Muskelspezifische Hypertrophie Addendum: Intensität und Faserspezifische Hypertrophie

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Muskelspezifische Hypertrophie Addendum: Intensität und Faserspezifische Hypertrophie

Von Menno Henselmans | Benötigte Lesezeit: 5 Minuten |


Ich habe einige sehr gute Fragen über ein fundamentales Axiom erhalten, welches meine beiden Artikel zur muskelspezifischen Hypertrophie betrifft (Teil 1 | Teil 2). Konkret geht es darum, dass langsam-zuckende Muskelfasern ein höheres Optimalvolumen für Muskelwachstum bedürfen, als schnell-zuckende Muskelfasern.

Entspricht das wirklich der Wahrheit?

Muskelspezifische Hypertrophie Addendum: Intensität und Faserspezifische Hypertrophie

Die klassische Überlegung sieht wie folgt aus: Muskelfasern werden entsprechend des Größenprinzips rekrutiert („aktiviert“), was ungefähr so viel bedeutet, als dass schnellere Muskelfasern nur dann arbeiten, wenn der Widerstand zu schwer für die langsamen Muskelfasern wird.

Muskelfasern müssen nicht nur einfach stimuliert, sondern erschöpft werden (siehe Ziatsiorskys Arbeiten an dieser Stelle). Daraus folgt, dass schnell-zuckende Muskelfasern eine höhere Intensität benötigen, um zu wachsen, als langsan-zuckende Muskelfasern. Da die Intensität invers mit dem Volumen korreliert ist, benötigen langsam-zuckende Muskelfasern ein größeres Volumen für optimales Muskelwachstum (ggü. schnell-zuckenden Muskelfasern).

Okay, Theorien sind immer interessant doch am Ende weisen empirische Daten alle Theorien in ihre Schranken. Einige der Leser bezogen sich auf das Review von Fry (2004) und merkten an, dass es sich im Widerspruch mit dem obigen Axiom befindet. Schauen wir uns noch einmal die Grafiken aus dem Paper näher an:

Muskelspezifische Hypertrophie Addendum: Intensität und Faserspezifische Hypertrophie

Wachsen Typ 1 und Typ 2 Fasern wirklich bei einem identischen Intensitätsbereich am besten? Die Meta-Analyse von Fry weist einige Limitationen auf, welche die Interpretation schwierig machen. (Bildquelle: Fry (2004)

Hieraus könnte man jetzt schließen, dass eine Intensität von 80-85% des 1 RM optimal für beide Muskelfasertypen ist, wenn es um Hypertrophie geht. Das Paper besitzt jedoch einige sehr wichtige Limitationen, die entsprechend adressiert werden müssen, bevor man die Ergebnisse interpretieren kann.

Studienlimitation #1: Volumenkontrolle

Diese Grafiken zeigen lediglich die Intensität an, während viele andere Studien aus dieser Meta-Analyse für das Volumen kontrollieren. Vergleichen wir 2 Studienprotokolle für die Beinpresse: 10×3 (~6 RM) und 3×10 (~12 RM). Natürlich wird das Schema 10×3 die besseren Ergebnisse liefern: Es wird mehr Gewicht bei einem identischen Volumen verwendet.

Da die Meta-Analyse nur auf Intensität und Hypertrophie schaut, kommt sie zu dem Ergebnis 6 RM > 12 RM. Dies kann daraus jedoch (offensichtlich) nicht abgeleitet werden – und das unabhängig von allen anderen Trainingsvariablen.

Ein Beispiel: 1×3 bei 6 RM wird dir nicht besonders viel helfen, doch DC Training bei 12 RM wird es definitiv. Eine weitaus interessantere Studie würde sich mit den Auswirkungen der muskelspezifischen Hypertrophie bei 3×3, 3×7 und 3×11 mit Muskelversagen bei vollständiger Pause zwischen den Sätzen beschäftigen.

Kurz gesagt: Weil die Meta-Analyse jene Studien, die für Volumen kontrolliert haben, nicht ausgeschlossen hat, kann sie auch nicht vollständig interpretiert werden (oder überhaupt).

Studienlimitation #2: Trendlinie & Suspekte Ausreißer

Die Interpretationseinschränkung im Zuge der Volumenkontrolle und anderer Trainingsvariablen kann weiter ausgeführt werden, indem man noch einmal einen Blick auf die Graphen wird, ohne sich von den Trendlinien beeinflussen zu lassen.

Schaue dir den Graphen auf der rechten Seite an und ignoriere die Trendlinie für einen Moment. Wenn die 4 Studien auf der rechten Seite ausgeschlossen worden wären (jeder Punkt in der Grafik repräsentiert eine Studie), dann würde die Trendlinie durch die verbliebenen Punkte gehen und nahezu vertikal verlaufen. Dies würde man nun so interpretieren, dass eine identische Intensität in höchst variablen Ergebnissen resultiert – und das macht auch Sinn, wenn man bedenkt, dass die Intensität nur ein kleiner Teil eines vollständigen Programms ist.

Wenn die beiden Studien an der Spitze rausgelassen worden wären, dann wäre die Trendlinie nahezu horizontal. Und dies würde man wiederum so interpretieren, dass die Intensität keinerlei Effekt auf die Hypertrophie von Typ 1 Fasern ausüben würde. In der Tat können nur 18% der Datenvarianz durch die Trendlinie erklärt werden.

Natürlich kannst du nicht herumgehen und Studien ohne triftige Gründe aus deiner Analyse ausschließen (Ich habe einen Minor in Methodologie & Statistik), doch die beiden Studien ganz oben sind ein wenig suspekt. Das aufgeführte Muskelwachstum ist selbst für Typ 2 Fasern sehr hoch. Da der Ausschluss dieser beiden Untersuchungen in einer beinahe horizontalen Trendlinie resultiert, würde die Zeichnung der aktuellen Trendlinie dir vermutlich eine 6 in einem Statistikkurs einbringen.

Kurz gesagt: Die Relation zwischen Intensität und Typ 1 Faser Hypertrophie ist, soweit man es interpretieren kann, schwach; schwächer als 18% der erklärten Varianz (weniger als halb so groß wie bei Typ 2 Fasern).

Das alles heißt nun nicht, dass die Graphen keinerlei Bedeutung haben. Sie haben eine Bedeutung, allerdings ist diese nicht offensichtlich. Bedenke die nun folgenden Punkte.

Studienlimitation #3: Problematische Ermittlung der Intensität (1 RM)

Die verwendeten Studien nutzten alle den Vastus lateralis des Quadrizeps in untrainierten (!) Personen, was ungefähr so viel bedeutet, als dass die Intensität stark verzerrt ist. Ein Anfänger ist einfach nicht in der Lage seinen wahren 1 RM Wert zu demonstrieren – er ist neurologisch zu ineffizient und nicht daran gewöhnt seine Typ 2 Muskelfasern zu verwenden.

Verdammte Axt, all diese Studien nutzen praktisch nur Beinstrecker und Beinpresse zur Datenerhebung. Niemand kann seinen wahren 1 RM Wert beim Beinstrecker demonstrieren, weil man von einem toten Punkt aus startet und keinen Dehnungsreflex nutzen kann. Und untrainierte Personen (davon einige weiblichen Geschlechts), die ihren wahren 1 RM Wert beim ersten Mal an der Beinpresse demonstrieren? Dafür muss man schon richtige Eier haben, um das zu bewerkstelligen.

Was bedeutet all das? Es bedeutet, dass die Intensitäten in den Graphen alle überschätzt werden. 80% sind hier eher ~15 RM in den meisten Studien, was auch deutlich wird, wenn man sich die Protokollergebnisse anschaut und darin sieht, dass die Teilnehmer 10×8 mit 80% durchführen und es lediglich im letzten Satz zum Muskelversagen kommt. Probiere mal GVT und du wirst sehen, dass das unmöglich ist.

Mein Fazit zur Meta-Analyse von Fry (2004)

Muskelspezifische Hypertrophie Addendum: Intensität und Faserspezifische HypertrophieOhne das Volumen zu berücksichtigen – was für Anfänger, die sich von den meisten Trainingsprogrammen immer noch erholen können – scheint es eine optimale Intensität bei 80% des 1 RM für Typ 1 Fasern zu geben (welche Anzahl an Wiederholungen auch immer damit verbunden sein mag). Das Steigern der Intensität auf bis zu 95% des 1 RM Werts scheint hinsichtlich Muskelaufbau keinen weiteren Vorteil zu liefern.

Die Relation zwischen Intensität und Hypertrophie fällt jedoch äußerst schwach aus, was bedeutet, dass es keinen allzu großen Unterschied macht, welche Intensität du nutzt. Auch das macht Sinn, denn Typ 1 Fasern sind leicht zu aktivieren und schwer zu ermüden. Für Anfänger ist Intensität weniger wichtig als Volumen.

Die Beziehung zwischen Intensität und Hypertrophie von Typ 2 Fasern ist weitaus stärker und das Optimum liegt vermutlich nicht bei 80% des 1 RM – nicht einmal bei 8 RM. Ich denke, es liegt weitaus höher doch die Meta-Analyse kann uns hinsichtlich dessen keine Informationen liefern, da die Studie mit der höchsten Intensität bei 80% des 1 RM lag. Deswegen falsifizieren die Ergebnisse nicht das traditionelle Axiom, welches besagt, dass Muskelfasern vom Typ 1 ein höheres Volumen für optimales Wachstum benötigen.

Tatsächlich ist es sogar so, dass andere Informationen aus demselben Artikel implizieren, dass dieses Axiom der Wahrheit entspricht.

  • Gewichtheber und Powerlifter besitzten Muskelfaserareale, die sich grob gesprochen aus 2/3 Typ 2 Fasern und 1/3 Typ 1 Fasern zusammensetzen.
  • Bei Bodybuildern ist es genau umgekehrt: 2/3 ihres Muskelquerschnitts bestehen aus langsam-zuckenden Muskelfasern (Typ 1) und nur 1/3 aus schnell-zuckenden Muskelfasern (Typ 2).

Nun heißt es ja immer, dass Korrelation auch nicht Kausation bedeutet, insofern gibt es 2 Erklärungen dafür: Anlage und Umwelt.

Anlage. Vielleicht eignen sich Personen mit einer spezifischen Muskelfaserverteilung einfach eher dazu Bodybuilder zu sein, während andere Menschen die besseren Powerlifter und Gewichtheber abgeben. Das macht allerdings nicht besonders viel Sinn, denn Typ 2 Fasern sind nicht nur stärker, sondern wachsen auch viel schneller und sind weitaus größer.

Umwelt scheint die bessere Erklärung zu sein. Die Differenzen in der bevorzugten Muskelfaser Hypertrophie resultieren aus den unterschiedlichen Wiederholungsbereichen, den die Gruppen nutzen. Wenn du hauptsächlich mit Gewichten arbeitest, die größer als 85% des 1 RM sind, dann ist das großartige für schnell-zuckende Muskelfasern (Typ 2), doch es sorgt gleichzeitig dafür, dass die langsam-zuckenden Muskelfasern (Typ 1) unterstimuliert bleiben. Bodybuilder versuchen die Muskelmasse in beiden Fasertypen zu maximieren.

Bezüglich der optimalen Trainingsparameter für Hypertrophie (Intensität mit einbezogen): Das ist Stoff für zukünftige Artikel und ich verspreche dir, dass ich einen besseren Job abliefere als Fry.

P.S.: Erwähnenswert ist, dass die Muskelfaserkomposition und die Intensität in Wechselbeziehung stehen. Für den Soleus (stark dominiert von langsam-zuckenden Muskelfasern, siehe Teil 2 der Serie) kannst du erwarten, dass du eine ganze Menge mehr Wiederholungen bei 80% des 1 RM absolvieren musst, während du bei der hinteren Oberschenkel-und Gesäßmuskulatur („Hamstrings“; stark dominiert von schnell-zuckenden Muskelfasern) kaum mehr als 7 durchführen können wirst. Probiere es selbst mit sitzendem Wadenheben und Bein-Curls, wenn du mir nicht glaubst.

P.P.S.: Die Untersuchung von Netreba et al. (2007) fand ebenfalls eine bevorzugte Hypertrophie von langsam-zuckenden Muskelfasern bei niedrig-intensivem Training und vice versa (1).

Quellen & Referenzen

(1) Netreba, AI., et al. (2007): Physiological effects of using the low intensity strength training without relaxation in single-joint and multi-joint movements. In: Ross Fiziol Zh Im  I M Sechenova. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17465271.

(2) Fry, AC. (2004): The role of resistance exercise intensity on muscle fibre adaptations. In: Sports Med. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15335243.


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Bildquelle Titelbild: Fotolia / improvisor


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Online Physique Coach, Fitnessmodell und wissenschaftlicher Autor – Menno Henselmans hilft Trainierenden, die es Ernst meinen, dabei ihre ideale Physique zu erreichen, indem er auf Bayes’sche Methoden zurückgreift. Folge Ihm auf Facebook, Twitter und check seine persönliche Website für weitere frei verfügbare Artikel ab.

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