kg Magermasse während des Experiments aufbauen – zu bedenken gilt hier aber, dass keiner der Teilnehmer für mindestens 8 Monate einen Eisenkeller von innen gesehen hat. Ob und inwiefern es hier Memory-Effekte gibt, wird nicht erwähnt. Ob und in wiefern die Teilnehmer von vorher einmal trainiert haben auch nicht. Es bleibt also zur Spekulation, ob es sich hier um den vermeintlichen “Anfängerbonus” gehandelt hat oder die Gründe für den Zuwachs woanders zu lokalisieren sind. Egal, was nun dafür verantwortlich war: ich würde davon gerne auch was abbekommen. 

Spaß beiseite – das war es für heute. Die zweite Studie, die sich mit der geschlechtsabhängigen Auswirkung der Proteinbiosynthese in der Post-Workout-Phase beschäfitigt (und die auch im ScienceDaily-Artikel auftaucht) gibt es demnächst. Bis dahin: bleibt anabol Leute.

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Quellen & Referenzen

(1) ScienceDaily (2012): Bodybuilding Myth Debunked: Growth-Promoting Hormones Don’t Stimulate Strength. URL: http://www.sciencedaily.com/releases/2012/06/120614130946.htm.

(2) West, DWD. / Phillips, SM. (2012): Associations of exercise-induced hormone profiles and gains in strength and hypertrophy in a large cohort after weight training. In: European Journal of Applied Physiology: 2012; 112 (7): 2693-2702: doi: 10.1007/s00421-011-2246-z. URL: http://www.springerlink.com/content/228h54586751g19l/fulltext.html.

(3) West, DWD. / Burd, NA. / Tang, JE. / Moore, DR. / Staples, AW. / Holwerda, AM. / Baker, SK. / Phillips, SM. (2010): Elevations in ostensibly anabolic hormones with resistance exercise enhance neither training-induced muscle hypertrophy nor strength of the elbow flexors. In: Journal of Applied Physiology: 2010; 108 (1): 60-67. Epub 2009. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19910330?dopt=Abstract.

(4) Hartman, JW. / Tang, JE. / Wilkinson, SB. /Tarnopolsky, MA. / Lawrence, RL. / Fullerton, AV. / Phillips, SM. (2007): Consumption of fat-free fluid milk after resistance exercise promotes greater lean mass accretion than does consumption of soy or carbohydrate in young, novice, male weightlifters. In: American Journal of Clinical Nutrition: 2007; 86 (2): 373–381. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17684208?dopt=Abstract.


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Bildquelle Titelbild: Fotolia / Jale Ibrak

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Damian N. „Furor Germanicus“ Minichowski ist der Gründer und Kopf hinter dem Kraftsport- und Ernährungsmagazin AesirSports.de. Neben zahlreichen Gastautorenschaften schreibt Damian in regelmäßigen Abständen für bekannte Online-Kraftsport und Fitnessmagazine, wo er bereits mehr als 200 Fachartikel zu Themen Kraftsport, Training, Trainingsphilosophie, Ernährung, Gesundheit und Supplementation geschrieben hat.

Zu seinen Spezialgebieten gehört das wissenschaftlich-orientierte Schreiben von Fachartikeln rund um seine Passion – Training, Ernährung, Supplementation und Gesundheit.

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