Muskelspezifische Hypertrophie: Brust, Trizeps & Schultern

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Von Menno Henselmann | Benötigte Lesezeit: 13 Minuten |


Der Aufbau eines massiven Körpers erfordert unglücklicherweise einen ausgefeilteren Ansatz, als einen, bei dem es einfach darum geht so viel Gewicht zu heben, wie es menschlich möglich ist. Damit du weißt, wie du einen bestimmten Muskel am besten trainierst, musst du seine physische Struktur verstehen lernen – im Speziellen die Biomechanik und Muskelfaserverteilung.

Diese Informationen helfen dir bei der Auswahl des richtigen Wiederholungsbereichs (Rep Range), dem wöchentlichen Volumen und den entsprechenden Pausenzeiten für optimale Resultate. Viele Kraftsportler individualisieren diese Belastungsparameter nämlich überhaupt nicht, wenn es darum geht auf den individuellen Muskel Rücksicht zu nehmen.

Ein Beispiel: Sie trainieren 4-6 Wochen auf „Hypertrophy“ und absolvieren dafür 8-12 Wiederholungen pro Satz. Das ist ein Fehler, denn optimale Muskelhypertrophie ist auch stets muskelspezifisch.

Fangen wir also an…

In diesem zweiteiligen Artikel werde ich dir die notwendigen Informationen für diese zwei Hauptaspekte, die Biomechanik und Muskelfaserverteilung, für jede der Hauptmuskelgruppen liefern. Der heutige Text behandelt Brust, Trizeps & Schultern, aber beginnen wir am besten mit einer kleinen Rekapitulation bezüglich Muskelfasern.

Muskelspezifische Hypertrophie: Brust, Trizeps & Schultern

Das kleine Faser 1×1

Es gibt mindestens 3 unterschiedliche Muskelfasertypen. Um beispielsweise die kontraktile Geschwindigkeit zu erhöhen, die Kraftproduktion zu steigern und Widerstandsfähigkeit gegenüber Ermüdung auf ein hohes Level zu bringen, besitzen deine Muskeln Fasern des Typ I, Typ IIa und Typ IIb. Typ I Fasern werden auch als „langsam-zuckend“ bezeichnet, während Typ II Fasern als „schnell-zuckend“ gelten.

Die nachfolgende Tabelle listet die Charakteristika der Fasern für jeden Muskelfasertyp auf.

 Typ I FasernTyp IIa FasernTyp IIb Fasern
KontraktionsgeschwindigkeitLangsamModerat schnellSehr schnell
Größe der MotorneuronenKleinMittelSehr groß
ErschöpfungswiderstandHochRecht hochNiedrig
Aktivität genutzt fürAerobischAnaerobisch (langfristig)Anaerobisch (kurzfristig)
Maximale Nutzungsdauer Stunden< 30 Minuten< 1 Minute
Produzierte KraftGeringMittelGroß
Mitochondriale DichteHochHochGering
KapillarisierungHochMittelGering
Oxidative KapazitätHochHochGering
Glykolytische KapazitätGeringHochHoch
HaupttreibstoffTriglycerideCreatin-Phosphat, GlykogenCreatin-Phosphat, Glykogen

Jeder Muskel besitzt eine andere Muskelfaseraufteilung. In einigen dominieren die schnell-zuckenden Muskelfasern, während in anderen wiederum der Anteil an langsam-zuckenden Muskelfasern stärker ausfällt. Die Muskelfaserzusammensetzung ist zum größten Teil genetisch bedingt und hat starke Implikationen für muskelspezifisches Training.

  • Schnell-zuckende Muskelfasern reagieren am besten auf ein relativ niedriges Volumen, lange Pausenintervalle, eine hohe Intensität und eine niedrige Frequenz.
  • Langsam-zuckende Muskelfasern reagieren am besten auf ein hohes Volumen, kurze Pausenintervalle, eine niedrige Intensität und eine hohe Frequenz.

Aber der vielleicht wichtigste Punkt: Schnell-zuckende Muskelfasern besitzen das größte Wachstumspotenzial (größer als langsam-zuckende Muskelfasern).Selbst in untrainierten Individuen sind sie normalerweise ~20 % größer und es ist nichts unübliches, wenn sie sogar die doppelte Größe erreichen.

Muskelspezifische Hypertrophie: Brust, Trizeps & Schultern

Unterschiedliche Muskelfasern weisen unterschiedliche Charakteristika und Leistungseigenschaften auf. Zwar gibt es weitaus mehr als “nur” der Fasertypen, allerdings erfolgt die Einteilung aus Gründen der Vereinfachung in 3 Obertypen (beim Menschen): Typ I (langsam-zuckend), Typ IIa (schnell-zuckend) und Typ IIb (schnell-zuckend), (Bildquelle: Wikimedia / Blausen.com staff)

Die Muskelfaserzusammensetzung jedes Muskels variiert in Individuen, doch wie bei so vielen physischen Charakteristika unterscheiden sich Menschen nicht besonders stark voneinander. In der normalen Bevölkerung liegen die Unterschiede bei der prozentualen Verteilung der langsam-zuckenden Muskelfasern normalerweise unter 5 % (und immer unter 10%). In dieser Beziehung bist du also vermutlich keine Ausnahme – auch wenn deine Mama dir vielleicht was Gegenteiliges gesagt hat.

Muskelfasern können sich von einem Typ zu einem anderen Typ entwickeln (nüchtern betrachtet ändert sich der Typ nicht, aber die Eigenschaften und Charakteristika einer Faser können sich einem anderen Typ annähern). Zunehmendes Alter ist zum Beispiel ein Faktor (die Anzahl der schnell-zuckenden Muskelfasern im Körper scheint mit dem Eintritt in das 30. Lebensjahr abzunehmen), wobei einige Studien zeigen konnten, dass hochintensives Widerstandstraining diese Reduktion verhindern / vorbeugen kann

Bodybuilding-typisches Training, also im Wiederholungsbereich von 6-12 Wiederholungen pro Satz, ist in der Lage beide Muskelfasertypen, sowohl Typ I als auch Typ IIb in Muskelfasern des Typs IIa zu transformieren (oder anzugleichen),

Wie auch immer du es drehen und wenden willst: Da Gewichtheber, Powerlifter, Bodybuilder und Individuen, die kein Sport treiben, sich in weniger als 5% hinsichtlich der langsam-zuckenden Muskelfasern unterscheiden, ist es auch gleichzeitig sehr unwahrscheinlich, dass du die Muskelfasertransformation in irgendeiner Form bei deinem Training mit berücksichtigen musst.

Weiterhin ist die Theorie, wonach hochintensives Training (>90% deines 1 RM) optimal für Hypertrophie sein soll, weil es zu mehr schnell-zuckenden Muskelfasern führt und diese bekanntlich das größte Wachstumspotenzial haben, falsch. Ja, indem du stärker wirst, hilft dir das natürlich auch dabei größer zu werden und es erlaubt dir auch mehr Stress auf deine Muskulatur auszuüben, aber es ist ebenso wichtig, dass du die langsam-zuckenden Fasern nicht vernachlässigst.

Bei Bodybuildern fand man eine gleichmäßige Hypertrophie beider Faserarten. Konträr dazu zeigen Powerlifter und Olympische Gewichtheber eine bevorzugte Hypertrophie zu Gunsten von Typ II Fasern. Daraus können wir schließen: Für eine möglichst maximale und umfassende Hypertrophie solltest du stets die richtige Balance zwischen Volumen und Intensität finden.

Muskelspezifische Hypertrophie: Der Test

Natürlich ist all das sehr theoretisch, wenn du deine persönliche Muskelfaserverteilung der Muskulatur nicht kennst. Um dieses Problem zu lösen, haben einige smarte Trainer – die aus welchem Grund auch immer stets Französisch-Kanadisch zu sein scheinen – einen Test entwickelt, um herauszufinden, wie schnell-zuckend ein Muskel ist. Dieser Test ist üblicherweise als 80% Test bekannt.

Muskelspezifische Hypertrophie: Brust, Trizeps & Schultern

Der 80% Test ist zwar nützlich, aber nicht das Nonplusultra. Es ist schwierig eine Übung zu finden, die den Muskel aufreichend isoliert UND dann auch noch den persönlichen 1 RM Wert zu ermitteln. (Bildquelle: Wikimedia / Kemberly Groue ; CC Lizenz)

Kurz gesagt: Du ermittelst dein 1 RM für eine bestimmte Übung, die den Muskel entsprechend isoliert – und dann schaust du, wie viele Wiederholungen du bei einer Intensität von 80% deines 1 RM Wertes schaffst.

  • Wenn du weniger als 8 Wiederholungen packst, ist dein Muskel schnell-zuckend dominant
  • Wenn du mehr als 8 Wiederholungen schaffst, dann ist er langsam-zuckend dominant.

Von diesem Test gibt es noch vielfach elaboriertere Abwandlungen. So verwendet beispielsweise Charles Poliquin 85% für 5 Wiederholungen als Norm, doch das Prinzip ist immer das Gleiche. Wenn du mehr über dieses Verfahren erfahren willst, empfehle ich dir das Buch von Chrisian Thibaudeau, welches unter dem Titel „Black Bock of Training Secrets“ veröffentlich wurde.

Der Vorteil von diesem Test ist jener, dass er individualisiert ist. Der Nachteil ist, dass er ziemlich unpraktisch ist und ich kenne niemanden, der ihn systematisch nutzt, da du für jeden Muskel eine Übung finden musst, die ihn wirklich isoliert.

Das heißt, dass es vermutlich schwierig wird mit der jeweiligen Übung das Maximum (1 RM) zu bewegen (schon mal Flyes oder Seitenheben bei einer Intensität von 1 RM durchgeführt?). Erschwerend kommt hinzu, dass du neurale Faktoren nicht umgehen kannst: Schlechte Technik oder ineffizientes Nervensystem werden dafür sorgen, dass du dein 1 RM unterschätzt, was dazu führt, dass du dich mehr in Richtung langsam-zuckende Faserverteilung einordnen wirst, als du tatsächlich bist.

Du kannst Übungen wie Frontkniebeugen oder Kurzhantelbankdrücken nutzen, um eine allgemeine Vermutung deiner Muskelfaserverteilung zu bekommen, aber diese Methode ist alles andere als perfekt.

Die gute Neuigkeit ist, dass es bezüglich der Muskelfaserkomposition einiges an wissenschaftlicher Forschung gibt – nachdem wir also nun die Einführung hinter uns gebracht haben, wird es Zeit für das gute Zeug.

Muskelspezifische Hypertrophie: Brust, Trizeps & Schultern

Willst du Kraft oder willst du Masse? Powerlifter weisen oftmals eine nicht ganz so gut entwickelte Brust wie Bodybuilder auf – dafür haben sie mehr Dampf! Für die ultimative Brustentwicklung sind “Powerliftertechniken” daher eher ungeeinget. (Bildquelle: Flickr / Andrew Blight ; CC Lizenz)

Muskelfaserspezifisches Training: Die Brust

Der Pectorialis major besteht aus zwei Köpfen – dem sternalen Kopf (untere Brust) und dem klavikularem Kopf (obere Brust). Die Hauptaufgabe der Brust besteht darin eine transverse Schulterbeugung und –adduktion, wie z.B. bei Kurzhantel-Flyes, durchzuführen (Bewegung zur Brustmitte). Um also die Brustmuskulatur zu treffen, solltest du Übungen nutzen, welche die transverse Schulterbeugung oder –adduktion beinhalten.

Randnotiz: Es handelt sich um eine Beugung, wenn die Schultern intern rotieren und es handelt sich um eine Adduktion, wenn die Schultern extern rotieren. Wenn du Probleme damit hast die Rotation deiner Schulter nachzuverfolgen, dann solltest du deine Ellbogen im Auge behalten, wenn deine Arme frontal gehoben sind.

  • Ellbogen, die nach außen zeigen, heißt gleichzeitig, dass die Schulter intern rotiert.
  • Ellbogen, die auf den Bogen zeigen, deutet auf Schultern, die extern rotieren, hin.

Merk dir das, denn du wirst dieses Wissen gleich benötigen.

Zusätzlich dazu entscheidet der Winkel zwischen Armen und Körper darüber, welcher Kopf der Brustmuskulatur am stärksten trainiert wird: Schräg(bank) für die obere Brust und Negativ(bank) für die Untere.

Ein Problem, welches vielen Kraftsportlern beim Brustmuskeltraining zu eigen ist, besteht darin, dass der vordere Deltoidmuskel irgendwann übernimmt. Dieser ist ebenfalls an der transversen Schulterbeugung beteiligt, aber bei der Adduktion fällt seine Rolle sehr gering aus. Wenn du also deine Brust vom vorderen Deltoidmuskel isolieren willst, musst du Bewegungen mit einer extern rotierenden Schulter durchführen. Die offensichtlichste Wahl würde auf Fliegende fallen, wo du automatisch versuchst eine leichte Supination deiner Hand hinzukriegen.

Die Brustmuskulatur wird von schnell-zuckenden Muskelfasern (~60%) dominiert, daher sollte hier ein eher niedriger bis mittelhoher Wiederholungsbereich zum Einsatz kommen. (Bildquelle: Wikimedia)

Die Brustmuskulatur wird von schnell-zuckenden Muskelfasern (~60%) dominiert, daher sollte hier ein eher niedriger bis mittelhoher Wiederholungsbereich zum Einsatz kommen. (Bildquelle: Wikimedia)

Sei es wie es sei: Der Brustmuskel wird zwar am besten durch Übungen isoliert, die eine extern rotierende Schulter bedingen, allerdings ist er biomechanisch effizienter (und damit stärker) wenn die Schulter intern rotiert wird.

Das bedeutet, dass du deine Brust nicht maximal stimulieren kannst, ohne dass du den vorderen Deltoidmuskel entsprechend mittrainierst – und das solltest du stets im Hinterkopf behalten, wenn du dein Training planst. Ein typischer Fehler liegt in der Überbetonung der vorderen Deltas.

Welche Übung ist also die Beste zur Stimulation der Brust?

Für drückende Übungen bedeutet dies, dass, je weiter seitlich du die Ellbogen ausfährst, desto besser. Dies sorgt für eine interne Rotation der Schulter und sorgt dafür, dass die Übung eine größere transverse Schulterbeugung herbeiführt (und dafür weniger einer non-transversen Schulterbeugung), was im Übrigen die Bewegung ist, die stattfindet, wenn du mit Frontheben arbeitest (und die hauptsächlich die vorderen Deltas trifft).

In Zustimmung mit Vince Gironda und TC, sind Neck/Guillotine Presses die beste Übung für die Brust, die überhaupt existieren. Bei einigen führt Bankdrücken auf diese Art und Weise auf kurz oder lang zu Schulterproblemen, insofern könnte das Ausweichen auf Kurzhanteln oder die gänzliche Vermeidung des Risikos die bessere Wahl sein.

Eine unterschätzte Übung, welche die Schultern nicht kaputt macht und dafür die Brust dennoch sehr gut trifft, sind Fliegende mit proniertem Griff. Viele Trainierende absolvieren Fliegende exklusiv im neutralen Griff, doch der Pectoralis major ist viel stärke, wenn die Schulter intern rotieren, insofern ist der pronierte Griff überlegen hinsichtlich der Bruststimulation.

Du kannst diese Übung mit Kurzhantel absolvieren, allerdings haben Kurzhantel Fliegende eine Widerstandskurve, welche sich nicht mit der menschlichen Kraftkurve deckt (keine Spannung am oberen Ende), während das zu tiefe Absenken die Schultern in Mitleidenschaft ziehen könnte. Daher bevorzuge ich die Version am Zugturm. Wenn dein Studio nicht die richtigen Griffe hat, die einen pronierten Griff erlauben (gerade Griffe und kurze Seile), kannst du die Kabel auch an den Karabinern packen (Griffe sind eh was für Pussies, oder?) oder Seile durch die Karabiner ziehen und dich an den Seilen festhalten.

Bezüglich der optimalen Wiederholungszahl für Brustmuskelübungen: Die sind relativ niedrig bis mittelhoch. Die Brustmuskulatur ist eine Leistungsmuskulatur, was dazu führt, dass die beiden Köpfe bei nahezu jedem vorwiegend mit schnell-zuckenden Muskelfasern ausgestattet sind (im Durchschnitt 60% Typ II Fasern)

Home Message für die muskespezifisches Brusttraining

  • Der Brustmuskulatur besteht hauptsächlich aus schnell-zuckenden Muskelfasern (~60% Typ II)
  • Die Brustmuskulatur ist am stärksten, wenn die Schultern intern rotieren (Ellbogen zeigen voneinander weg während des Bankdrückens), insofern wird sie am besten isoliert, wenn die Ellbogen seitlich ausgefahren werden.
  • Trainiere im mittleren Wiederholungsbereich mit Fliegenden am Kabelzug im pronierten Griff.

Muskelspezifisches Training: Der Trizeps

Wenn du den Inhalt der Sektion über die Brust verstanden hast, dann wirst du erahnen, wieso Bankdrücken mit der Technik eines Powerlifters nicht optimal für die Entwicklung der Brust sein wird. Powerlifter verfügen oftmals nicht über eine ausgeprägte Brust, aber ihr Trizeps ist dafür in der Regel monströs (Dave Tate, anyone?).

Muskelspezifische Hypertrophie: Brust, Trizeps & Schultern

Heiß begehrt: Das “Hufeisen” zeigt einen ausgeprägten Trizeps, der überdies schnell-zuckend dominant ist. Überkopfbewegungen sind für eine umfassende Entwicklung gefragt.(Bildquelle: Wikimedia / David van der Mark ; CC Lizenz)

Dies liegt nicht nur an der Biomechanik (Brücke, Ellbogen eng am Körper, J-Kurve) des Bankdrückens nach Powerlifter-Manier, welche den Trizeps (ggü, der Brust) überbetont, sondern auch wegen der Muskelfaserverteilung des Trizeps. Der Triceps brachii ist noch weit mehr ein „Leistungsmuskel“ als die Brust. Der Anteil an schnell-zuckenden Muskelfasern übertrumpft seine hinkenden Counterparts um 2 zu 1 (mit zirka 67% Typ II Muskelfasern). Demnach liegt die beste Strategie darin mit relativ wenigen Wiederholungen zu arbeiten.

Und es gibt noch eine weitere Kleinigkeit, die du über den Trizeps wissen solltest: Er besteht aus 3 Köpfen (längs, lateral und medial) und der lange Kopf ist zweigliedrig – was bedeutet, dass er das Ellbogen- und Schultergelenk kreuzt und somit bei der Dehnung und Adduktion der Schulter hilft (bewege doch mal deinen Arm nach unten zum Körper).

Dies heißt wiederum, dass der Trizeps die „aktive Insuffizienz“ betritt, wenn er als Ellbogenstrecker auftreten muss, wenn die Schulter adduziert oder gedehnt ist. Der Muskel kann nicht genug Spannung ausüben, um an beiden Gelenken zur selben Zeit aktiv zu wirken. Im Grunde genommen sorgt das dafür, dass alle horizontalen Drückbewegungen, darunter Dips (du könntest jetzt behaupten, dass es eine vertikale Bewegung ist; ich sage: Wen kümmerts?), für eine Unterstimulation des langen Kopfs sorgen. Du brauchst Überkopfbewegungen, um den kompletten Trizeps zu trainieren.

Muskelspezifische Hypertrophie: Brust, Trizeps & Schultern

Er heißt Trizeps, weil er aus drei Köpfen (=tri) besteht: Ein länglicher Kopf, ein medialer Kopf und ein lateraler Kopf. Gefragt ist ein niedriger Wiederholungsbereich für kompromissloses Trizepswachstum. (Bildquelle: Wikimedia / Anatomography ; CC Lizenz)

Take Home Message für die muskelfspezifisches Trizepstraining

  • Der Trizeps besteht zu 67% aus schnell-zuckenden Muskelfasern, also solltest du ihn gemäß des Prinzips „go heavy or go home“
  • Der lange Kopf des Trizeps muss mit Überkopfbewegungen trainiert werden.

Muskelspezifisches Training: Die Schultern

Wie du vielleicht bereits weißt, gibt es 3 Delotidmuskel – den vorderen, den lateralen und den hinteren Kopf der Schulter. Ach und übrigens: So etwas wie einen „medialen Kopf“ gibt es gar nicht. In der Anatomie bezieht sich der Begriff medial auf „nahe an der Körpermitte“, wobei sich die korrekte Bezeichnung (lateral) auf „außen am Körper“ bezieht. Diese Begriffe werden häufig durcheinander gebracht … verständlicherweise, aber sie bedeuten das genaue Gegenteil und sind keine Synonyme.

Glaub mir: Die Terminologie ist nicht das einzige, was beim Schultertraining falsch verstanden wird: Viele Athleten nutzen ein komplett unbalanciertes Programm für die Schulter. Gundill (2002) merkt an, dass Bodybuilder über vordere Deltamuskel verfügen, die in der Regel 5 Mal so groß sind, wie bei Personen, die nicht trainieren – doch die lateralen Deltas sind dagegen nur 3 Mal so groß, während es die seitlichen Deltas im Schnitt auf +10-15% schaffen!

Muskelspezifische Hypertrophie: Brust, Trizeps & Schultern

Mit vorderen Deltamuskeln kein Problem: Die meisten Bodybuilder weisen eine überproportionale Entwicklung der vorderen Schultermuskulatur hin. Hier muss ein Ausgleich geschaffen werden, um Dysbalancen und Verletzungen vorzubeugen..(Bildquelle: Wikimedia / William R. Goodwin ; CC Lizenz)

Das ist auch nicht weiter überraschend, da die meisten noch eine ganze Menge horizontale und vertikale Arbeit verrichten, obwohl sie die Schulter noch einmal separat trainieren (und das Schultertraining ist bereits von Anfang an nicht besonders gut ausbalanciert). Dies liegt zum Teil daran, dass Seitenheben als gute Isolationsübung für den lateralen Deltamuskel angesehen werden. Ist es leider nicht, solange du die Übung nicht modifizierst. Während der Abduktion, wie beim Seitenheben, liegt die generierte Kraft zu 100% beim lateralen Deltamuskel, zirka 75% beim vorderen Deltamuskel und 25% beim Supraspinatus.

Bedeutet: Der Supraspinatus (ein weiterer Muskel der Rotatorenmanschette) und der vordere Deltamuskel generieren zusammen genauso viel Kraft, wie der primäre Beweger, der laterale Deltamuskel.

Die Studien, die zu diesen Ergebnissen kamen, wurden an Personen durchgeführt, die nicht trainieren, insofern können fitte Athleten mit dominanten vorderen Deltas erwarten, dass sie noch schlechter abschneiden. Das Gleiche trifft im Übrigen auf das Überkopfdrücken zu. Indem du einen weiten Griff oder Kurzhanteln nutzt, kannst du die Situation ein Stück weit verbessern, aber diese Maßnahmen sorgen alleine für sich noch nicht für eine ausgewogene Schulterentwicklung.

Wie solltest du also die mittlere Schulter trainieren, ohne dabei die vorderen Deltas mit zu beanspruchen?

Reduziere die Menge der Schulterbeugung (hebe deinen Arm, wie beim Frontheben). Du hast vielleicht davon gehört, dass es sicherer ist, wenn man Seitenheben in der „scapularen Ebene“ (zirka 30% zur Front) durchführt – und das ist auch korrekt – allerdings heißt es dann auch, dass die Übung zum Frontheben wird. Gleiches gilt, wenn du den Ellbogen nicht komplett ausstreckst. Ja, es ist eine geringere Belastung für das Ellbogengelenk, aber du solltest immer noch auf eine 99% Streckung hinarbeiten. Dies sollte ausreichend sein, um den Stress auf der Muskulatur (anstatt auf dem Ellbogen) zu halten. Du möchtest, dass das Gewicht auf einer Linie zu deinem lateralen Deltamuskel liegt und das bedeutet, dass du die Übung auf einer Schrägbank durchführen solltest.

Versuche einen Winkel von 15 – 60° (erhöht). Je niedriger der Winkel, desto mehr wird auch der hintere Deltamuskel mit einbezogen.

Muskelspezifische Hypertrophie: Brust, Trizeps & Schultern

Die Schultermuskulatur besteht aus drei Köpfen: Einem hinteren Kopf, einem vorderen Kopf und einem lateralen Kopf. (Bildquelle: Wikimedia / Anatomography ; CC Lizenz)

Indem du Seitenheben auf einer Schrägbank absolvierst, bringst du einen weiteren Faktor in die Gleichung, der die Aktivität des lateralen Deltamuskels erhöht: Den Bewegungsradius (Range of Motion). Die ersten 30° der Abduktion werden primär vom Supraspinatus generiert, wogegen danach der laterale Kopf zum primären Beweger wird. Und DAS ist schon einmal nicht schlecht, denn der Supraspinatus muss ja auch trainiert werden. Bei dieser Version musst du die Bewegung am oberen Ende kontrolliert durchführen. Wenn du also nicht zu den Experten gehörst, die das Gewicht mit Schwung hochwuchten und sich dann drunter hindurchducken, überstrapazierst du nur deinen Supraspinatus, anstatt die lateralen Deltamuskel zu trainieren.

Wenn du die Übung also auf der Schrägbank absolvierst (Gesicht zur Bank), kannst du dich auch nicht drunter hinwegducken und kannst dich stattdessen auf die Muskelaktivität konzentrieren.

Und es gibt noch einen weiteren wichtigen Faktor, der über die Aktivität der Schulter entscheidet: Die Schulterrotation (wie auch bereits weiter oben bei der Brust). Je mehr du die Schulter während der Beugung und Abduktion intern rotieren lässt, desto mehr beziehst du den lateralen und hinteren Kopf mit ein (und desto weniger wird der vordere Kopf mit einbezogen). Während der horizontalen Schulterstreckung (wie z.B. bei einem Reverse Fly), erhöht die externe Rotation des Armes die Aktivität des vorderen Deltamuskels auf Kosten des hinteren Muskelkopfes. Für das laterale und hintere Schultertraining empfehle ich daher, die nahezu vollständige Streckung des Ellbogens. Trainiere nicht auf scapularer Ebene und rotiere die Schulter intern.

Diese Technikmodifikationen erhöhen die Stimulation der mittleren Sektion, aber sie reduzieren auch die subacromialen Raumweite und können das Risiko für Impingement erhöhen, insofern solltest du vorsichtig sein, wenn du bereits von Schulterproblemen geplagt wirst (siehe hierzu unseren Artikel „Die Pumperschulter – Schulterprobleme beim Krafttraining“). Du kannst die Problematik entschärfen, indem du die Schulterblätter zurückziehst.

Das Problem beim Schulterimpingement ist nur dann ein Problem, wenn deine Schulter bereits zu Beginn nicht strukturell ausbalanciert ist – und diese Übung verbessert die Gesamtsituation, insofern handelt es sich hier um ein „Huhn-oder-Ei“-Szenario. Ich empfehle zusätzliches Isolationstraining der Schulter auf der Schrägbank, was generell schulterfreundlicher ist.

Wie solltest du die hintere Schulter trainieren?

Und wegen der hinteren Deltamuskel: Abseits der internen Rotation der Schulter bei Reverse Flyes oder Seitenheben bei geringer Erhöhung auf der Schrägbank, kannst du diesen Muskel auch hervorragend mit Zugebwegungen trainieren, z.B. Rudern oder Face-Pulls, die für eine Hyperextension der Schulter sorgen (bringe den Ellbogen hinter den Körper). Der Lat und die Brust können die Schulter nicht über einen gewissen anatomischen Punkt hinaus strecken und das sorgt dafür, dass die hinteren Deltas zum primären Beweger werden.

Wie solltest du die vordere Schulter trainieren?

Das Frontheben in einer scapularen Ebene ist mit einer extern rotierenden Schulter eine gute, nahezu risikolose Übung für die vorderen Deltas – solange du allerdings Überkopfdrückübungen im Programm hast, denke ich nicht, dass du hier eine Isolationsübung benötigst. Nicht, solange deine Schultern strukturell ausbalanciert sind.

Apropos strukturelle Balance: Um die externen Rotatoren zu trainieren, empfehle ich Face-Pulls mit einem Untergriff. Stelle sicher, dass du das Seil komplett bis zu deinem Gesicht ziehst. Und wenn du den Untergrätenmuskel (Infraspinatus) und kleinen Rundmuskel (Teres minor) isolieren möchtest, solltest du seitlich-liegend externe Rotationsbewegungen durchführen – diese sorgen für eine große EMG Aktivität bei den meisten externen Rotationsübungen und erlauben eine vollständige ROM. Behalte dennoch im Hinterkopf: Reverse Flyes trainieren ebenfalls die externalen Rotatoren. Solange du keine Probleme damit hast den Infraspinatus und Teres minor zu aktivieren, reicht es in aller Regel aus Face-Pulls zu absolvieren.

Bezüglich des Wiederholungsbereichs: Alle Muskel sind aktiv an der Aufrechterhaltung der Statur und Stabilisation der Schulter während jeder Oberkörperbewegung beteiligt, insofern kann man erwarten, dass sie eine hohe Arbeitskapazität aufweisen, die zu zirka 60% von langsam-zuckenden Muskelfasern dominiert wird. Dies gilt für den kompletten Schultergürtel mit einer interessanten Ausnahme: Der Infraspinatus liefert Kraft für die externalen Rotatoren und ist damit (leicht) schnell-zuckend dominant.

Take Home Message für die muskelspezifisches Schultertraining

  • Traditionelle Schulterprogramme betonen den vorderen Deltamuskel auf Kosten der anderen Deltamuskel.
  • Überkopfbewegungen sind generell ausreichend viel Arbeit für die vordere Schulter.
  • Ergänze Seitenheben auf der Schrägbank und führe Reverse Flyes mit einer intern rotierten Schulter aus, um dein Programm auszubalancieren und um deine Deltas „abzurunden“.
  • Nutze einen relativ hohen bis mittleren Wiederholungsbereich.

Abschließende Worte zum 1. Teil

Ich hoffe, dass dir der Artikel ein paar neue Ideen zur Optimierung des Trainings liefern konnte. Im nächsten Teil werden wir uns den verbliebenen Muskeln des Körpers widmen. Ich verstehe absolut, dass die hier dargebrachte Information für einige schier überwältigend sein wird, wenn man nicht gerade über einen Hintergrund in funktioneller Anatomie verfügt, insofern solltet ihr nicht zögern Fragen zu stellen.

Muskelfaserspezifische Hypertrophie: Funktionale Anatomie

Du möchtest mehr über die funktionale Anatomie im Kontext von Kraftsport und Muskelaufbau erfahren? Dann empfehlen wir dir den ausführlichen Strength Training Anatomy Guide von Frederick Delavier bzw. die beiden Guides, die deine arbeitende Muskulatur bei unterschiedlichen Übungen zeigen: Strength Training Anatomy (Workout) & Strength Training Anatomy (Workout II).

HIER geht es zum 2. Teil

Quellen & Referenzen

(1) Martel, GF., et al. (2006): Age and sex affect human muscle fibre adaptations to heavy-resistance strength training. In: Exp Physiol. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16407471.

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(20) Anderson, P. / Hendriksson, J. (1977): Training induced changes in the subgroups of human type II skeletal muscle fibers. P Anderson, J Hendriksson. In: Acta Physiologica Scandinavica. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/842360.



Bildquelle Titelbild: Fotolia / zamuruev


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1 Kommentare

  1. Hi Damian,

    danke für die tolle Übersetzung des Artikels. Nachdem jetzt schon der zweite Teil herausgegeben wurde, wollte ich fragen ob die diesen auch übersetzen wirst?

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