Von Greg Nuckols | Benötigte Lesezeit: 14 Minuten |
Jede Diskussion hinsichtlich des Aufwärmens beinhaltet in der Regel Meinungen zu diesen drei Themen:
- Das Ziel des Aufwärmens identifizieren und entscheiden, welche Qualitäten adressiert und – wenn möglich – verbessert werden können.
- Der Nutzen von statischem Dehnen Vs. dynamischen Dehnen.
- Wie man Methoden nutzt, welche die Leistungsfähigkeit im nachfolgenden Training oder Wettkampf verbessern (z.B. durch solche Dinge wie PAP [Post-Activation Potentiation].
Artikelinhalte
Richtig aufwärmen: Dein Aufwärm-Programm muss nicht kompliziert sein
Die meisten Empfehlungen hinsichtlich des Aufwärmtrainings basieren auf den Meinungen von Trainern oder anekdotischen Beweisen – beides kann in Ordnung sein. Doch ich wollte herausfinden, ob es eine konkrete Beweislast innerhalb der Forschung gibt, welche die besten Mittel und Wege aufzeigt, so dass ich mehr als nur meine vorgefasste Meinung und Erfahrung zu diesem Topic teilen kann.
Das soll jetzt nicht automatisch heißen, dass alle Schlüsse, die aus der Wissenschaft gezogen werden, glasklar oder gar anwendbar auf Sportler auf Elite-Niveau sein müssen; die Teilnehmer solcher Studien sind meistens untrainiert oder blicken auf eine sehr begrenzte Trainingskarriere zurück. Und natürlich spielt die Trainingserfahrung und –geschichte eine große Rolle, wenn es darum geht zu entscheiden welche Aufwärm-Übungen angemessen sind.
Anstatt an dieser Stelle jetzt ein spezifisches Vorgehen vorzuschreiben, besteht das Ziel dieses Artikels darin dir ein klares Bild darüber zu geben, wie ein nützliches Warm-Up eben nicht auszusehen hat (bezugnehmend auf das Gros der Forschung auf diesem Gebiet). Ich werde darüber hinaus auch ein paar praktische Takeaways – basierend auf meiner persönlichen Erfahrung als Coach, der mit echten, atmenden menschlichen Wesen unterschiedlicher Fähigkeitslevel und Trainingserfahrung arbeitet – geben.
Das Ziel des Aufwärmens: Vielleicht weniger, als du denkst
Das „Mehr bringt mehr“-Mindset wird langsam ziemlich alt. Lass und also zunächst einmal in Worte fassen, was wir eigentlich tun müssen, wenn wir uns aufwärmen wollen.
Der Konsens besteht in der Regel darin, dass dich das Aufwärmen ins Schwitzen bringen sollte. Dies impliziert, dass das Ziel darin besteht die Körperkerntemperatur anzuheben, doch obwohl es im Grunde genommen keine schlechte Idee ist ein wenig zu schwitzen, muss dies nicht notwendigerweise der Schlüssel zu mehr Leistungsfähigkeit sein.
Tatsächlich ist es sogar so, dass die Forschung darauf hindeutet, dass es zielführender ist, wenn man sich auf die spezifische Muskulatur fokussiert, die am jeweiligen Tag beansprucht wird, anstatt nur zu versuchen die Körperkerntemperatur zu steigern (1).
Aber wieso ist es das wert erwähnt zu werden? Hauptsächlich deswegen, weil sich gängige Aufwärm-Protokolle auf allgemeingehaltene Aktivitäten konzentrieren, die darauf abzielen die Körperkerntemperatur zu erhöhen. Jene Muskulatur, die für die bevorstehende Aktivität genutzt wird, bleibt hierbei völlig außen vor. Solche Routinen beinhalten Dinge wie Seilspringen, Radeln oder Rudern gefolgt von einer Sequenz an Bewegungen für den Ober- und Unterkörper. Diese Sequenzen sind sehr umfassend – manchmal sogar zu umfassend.
Natürlich möchten wir ein adäquates Warm-Up erreichen, aber es geht nicht darum sich unnötigerweise non-funktional zu verausgaben.
Falls du ein Wettkampf-Powerlifter bist und dein Training eine fokussierte Bankdrückeinheit vorsieht, dann solltest du nicht eine exzessive Menge an Zeit zum Aufwärmen oder für Mobility-Drills für den Unterkörper aufwenden. Okay, es mag vielleicht nicht schlecht sein, wenn man das Blut ein wenig in Wallung bringt und die Beine gut durchblutet werden, doch es sollte dir am Ende nicht die wertvolle Zeit wegfressen, die dafür vorgesehen ist, damit du dich für diesen spezifischen Lift, das Bankdrücken, aufwärmen kannst. Das Verschwenden von Zeit für unnötiges Ganzkörper-Aufwärmtraining kann nicht dich wertvolle Zeit und Energie kosten, die du besser in ein härteres und längeres Training gesteckt hättest.
Einige Experten werden an dieser Stelle widersprechen und behaupten, dass es nicht schaden könnte, wenn man sich ein wenig mehr aufwärmt, doch wenn du die Hälfte deiner kostbaren Zeit für dein Warm-Up statt für dein eigentliches Training aufwendest, dann hast du ein Problem. Und das kommt weitaus häufiger vor, als die Leute zugeben wollen. Je stärker du wirst, desto spezifischer und konzentrierter muss der Overload sein, den du zu deinem Training hinzufügen musst. Und es dürfte ziemlich hart werden Volumen zu akkumulieren, wenn dein Warm-Up immer länger und länger wird.
Was stellen wir nun mit dem „Core“ an?
Es ist üblich Warm-Up-Routinen zu sehen, welche ein Erwärmen oder Aktivierungsübungen für die Körpermitte (den „Core“) beinhalten. Die Idee dahinter ist, dass spezifische Drills, wie z.B. Planks, zu einem höheren Grad an Aktivität von Motoreinheiten führen (es werden mehr Muskelfasern aktiviert) – dies soll bei der Kraftproduktion und –übertragung während des eigentlichen Trainings helfen.
Tatsächlich handelt es sich aber in diesem Fall um einen weiteren Fehlglauben, für den es keine beobachtete Evidenz gibt, welche eine solche Behauptung stützen könnte. Einige Studien deuten darauf hin, dass ein umfassendes Aufwärmen, welches die volle Bewegungsamplitude der Hüfte mit im Programm hat, ausreichend ist, um den Torso („Core“) adäquat zu aktivieren (1).
Das praktische Takeaway
Ehrlich gesagt gibt es in diesem Fall kein wirkliches praktisches Takeaway. Sorry für das beschwindeln ohne Auflösung. Aufwärm-Protokolle sind in höchstem Maße vom Fähigkeitslevel und der Trainingshistorie des Athleten abhängig. Die Art des Erwärmens hängt im Wesentlichen davon ab, welche Art des Trainings absolviert wird.
Ein Footballspieler oder olympischer Gewichtheber wird höchstwahrscheinlich vor dem Training ein sehr umfangreiches Aufwärmprogramm absolvieren müssen. Hierfür habe ich keine einschlägige Empfehlung (weder aus persönlicher Erfahrung noch aus der Forschung) – wir haben hierfür noch kein magisches Rezept gefunden, um unsere Körper dazu zu bringen in perfekter Synergie zu arbeiten, doch ich denke, dass es auch wichtig ist darauf hinzuweisen: Viele Behauptungen von Trainern und Systemen sind lediglich Theorien darüber, was möglicherweise funktionieren könnte, um die Leistung zu steigern. Coaches, die derartiges verbreiten, sollten sich sicher sein, dass sie nicht bewusst oder unbewusst die Leute dazu bringen zu glauben, dass wir hierfür harte Fakten haben, aus denen sich „best practice“-Praktiken ableiten lassen. Es handelt sich nur um spekulative Theorien.
Die Wahrheit sieht so aus, dass wir auf diesem Gebiet viel mehr Forschung benötigen. Bei den meisten Methoden, die darauf abzielen uns (oder unsere Musklen) auf ein bestimmtes Bewegungsmuster zu eichen, konnte gezeigt werden, dass sie zur Performance nichts beitragen. Klar, natürlich weiß jeder selbst am besten, was für seinen Körper funktioniert.
Dauer und Detail des Warm-Ups werden größtenteils von den Bedürfnissen und der Historie des Trainierenden abhängen. Das bestreite ich auch gar nicht. Doch wenn du 20 Minuten auf dem Fahrrad-Ergometer verbringst, wenn heute Bankdrücken auf dem Programm steht, dann kannst du deine Zeit woanders besser investieren. Wenn du das Gefühl hast, dass du ins Schwitzen kommen musst, bevor du mit dem eigentlichen Training beginnst, dann lässt sich dies ziemlich flott bewerkstelligen – aber tue dir selbst einen Gefallen und widme deine Zeit solchen Aufwärm-Protokollen, welche die Zielmuskulatur des Tages beanspruchen.
Beim Stretchen und Dehnen scheiden sich die Geister. Soll es dynamisch oder doch statisch sein? Oder gar beides?! (Bildquelle: Fotolia / zdyma4)
Statisches Vs. dynamisches Dehnen – Die hitzige Debatte
Keine der Seiten innerhalb dieser „Debatte“ ist so klar, wie es die jeweiligen Befürworter gerne aussehen lassen. Lass uns daher einen tieferen Blick in das Thema werfen.
Personen, welche ein dynamisches Dehnen als Warm-Up befürworten lieben es darauf hinzuweisen, dass es Studien gibt, bei denen Teilnehmer einen reduzierten Power-Output gezeigt haben, wenn sie sich statisch gedehnt haben.
Es gibt in der Tat Untersuchungen, die ein solches Outcome zeigen. Ich habe einige Studien gefunden, welche eine neurale Inhibition und eine erhöhte Muskel-Sehnen Nachgiebigkeit infolge statischer Dehnprotokolle demonstriert haben. Dies führt zu einem niedrigeren Power-Output der Teilnehmer, wenn man ihre Leistung im Zeitraum vor dem Protokoll vergleicht. Um die eigene Meinung zu stützen werden solche Studien gerne zitiert, doch nur die Wenigsten werfen einen Blick auf die Methoden vieler solcher Studien.
Viele von ihnen nutzen nämlich sehr irreguläre Strategien, die niemals bewusst von einer Person durchgeführt werden würden. Einige dieser Protokolle beinhalten das Dehnen einer individuellen Muskelgruppe für über 2 Minuten (2) – das ist jetzt nicht etwas, das Freizeit-Athleten und Trainierende machen würden.
Umfang und Dauer oder Effekt werden häufig genauso übersehen. Untersuchungen zeigten ein Absinken in der Performance – und das schon bei nur 2 Minuten des konzentrierten statischen Dehnens (2), doch die meisten (wenn nicht gar alle) Verluste der Leistungsfähigkeit oder Kraftproduktion werden vollständig negiert, wenn eine kurze Pause und/oder ein dynamisches Dehnen oder eine sportartspezifische Bewegung folgt (3)(4).
Obwohl das dynamische Dehnen dabei helfen kann ein wenig Zeit zu sparen, um die leichten, unmittelbaren aber fließenden Effekte des statischen Dehnens zu negieren, wird das Nutzen des statischen Dehnens die Leistung nicht zwangsweise negativ beeinträchtigen. Für Elite-Athleten, die nicht daran gewöhnt sich ein statisches Dehnprotokoll durchzuführen, kann das Einführen in das Aufwärmprogramm zu einer schlechten Leistung führen, wenn die jeweilige Übung kurz danach durchgeführt wird. Auf einem Elite-Niveau (und für dieses kleine Sub-Set an Leuten) kann jede noch so kleine Veränderung die Leistung potenziell negativ beeinträchtigen. Eine solche Situation repräsentiert jedoch nicht die Mehrheit.
Einige erfahrene Lifter haben eine Art des statischen Dehnens als Teil ihres Warm-Ups über Jahre hinweg praktiziert. Ihnen jetzt zu sagen, dass sie damit aufhören sollten, könnte alles andere als klug sein. In solchen Fällen kann das statische Dehnen in jeder Kapazität bei der Leistung – für jene, die psychologisch davon abhängig sein – behilflich sein (4).
Was wird durch das Dehnen und Stretchen wirklich erreicht?
Ich werde an dieser Stelle nicht allzu tief in den Kaninchenbau hinabsteigen. Befürworter des dynamischen Dehnens als Teil der Warm-Up Routine behaupten, dass ihr Protokoll überlegener ist, weil es dafür sorgt, dass die Gelenke durch eine volle Bewegungsamplitude geführt werden. Die kontinuierliche Bewegung wird als superior angesehen, wenn es darum geht den Körper (oder den Körperteil) auf das bevorstehende Training oder die jeweilige Sportart vorzubereiten.
Aber noch einmal: Der Vorteil des Warm-Ups besteht hauptsächlich in der Reduktion von muskulärer Steifheit durch eine Steigerung der Wärme und nicht – wie vielfach angenommen – durch eine Wiederherstellung der Range of Motion (Bewegungsradius) der Gelenke vom Basisniveau (2). Es sieht so aus, als ob das Fahren auf einem stationären Fahrrad vor einer Kniebeuge-Einheit die gleichen positiven Effekte hat, wie eine komplizierte Warm-Up Routine, die dynamisches Dehnen beinhaltet.
Bitte verstehe mich nicht falsch. Ein Athlet sollte definitiv darauf aus sein den Bewegungsradius seiner Gelenkkapseln zu verbessern sowie die Qualitäten des Gewebes und der Motoreinheiten zu optimieren, doch ein Warm-Up, dass all diese Bedenken adressiert, garantiert keine Verbesserung der Performance. Wenn das dynamische Dehnen dazu verwendet wird die Muskelsteifheit zu senken, dann entsteht natürlich kein Schaden dabei. Wird diese Methode jedoch unmittelbar vor dem Training dazu verwendet, um Bedenken hinsichtlich der Mobilität zu beseitigen, obwohl diese Reserven der Mobilität eigentlich nicht benötigt werden, könnte die Zeit anderswo sinnvoller genutzt werden.
Das Aufwärmen mit einer Bewegung, die das eigentlich Training imitiert kann oftmals produktiver und sinnvoller sein. Dies reduziert nicht nur die Steifheit, sondern erwärmt die Muskeln so präzise, wie sie während des Trainings genutzt werden.
Das praktische Takeaway – Ein tieferer Blick auf das, was wir brauchen
Anstatt eine bestimmte Methode als überlegen in allen Fällen zu deklarieren, müssen wir uns viel mehr die Bedürfnisse des Trainings ansehen: Welchen Grad an positionaler Mobilität und Stabilität wird für das Training oder die jeweilige Sportart benötigt? Wir sollten uns alle einig sein, dass es gewisse Standards der Mobilität gibt, die jeder gesunde und funktionale Athlet oder Lifter besitzten sollte. Doch das Miteinbeziehen exzessiver Mobilitätsarbeit, welche den Bewegungsradius weit über den eigentlichen Bedarf erhöht, kann eher schaden als das sie hilft – insbesondere dann, wenn wir von hoch spezialisierten Elite-Athleten reden.
Powerlifter, die einen gesunden Bewegungsradius besitzen, müssen nicht zwangsweise Tonnen an Zeit ins Dehnen investieren – insbesondere nicht unmittelbar vor dem Training. Wenn sie leichte Reserven hinsichtlich ihrer Mobilität besitzen, die über den Bedarf des Lifts hinausgeht, dann sind die Bedürfnisse des Athleten gestillt. Noch mehr Konzentration in diesem Bereich richtet mehr Schäden an, anstatt der Regeneration, der Trainingsintensität und langfristigen Performance zu helfen.
Ich sollte vielleicht an dieser Stelle darauf hinweisen, dass ich keine spezielle Anstrengung unternehme, um die Gewebsqualität unter einem Schirm von spezifische Mobilitätsarbeit verberge.
Konträr zu Powerliftern könnten olympische Gewichtheber sehr wohl ein fokussiertes dynamisches oder sogar statisches Dehnprogramm als Teil ihrer Warm-Up Routine absolvieren, nachdem ihre Muskulatur erwärmt wurde. Die Mobilitätsanforderungen für ihren Sport sind viel höher und oftmals sieht die Steifheit aus vorangegangenen Einheiten vor, dass sie eine gezielte Anstrengung dahingehend unternehmen, um alle Positionen für die spezifischen Muskelgruppen wiederherzustellen. In so einem Fall kann es viel schädlicher für die Performance sein, wenn man sich nicht dehnt, selbst wenn damit ein gewisser Grad an Erschöpfung einhergeht – so lange, wie daraufhin ein paar dynamische Dehnübungen folgen, die das Training des Tages imitieren. Viele Top-Gewichtheber absolvieren tatsächlich einige statische Stretches, bevor sie mit dem spezifischen Warm-Up fortfahren. Jetzt zu empfehlen, dass diese Personen das Ganze unterlassen sollten, wäre ein schlechter Ratschlag.
Persönlich habe ich meine Athleten und mich durch eine Vielzahl an Warm-Up Routinen (mit und ohne statisches Dehnen) gelotst. Meine Beobachtung hat mich gelehrt, dass – wenn du (oder ein anderer Athlet) – psychologisch von der Durchführung einer bestimmten statischen Dehnübung abhängig bist (ist), es keinen Grund gibt, um diese Komponente zu entfernen. Zur gleichen Zeit kann es hilfreich sein, wenn man das große Gesamtbild im Auge behält: Wenn die Anforderungen des Trainings einen größeren Grad an Mobilität erfordern (sogar Hypermobilität, wie es manchmal der Fall beim olympischen Gewichtheben ist), kann die Zeit, die in ein solches Warm-Up investiert wird, den Anstieg an Erschöpfung gerechtfertigt sein.
Doch wenn du das gleiche umfassende Warm-Up für jede Art des Trainings durchführst bzw. für jeden Sportler oder Gewichtheber als zielführend siehst, dann tust du dir (und anderen) vermutlich eher keinen guten Gefallen. Insbesondere beim Powerlifting und beim Heben von Gewichten im Allgemeinen (wo es auf allgemeine Kraft ankommt), lehrt mich meine Erfahrung und meine Interpretation der Forschung, dass weniger häufig mehr ist.
Ausufernde Pre-Hab und Mobility-Protokolle werden am besten für Phasen aufgespart, wo das Training als Regenerationskomponente genutzt wird und nicht für Phasen, in denen schwere Blöcke und ein steigender Overload vorgesehen sind. Das Hinzufügen von mehr Bewegungsvorbereitung in Mobility-Drills und angebliche PAP-Protokolle (um die es gleich geht), sorgt mehr als oft dafür, dass mehr Erschöpfung angesammelt wird – was schlussendlich dazu führt, dass das eigentliche Training drunter leidet (6).
PAP – dahinter verbirgt sich die Post-Activation Potentiation Methode, die zu mehr Leistung verhelfen soll, nur … die meisten kriegen das Konzept in den falschen Hals oder Misinterpretieren es. (Bildquelle: Denys Kurbatov)
Post-Activation Potentiation (PAP) – Das magische Einhorn
Aus einigen undurchsichtigen Gründen denkt jeder Coach, dass er der Erste ist, der über die Idee des Post-Activation Potentiation (PAP) Prinzips stolpert (oder der Erste ist, der darin den wirklichen Durchblick hat). Ich war leider keine Ausnahme, doch mein Ego wird nur von meiner Neugier überflügelt. Und meine Neugier war das, was mich dazu brachte mich hinzusetzen und mich mit der Forschung auf diesem Gebiet zu befassen, so dass ich so viel wie möglich darüber lernen konnte.
Lass uns das Ganze zunächst einmal definieren: Post-Activation Potentiation (kurz „PAP“) beinhaltet die „Phosphorylierung der regulierenden leichten Myosinketten,“ was wiederum „die Rate, in denen die Kreuzbrücken der Muskel aktiviert werden, erhöht“ (7). Wenn du weißt, wie du den gesamten Prozess in Deutsch erklären kannst, dann solltest vermutlich du an dieser Stelle den Artikel schreiben (anstatt mir). Aber bedenke: Ich möchte mich wie ein Experte fühlen.
Im Grunde genommen beinhaltet PAP das Ausführen einer Aktivität vor einer Leistung, die dazu führt, dass die Leistung positiv beeinträchtigt wird. Das kann z.B. einen höheren Power-Output oder eine länger anhaltende Körperkraft bedeuten. PAP sorgt üblicherweise in einem Leistungsanstieg indem Muskeln durch eine bestimmte Maßnahme kontrahieren oder „nahe maximaler Intensität“ arbeiten (8). Der genaue Mechanismus der eine ausreichende Kontraktion verursacht, ist bis dato unbekannt (sowohl in der Theorie, als auch in der Praxis).
Die Theorie besagt, dass PAP eine Kontraktion erfordert, die ein größeres Volumen der Motoraktivität bedarf, als jenes, das nachfolgenden im Training benötigt. Das PAP soll eine Art von Kurzzeitgedächtnis liefern, welches eine größere Aktivität der kontraktilen Eigenschaften der Muskulatur herbeiführt, die unmittelbar danach in der nachfolgenden Aufgabe eingesetzt werden können (7). In anderen Worten: Durch den Stimulus des PAP operiert dein Körper auf einem höheren Level.
Das Problem bei dieser Theorie liegt darin, dass sie in Tieren verfiziert wurde, jedoch nicht bei Menschen. Bezugnehmend auf den Großteil der Forschung sind die Guidelines bezüglich der Strukturierung noch definitiv ungeklärt (6).
Die Probleme
Das erste Problem bei der Verwendung von PAP liegt darin, dass sowohl Trainer als auch Wissenschaftler nicht sicher sind, welche Methoden die Leistungsfähigkeit tatsächlich steigern. Einige Forscher haben eine Steigerung der Performance bei Sprint- und Sprungaktivitäten beobachtet, wenn die Teilnehmer Bewegungen absolvierten, welche die bevorstehende Übung imitierten und dabei schwere Lang- und Kurzhantel nutzten (8). Aber das ist nicht wirklich umsetzbar für Kraftathleten, deren Ziel darin besteht ihre Leistung bei Übungen zu steigern, die sich naturgemäß aus schweren Bewegungen zusammensetzen. Ein schweres Gewicht heben, bevor du ein weiteres schweres Gewicht hebst, ist keine Form des PAP, sondern eine Form des Aufwärmens (wird (siehe z.B. den Artikel „Das Over-Warum Up“ hier auf dem Blog von Simon Wetzel). Die Art, Intensität und das Volumen die für die Vorteile des PAPs benötigt werden, bleiben bis dato im Dunkeln (insbesondere bei Kraftsportarten).
In einer anderen Studie versuchten die Wissenschaftler die Effektivität des nachfolgenden Power-Outputs von Baseball-Spielern zu erhöhen, indem sie schwere Schläger einsetzten. Sie fanden heraus, dass das Schwingen eines schweren Schlägers vor einem Schlag mit einem Standardschläger tatsächlich zu einer Verbesserung des Power-Outputs führte, doch dies gelang nur bis zu einem gewissen Punkt. Sie fanden außerdem heraus, dass exzessiv schwere Schläger die Leistung nicht so gut verbesserten, wie das Schlagen mit einem Schläger, der nur ein bisschen schwerer war als der Standard (9).
Obwohl es ein wenig weit hergeholt wäre, wenn man die PAP Ergebnisse aus der Baseball-Studie auf das Powerlifting oder Gewichtheben zu übertragen, sorgt dies dafür das populäre PAP-Methoden innerhalb der Kraft-Community akzeptiert werden. Walkouts mit supramaximale Ladung werden vor einem Satz schwerer Kniebeugen oder 1 RM Versuchen durchgeführt (um nur ein paar Beispiele zu nennen). Doch ich warte immer noch auf solide Richtlinien, z.B. wie schwer ein solches Gewicht ausfallen sollte oder für wie lange man es halten müsste.
Klar, vielleicht erfährst du dadurch einen immensen psychologischen Vorteil, weil sich das Arbeitsgewicht plötzlich so viel leichter anfühlt, wie das Gewicht, was du beim Walkout verwendet hast, doch es gibt keine Daten die aufzeigen, welche Gewichte zu einer exzessiven Erschöpfung führen und welche Gewichte das Potenzial haben die unmittelbare Leistung zu erhöhen.
Das zweite Problem bei der Verwendung von PAP besteht in der Quantifizierung der Dauer des Effekts. Studien zeigen, dass der positive Effekt nach 5-7 Minuten abklingt (7). Um also die wahren Vorteile des PAP zu sehen, müsste die auszuführende Tätigkeit, in der du deine Leistung steigern willst, unmittelbar nach der PAP-Kontraktion erfolgen. Und das ist nicht das was die meisten Personen, die behaupten sie würden die PAP-Methode nutzten, auch tatsächlich tun. Coaches und Lifter arbeiten sich durch ein PAP-Protokoll und benötigen dann viel zu viel Zeit, bis sie die Gewichte soweit gesteigert haben, dass sie den schweren Lift oder Maximalkraftversuch absolvieren können. Wenn sie dann bei dem Satz angekommen sind, den sie durch PAP beeinflussen wollten, hat sich das kurze Zeitfenster der Wirkung bereits längst geschlossen und jeder weitere Vorteil resultiert höchst wahrscheinlich aus der psychologischen Ecke.
Fraglicher praktischer Nutzen
Wenn man den praktischen Nutzen von PAP diskutiert, dann hört man oft wie viele Trainer Protokolle erwähnen, wo Sprünge mit zusätzlicher Gewichtsbelastung oder einer supramaximalen Ladung absolviert werden; diese Trainer stellen jedoch nur Empfehlungen aufgrund anekdotischer Beweise aus.
Es gibt hierbei auch kein Problem, sofern sich ein Trainer die Zeit genommen hat, um die Ergebnisse unterschiedlicher Protokolle über eine große Anzahl an Gruppen und Athleten zu bemessen, doch für die meisten stellt das zu viel Arbeit dar.
Wenn Sprünge mit zusätzlichem Gewicht, Walkouts oder Kniebeugen mit Widerstandsbändern einem Athleten dabei helfen einen neuen persönlichen Rekord aufzustellen, dann sollte das Gewicht, die Intensität, die Dauer der Sprünge, der Walkout oder mit Widerstandbändern unterstützte Squat entsprechend aufgezeichnet und erneut getestet werden. Ich habe schon von Behauptungen gehört, wo ausgesagt wurde, dass PAP die Leistung der kompletten Trainingseinheit oder eines Wettkampfs verbessert hat. Das kann einfach nicht der Wahrheit entsprechen! Die Effekte sind nur von kurzer Dauer. Vielleicht hat der Athlet oder Trainer einfach nur einen Weg gefunden, um das Aufwärmen effizienter zu gestalten, aber es liegt höchstwahrscheinlich nicht an PAP.
Mein eigener praktischer Nutzen
Ich habe mit nahezu jeder Art des Aufwärmens und PAP experimentiert – sowohl für mich, als auch für betreute Athleten.
Die einzige PAP-Methode, bei der ich regelmäßig Leistungsverbesserungen beobachten konnte, ist eine Variation der French Contrast Method. Diese Methode beinhaltet das Ausführen einer Verbundübung für 1-3 Wiederholungen bei einer Intensität von 80-95% des 1 RM, gefolgt von 3-5 Wiederholungen einer Art von plyometrischen Übung oder eines Sprungs. Die Idee besteht darin beide für multiple Sätze zu alternieren.
Auch wenn ich einige Erfolge bei der Nutzung dieser Strategie gesehen habe, widerspreche ich den Behauptungen diverser Trainer, die sagen, dass dies die Beuge eines Athleten um 25 kg verbessern wird. Des Weiteren habe ich noch nie eine unmittelbare Steigerung des 1 RM erlebt, sobald ich es bei einem trainierten Athleten getestet habe. Die Verbesserung scheint nur durch eine langfristige Nutzung der Methode aufzutreten, doch genauso wie die Verwendung anderer Methoden (wie z.B. Walkouts), stellt dies einen hervorragenden Weg dar um das Schale des Trainings zu reduzieren und dem Athleten einen psychologischen Boost für die Dauer der Trainingseinheit oder Trainingszyklus zu liefern.
Die enttäuschende Zusammenfassung
An dieser Stelle sei wiederholt erwähnt, dass mein Ziel beim Verfassen dieses Artikels nicht darin bestand dir zu erzählen, was meiner Meinung nach die beste Aufwärm-Routine darstellt, sondern vielmehr dir zu erklären, welche Praktiken am häufigsten angewandt und die als Fakten akzeptiert werden, obwohl sich dahinter mehr Theorie als Praxis verbirgt. Dies ähnelt gewissen Themen, bei denen sich Kraft-Coaches und Trainer ewig streiten werden und es auch tun.
Gerne würde ich dir die perfekte Warm-Up Routine aufzeigen, aber um ehrlich zu sein denke ich nicht, dass ich sie bis dato selbst perfektioniert habe. Ideen und Übungen müssen immer noch hinterfragt und getestet werden – und wir müssen die Diskussion über das hinausbringen, was in der Vergangenheit stets getan wurde.
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Bildquelle Titelbild: Fotolia / Rawpixel.com
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