Die Wahrheit über Hormone in der Milch: 6 Fakten

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DIe Wahrheit über Hormone in der Milch | 6 Fakten

Von Morten Elsoe (ScienceDrivenNutrition) | Benötigte Lesezeit: 11 Minuten |


Hast du Angst vor Hormonen in der Milch? Ja? Dann bist du nicht allein.

Wie viele andere Lebensmittel zuvor ist nun auch die Milch zum Opfer von pseudowissenschaftlicher Angstmache geworden – speziell was den Hormongehalt und dessen behaupteten Effekt, Krebs zu erregen, angeht.

Doch wie viel Wahrheit steckt hinter diesen besorgniserregenden Behauptungen? Hier sind 6 Wahrheiten über Hormone in der Milch, die dich hoffentlich etwas zur Ruhe bringen.

Die Wahrheit über Hormone in der Milch: 6 Fakten

Fakt #1: Bovines Wachstumshormon hat keine biologische Aktivität im Menschen

Wachstumshormon – die bloße Gedanke seiner Anwesenheit in einem unschuldigen Glas Milch reicht bereits aus, dass sich viele Leute von ihr abwenden und versuchen andere Leute davon zu überzeugen selbiges zu tun. Aber ist da wirklich etwas vor dem man sich fürchten müsste?

Nein, denn auch wenn Kuhmilch tatsächlich geringe Mengen Wachstumshormone enthält, hat es keine Relevanz: Wachstumshormone von Kühen sind im menschlichen Organismus nicht biologisch aktiv (1).

Bovines Wachstumshormon (bGH, auch bovines Somatotropin (bST), genannt) ist ein so genanntes Peptidhormon. Das bedeutet, dass es aus Aminosäuren besteht, wie auch jedes andere Protein das wir essen und verdauen. Es gibt keine Studien die besagen, dass Wachstumshormone aus der Milch die menschliche Verdauung überleben würden oder deren Fragmente irgendeine biologische Aktivität im menschlichen Körper entfalten würden.

In Wahrheit gibt es sogar Nichts was darauf hindeuten würde, dass Wachstumshormone von Rindern überhaupt einen Effekt auf unsere eigenen menschlichen Wachstumshormonrezeptoren hätten.

Aber auch wenn das der Fall wäre – auch wenn bGH im Menschen biologisch aktiv sein würde – die Menge an Wachstumshormonen in Kuhmilch ist minimal (ungefähr 1/1000 Gramm pro Liter Milch (2)) und 85-90% davon werden auch noch bei der Hitzebehandlung der Milch zur Haltbarkeitsverlängerung, also während der Produktion, zerstört (3). Die winzige Menge, die dann übrig bleibt, wird dann aller Wahrscheinlichkeit nach ziemlich schnell im Verdauungstrakt in seine Aminosäuren aufgespalten und als solche absorbiert – wie das auch bei jedem anderen Nahrungsprotein der Fall ist.

(Manche Informationsseiten im Internet behaupten das Gegenteil, nämlich dass Wachstumshormone weder durch die Verdauung, noch durch die Hitzebehandlung gespalten werden, aber diese Behauptung beruht auf der fälschlichen Verwechslung von Wachstumshormonen mit IGF-1, welches tatsächlich etwas widerstandsfähiger ist als bGH. Wir werden die Mythen um IGF-1 aber noch später in diesem Artikel behandeln.)

Es hilft vielleicht etwas weiter, wenn man weiß, dass Wachstumshormone in der Milch nicht dazu da sind, das Kalb schneller wachsten zu lassen. Das Hormon ist aus demselben Grund in Kuhmilch, weshalb es auch in der menschlichen Muttermilch ist, und zwar, weil es einen passiven Transport vom Blut in die Milch gibt.

Die winzigen Mengen an bGH in der Milch haben überhaupt keinen Effekt auf das Kalb, denn auch wenn sein Wachstum zumindest teilweise von Wachstumshormonen (und IGF-1) abhängig ist, ist Milch dafür nicht die Hauptquelle; das Kalb produziert selbst sehr viel größere Mengen davon in seiner Hirnanhangdrüse.

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Hormone in der Milch: Es stimmt zwar, dass Kuhmilch geringe Mengen an Wachstumshormonen enthalten, jedoch sind diese im Menschen nicht biologisch aktiv. Nach der oralen Aufnahme werden diese Peptidhormone vom Verdauungstrakt in elementare Bestandteile, die sogenannten Aminosäuren, zerlegt. (Bildquelle: Fotolia / Sergey Ryzhov)

Fakt #2: Milch enthält dieselbe Menge IGF-1 wie deine eigene Spucke

IGF-1 (Insulin-ähnlicher Wachstumsfaktor 1) ist ein Peptidhormon, wie auch das Wachstumshormon, jedoch sind die beiden nicht dasselbe. IGF-1 wird von der Leber in Reaktion auf die Wachstumshormonausschüttung der Hirnanhangdrüse produziert und viele der Funktionen des Wachstumshormons werden dann durch IGF-1 vermittelt.

Auch wenn eine Verbindung zwischen den IGF-1 Spiegeln im Blut und der Entwicklung bestimmter Krebsarten besteht (werden wir später genauer betrachten), ist die Angst vor IGF-1 in der Milch unbegründet. Studien haben gezeigt, dass die orale Aufnahme von IGF-1 aus Kuhmilch keinen erkennbaren biologischen Effekt im menschlichen Organismus hat (4) – genau wie Wachstumshormone – auch wenn IGF-1 von Kühen dem menschlichen IGF-1 identisch ist. 

Das könnte ganz einfach damit zusammenhängen, dass die Konzentration von IGF-1 in der Milch viel niedriger ist, als in unseren eigenen Verdauungssäften, die in unserem Magen-Darm Trakt vorhanden sind (4). Die Menge an IGF-1 in Kuhmilch entspricht in etwa der Menge in menschlicher Muttermilch (5) und ist weitaus niedriger als die eigene tägliche Produktion durch die Leber.

Die Konzentration in unserem Blut ca. 100-mal höher ist als in Milch. Oder anders ausgedrückt: Wenn ein Säugling 1,5 Liter Kuhmilch pro Tag trinken würde – von amerikanischen Kühen, die mit künstlichen Wachstumshormonen* behandelt werden um mehr IGF-1 zu produzieren und damit mehr Milch zu geben – würde die Menge IGF-1, die der Säugling damit aufnimmt immer noch nur etwa 1% seiner eigenen täglichen Produktion betragen (7). Die Menge IGF-1 in der Mich ist einfach zu gering um von irgendeiner Relevanz zu sein.

Als Elternteil ist man vielleicht etwas besorgter darum, was man dem Kind alles aussetzt, was dazu führen kann, dass man auch Bedenken gegenüber diesen winzigen Mengen an Hormonen hat und dann doch zu einer anderen Säuglingsnahrung greift. Diese Sorge ist natürlich verständlich, aber es gibt absolut keinen Grund dafür, denn auch wenn IGF-1 widerstandsfähiger gegenüber Hitze ist als bGH, wird es dennoch durch die spezielle Hitzebehandlung aufgespalten, die Säuglingsnahrung gesetzmäßig über sich ergehen lassen muss (8).

*Europäische Milchkühe bekommen keine Wachstumshormone und andere Dinge, da dies von der EU nicht zugelassen ist (9). ­­­

Die Wahrheit über Hormone in der Milch | 6 Fakten

Hormone in der Milch: Bei IGF-1 handelt es sich um den sogenanntne “Insulinähnlichen Wachstumsfaktor 1”. IGF-1 per se ist weder schädlich noch krebsauslösend. IGF-1 zählt ebenfalls zu den Peptidhormonen und wird – ohne biologischen Effekt im Menschen – im Magen-Darm-Trakt zerlegt. (Bildquelle: Fotolia / alekseenko)

Fakt #3: Sojaprotein lässt deine IGF-1 Spiegel stärker ansteigen, als es der Verzehr von Milch tut

Auch wenn Milch keine relevanten Mengen IGF-1 enthält, steigt der Hormonspiegel trotzdem nach dem Verzehr von Milch. Ein Anstieg von nur 14 Mikrogramm pro Liter Blut (10) (was ohnehin schon zwischen 135 und 600 Mikrogramm enthält (6)), aber nichtsdestotrotz ein Anstieg. Diese Art von Anstieg des zirkulierenden IGF-1 ist jedoch keine einzigartige Eigenschaft des Milchtrinkens. Es gibt eine Reihe von Lebensmitteln, die deine eigene IGF-1 Produktion steigern.

Eine Interventionsstudie aus dem Jahre 2011 zeigte, dass eine tägliche Aufnahme von 50g Sojaprotein die IGF-1 Spiegel um 21 Mikrogramm pro Liter steigen lässt (11). Da Soja überhaupt kein IGF-1 enthält, muss der Anstieg daraus resultieren, dass die körpereigene Ausschüttung angeregt wurde.

Generell scheint es so, dass unsere eigene IGF-1 Produktion von unserer Proteinaufnahme abhängig ist (12). Egal ob dieses aus tierischen oder pflanzlichen Quellen stammt ist irrelevant und man kann annehmen, dass eine niedrige IGF-1 Produktion ein Zeichen einer Mangelernährung – besonders bei älteren Menschen – ist (13). Aber warum machen wir uns überhaupt solche Gedanken um IGF-1?

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Hormone in der Milch: Falls dich die Sache mit dem IGF-1 Spiegel immer noch tangiert, solltest du dir vor Augen halten, dass andere Proteinquellen den körpereigenen IGF-1 Spiegel stärker ansteigen lassen, als wenn es Milch jemals könnte. Die IGF-1 Produktion korreliert mit der Proteinzufuhr. (Bildquelle: Fotolia / fabiomax)

Fakt #4: IGF-1 verursacht keinen Krebs

Grundlegende Missverständnisse der Wissenschaft sind die Wurzel der meisten Gesundheitsmythen. Wenn es um Krankheiten geht ist das prominenteste Beispiel für Mythen, dass komplexe Krankheitsbilder eine einzige Ursache haben. Viel glauben, dass Diabetes durch die Aufnahme von Zucker (oder einfach nur Kohlenhydraten) ausgelöst wird, das Salz der Grund für einen hohen Blutdruck ist und das IGF-1 Krebs auslöst. Aber Krebs – wie alle der eben genannten Beispiele – ist eine multifaktorielle Erkrankung (14) und jede Art von Krebs wird aller Wahrscheinlichkeit nach von einer Vielzahl von ineinander verknüpften Faktoren ausgelöst. Wenn also jemand behauptet, dass eine einzige Sache – zum Beispiel Wachstumshormone IGF-1 der Auslöser von Krebs sei – ist das immer falsch (und einfach zu widerlegen).

Was wir wissen ist, dass hohe Spiegel an IGF-1 im Blut eventuell das Risiko für eine Krebsart (in der Prostata) erhöht – aber nicht Krebs im Allgemeinen. Dass hohe IGF-1 Spiegel eventuell eine einzige Art von Krebs auslöst ist eine Hypothese, aber kein Fakt und unter allen Umständen würde ein Wachstumsfaktor wie dieser nur eine Rolle in einem komplizierten Zusammenfluss verschiedener Faktoren spielen.

Die meisten Behauptungen, dass IGF-1 der Hauptauslöser für jede Art von Krebs sei, basiert auf Zellstudien, welche niemals für die Erklärung von Ursachen und Effekten in den komplexen Interaktionen des menschlichen Körpers verwendet werden (dürfen).

Zellstudien können nur eine Hypothese aufstellen (oder dabei helfen die Mechanismen dahinter, sowie Korrelationen aufzuklären), damit diese substanziell in weiteren wissenschaftlichen Studien am lebenden Organismus getestet werden kann. Diese wissenschaftlichen Studien wurden bereits durchgeführt und zeigen unter anderem, dass auch wenn der IGF-1 Gehalt im Blut ein bisschen erhöht ist, die Aufnahme von Milchprodukten mit einer niedrigeren Rate an Kolorektalkrebs in Verbindung steht – besonders bei Personen mit hohen IGF-1 Spiegeln im Blut (15). Das ist ein komplett gegenteiliges Ergebnis der Hypothese, dass der Verzehr von Milch generell krebserregend sei und dass dieser Prozess, im Kontext des erwähnten Artikels, sogar vorrangig durch IGF-1 angetrieben wird.

Am Ende sollte es uns doch mehr interessieren, ob gewisse Lebensmittel das Risiko für Krebs erhöhen und nicht, ob bestimmte Inhaltsstoffe dies in Isolation oder in einer Petri-Schale tun. Bevor ich beschreibe, was wir eigentlich über die Verbindung zwischen Milch und Krebs wissen, lass uns einen kurzen Blick auf eine letzte Gruppe von Milchhormonen werfen: den Östrogenen.

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Hormone in der Milch erhöhen den IGF-1 Spiegel, einen Faktor, der für Krebs verantwortlich ist? Vielfach wird behauptet, dass IGF-1 ein Auslöser für Krebs sei und es daher sinnvoll wäre, Milch (und eine proteinreiche Ernährung) zu vermeiden. Die Warheit ist jedoch, dass diese Behauptungen in Untersuchungen (in vivo) niemals nachgewiesen wurden. (Bildquelle: Fotolia / beats_)

Fakt #5: Milch erhöht nicht eure Östrogenspiegel

bGH und IGF-1 sind nicht die einzigen Hormone, die Menschen dazu bringen Angst vor Milch zu haben. Ein großer Teil der Milch, die wir trinken, kommt von Kühen, die schwanger sind – und genau wie bei uns Menschen bedeutet das, dass die Blutspiegel des Östrogens höher sind als normal.

Da das, was in der Milch passiert, widerspiegelt was im Blut des Tieres oder des Menschen vor sich geht, enthält die Milch einer Kuh im dritten Trimester der Schwangerschaft ungefähr 20mal so viel Östrogen wie die einer nicht-schwangeren Kuh. Aber wie du bis jetzt vielleicht mitbekommen hast, bedeutet „20mal so viel“ an sich nicht wirklich etwas.

Eine neue Studie an Mäusen (16) hat getestet, ob die Mengen an Östrogen in der normalen Milch, trächtiger Kühe einen Effekt auf die zirkulierenden Spiegel an Östrogen in den Genitalien der Mäuse einen Effekt hatte.

Das hatte es nicht…

Danach wurde den Mäusen die 100-fache Menge Östrogen verabreicht, wie man in den Milchproben mit den höchsten Werten finden konnte. Wieder passierte nicht.

Nur als man das 1000-fache der höchsten Milchkonzentration an Östrogen verabreichte, wurde es möglich einen Effekt auf das Blut und die Genitalien der Tiere zu erzielen. Diese Untersuchung ist aber nun wirklich kein Mysterium, denn Östrogene sind Steroidhormone und diese werden zum größten Teil während des First-Pass-Metabolismus in der Leber abgebaut (17) – zumindest so lange die Menge die Kapazität dieses Systems nicht überschreitet.

Alles was wir über die gastrointestinalen Membranen aufnehmen wird erstmal über die Pfortader zur Leber transportiert, bevor es in die Blutzirkulation eintritt. Die Leber ist dabei unser Entgiftungsorgan und stellt sicher, dass wir keinen Stoffen ausgesetzt werden, die uns schädigen können.

Dass die Leber so effektiv Steroidhormone abbauen kann ist auch der Grund dafür, dass Bodybuilder ihre Steroide normalerweise injizieren müssen und nicht oral aufnehmen können. Wenn sie dennoch orale Steroide verwenden, dann sind diese chemisch verändert worden, damit sie resistent gegenüber dem Abbau in der Leber und dem Verdauungstrakt werden. Darum haben orale Steroide auch einen toxischen Effekt auf die Leber und werden nur in Ausnahmefällen verwendet (zumindest wenn jemand weiß was er tut) (18).

All diese Mythen über Hormone in Kuhmilch wurden erschaffen, damit du glaubst, Milch verursache Krebs. Und das ist die Frage aller Fragen, die wir beantworten wollen – nicht ob bestimmte Hormone theoretisch das Krebsrisiko erhöhen. Habe ich Recht?

Wenn es wirklich belastbare Beweise dafür gäbe, dass Milch das generelle Krebsrisiko erhöht, würde es am Anfang jedes Artikels im Netz stehen, damit du bloß keine Milch mehr trinkst. Du würdest in dem Falle Metaanalysen von Studien über Milch sehen, die eine klare Verbindung zwischen Milch und Krebs zeigen.

Aber das ist nicht was wir sehen…

Stattdessen sieht man diese eine Studie, die eine Korrelation fand (und das taten bei Weitem nicht alle) zusammen mit zahlreichen Zell- und Tierstudien, die diese Verbindung nicht herstellen konnten, aber stattdessen umstandsbedingte Evidenz nutzten, um eine Verbindung aufzuzeigen, die man auch direkt untersuchen könnte.

Umstandsbedingte Evidenz ist okay, um unseren Hypothesen eine Basis zu geben, wenn keine anderen Möglichkeiten bestehen –  aber die haben wir und davon reichlich.   

Die Wahrheit über Hormone in der Milch: 6 Fakten

Hormone in der Milch erhöhen den Östrogenspiegel? Ein erhöhter Östrogenspiegel kann beim Mann zur Verweiblichung führen. Kuhmilch kommt von schwangeren Tieren, d.h. dass er Östrogenspiegel im Tier erhöht ist, aber dies bedeutet nicht, dass oral aufgenommenes Östrogen auch den körpereigenen Östrogenspiegel erhöht – das tut es, dank dem First-Pass-Effekt, jedoch nicht. (Bildquelle: Fotolia / Andrey Popov)

Fakt #6: Milch erhöht nicht das Risiko an Krebs zu erkranken

Herauszufinden, ob es einen Zusammenhang zwischen speziellen Lebensmitteln und Krebs gibt, ist um einiges schwieriger, als sich das manche Menschen vorstellen. Selbst wenn man eine Korrelation beobachtet, ist es noch lange nicht sicher, dass das eine auch das andere hervorruft – es könnte genauso gut andersherum sein (das nennt man umgekehrte Kausalität – was auch erklärt warum der Verzehr künstlich gesüßter Getränke mit Übergewicht korreliert (19)) oder es könnte auch etwas vollkommen anderes sein, was sowohl die Exposition, als auch die Auswirkung beeinflusst (man nennt das einen Störfaktor). Zu beobachten, dass die Exposition mit der Auswirkung verbunden zu sein scheint, heißt noch lange nicht das eines der Auslöser für das andere ist.

Wenn es darum geht zu untersuchen was Krebs auslöst, haben wir für gewöhnlich nichts außer Beobachtungsstudien wie diese, auf die wir uns beziehen können. Wir können keine longitudinalen, kontrollierten Studien in diesem Feld durchführen, da es schrecklich unethisch wäre, in einer Gruppe von Menschen aktiv die Krebsentstehung zu provozieren (und auch wenn wir es täten und nur einen kleinen Anstieg in der Krebsinzidenz sehen würden, müssten wir die Studie sofort abbrechen). Wie können wir also mit Sicherheit sagen, dass etwas Krebs auslöst.

Im Jahre 1965 entwickelte Sir Austin Bradford Hill eine Reihe von Kriterien (20), die erfüllt werden müssen um eine Kausalität zwischen einem mutmaßlichen Auslöser und einem Effekt feststellen zu können. Diese Bradford-Hill-Kriterien sehen zusammengefasst wie folgt aus:

  • Die Effektgröße (die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit) muss groß sein.
  • Die beobachtete Verbindung muss wiederkehrend in mehreren Studien auftauchen.
  • Es darf keine anderen wahrscheinlichen Erklärungen für den beobachteten Zusammenhang geben.
  • Der Effekt (die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit) muss lange genug nach der Exposition beobachtet werden, sodass es zu unserm aktuellen Verständnis der Etiologie und Pathogenese einer Krankheit passt.
  • Es sollte eine Beziehung zwischen Dosis und Wirkung geben (je höher die Dosis, desto höher das beobachtete Risiko).
  • Es sollte eine mögliche oder bekannte (biologisch plausible) Erklärung zu den Mechanismen hinter der beobachteten Verbindung geben.
  • Es sollte eine Übereinstimmung zwischen dem was wir beobachten und den dazu durchgeführten Interventions-, Tier- und Zellstudien geben.

Die Wahrheit über Hormone in der Milch: 6 Fakten

Hormone in der Milch führen zu einem erhöhten Krebsrisiko? (Bildquelle: Fotolia / stadelpeter)

Ein gutes Beispiel für eine Assoziation, die die Bradford-Hill-Kriterien erfüllt, wäre Rauchen und Lungenkrebs.

Rauchen erhöht das Risiko an Lungenkrebs zu erkranken zwischen 1.500 und 3.000% (21) – ein Effekt der in allen Beobachtungsstudien in allen Populationen nachgewiesen werden konnte. Lungenkrebs ist bei Nichtrauchern weitestgehend unbekannt (sieht man mal von Passivrauchen & Umweltkontaminationen ab), wohingegen das Risiko für Raucher, irgendwann in ihrem Leben an Lungenkrebs zu erkranken, bei etwa 17% liegt.

Die beobachtete Zeitspanne zwischen der Exposition und dem Auftreten des diagnostizierbaren Lungenkrebses stimmt mit dem überein, was im Vorfeld angenommen wurde. Es besteht eine klare Beziehung zwischen Dosis und Wirkung (mehr Zigaretten führen zu einem höheren Risiko) und da Zigaretten eine Bandbreite an starken Mutagenen und Karzinogenen enthalten, es gibt eine plausible Erklärung dafür was wir beobachten und stimmt mit den Ergebnissen aus Tier- und Zellstudien überein.

Meines Wissens nach gibt es kein einziges Lebensmittel, was die Bradford-Hill-Kriterien für Kausalität erfüllt. Verarbeitetes Fleisch kommt dem zwar nahe, doch selbst in diesem Falle ist die Effektgröße minimal.

Um behaupten zu können, dass Milch das Krebsrisiko erhöht, müsste man (unter anderem) belegen können, dass der Milchverzehr durchweg mit einer signifikanten Erhöhung des Krebsrisikos zusammenhängt und dass dieser Effekt von der Dosis abhängig ist.

Das ist aber nicht was wir sehen. Verschiedene Studien zeigen in unterschiedliche Richtungen und bei machen Krebsarten scheint es so, als ob es sogar vor dieser speziellen Krebsart schützt, wiederum eine andere Krebsart begünstigt.

Wenn du zur Anti-Milch-Fraktion gehörst (oder einfach nur die Angstmache befürwortest) wirst du jetzt wahrscheinlich auf die Studien zeigen wollen, die eine mögliche Erhöhung des Risikos durch den Milchverzehr anzeigen und das auch zu deinem Vorteil nutzen wollen – selbst wenn die Studien zeigen, dass die Erhöhung des Risikos lächerliche 3% pro 200ml Milch pro Tag beträgt (22). Zumindest ist das der Schwerpunkt dieses Artikels, dass man durch das reine Herauspicken von Studien, die das bestätigen was man glaubt, zu einem hartgesottenen Anti-Milch-Ideologisten werden kann. 

Wenn du Pro-Milch bist, legst du die Betonung vielleicht eher auf die Reduktion des Risikos für Kolorektalkrebs, welche sich in der Analyse von 10 Studien herausstelle und ein um 15% reduziertes Risiko durch den Verzehr von 250ml pro Tag im Vergleich zu 70ml oder weniger zeigte (23). Oder du fokussierst dich auf die neueste Meta-Analyse hinsichtlich Brustkrebs die zeigte – entgegen dem was die Panikmache über Hormone in der Milch prognostizieren würde – dass der Verzehr von Milchprodukten mit einer dosisabhängigen Reduktion des Risikos um bis zu 24% korreliert (24). 

Aber man muss nicht entweder Pro- oder Anti-Milch sein. Die Wissenschaft bestärkt keine dieser schwarz/weiß Meinungen und auch ich tue das nicht. Es gibt viele Mittelwege zwischen den beiden Extremen, die dich nicht dazu zwingen eine der beiden Seiten zu wählen. Vielleicht sind die beobachteten Korrelationen kausal. Vielleicht spielt Milch eine (kleine) Rolle beim Schutz vor einigen Krebsarten und bei der Förderung anderer. Aber es ist einfach falsch, dickköpfig zu behaupten, Milch würde Krebs auslösen. Die Kriterien um eine Kausalität herzustellen werden einfach nicht erfüllt.

Ein aktuelles, systematisches Review und Meta-Analyse von Beobachtungsstudien zum Milchverzehr und der Sterberate zeigt, dass Milch das Gesamt-Sterberisiko weder fördert noch unterdrückt, weder vor, noch nach einer Diagnostizierung mit Herz-Kreislauferkrankungen oder Krebs (25) (den beiden Haupttodesursachen in den Industriestaaten).

Milch ist es also nun aller Wahrscheinlichkeit nicht wert, um sich Sorgen zu machen (was die Krebsentstehung beim Menschen angeht). Und das ist auch gut so, denn es gibt andere Dinge um die wir besorgt sein sollten – wie zum Beispiel Rauchen, Alkohol und Übergewicht – wenn wir wirklich daran interessiert sind unser Krebsrisiko zu senken.

       

Hormone in der Milch | Abschließende Worte & Fazit

Damit hätten wir das Thema Hormone in der Milch extensiv abgefrühstückt. Ich weiß, das ist ein Thema mit einer Menge Zündstoff. Zunächst mal bietet es so viel Zündstoffe, da es eine Fülle an erschreckenden Unwahrheiten in Artikeln, Magazinen und Büchern gibt.

Diese Unwahrheiten über Hormone in der Milch und Krebs bringt manche Leute dazu, andere Leute davon überzeugen zu müssen – selbst rational denkende Menschen sind davon betroffen. Ich wurde selbst zum Ofer dieser Attacken. Aus diesem Grund würde ich nicht im Traum daran denken, andere Menschen weder aufgrund ihres des Glaubens dieser Unwahrheiten, noch dafür, dass die dies anderen mitteilen, zu verurteilen. Denn wenn es tatsächlich der Wahrheit entsprechen würde, dass Milch bis oben hin voll mit Hormonen sei, die uns Krebs bescheren, wäre es unmoralisch diese Information nicht von den Dächern zu schreien und zu fordern, dass Gesundheitsexperten in Handlung treten. Aber es ist einfach nicht die Wahrheit – und ich danke Gott dafür!

Das Thema wurde weiterhin entfacht, da Milch und Gesundheit zusammen mit Milch und Klimaschutz, Milch und Tierschutz, Wohlstand oder Milch und „Big Food“ in einen Topf geworfen werden. Es geht also nicht nur um Hormone in der Milch.

Es ist vollkommen okay zu denken, dass die Produktion von Milch unethisch sei oder dass die Leute die für die Milchproduktion verantwortlich sind, bzw. die Milchlobbyisten, die gesundheitlichen Vorteile von Milch ausschlachten und übertreiben. Es ist auch vollkommen okay die Notwendigkeit eines Milchverzehrs zu hinterfragen und ob der Milchkonsum schlecht für die Umwelt ist…solange du diese verschiedenen Dinge auseinanderhältst, denn keines dieser Dinge ändert etwas daran was und die Wissenschaft über Milch, Hormone und Krebs sagt.

Jetzt weißt du Bescheid, wie es um Hormone in der Milch bestellt steht und wieso die Ängste unbegründet sind.

Quellen & Referenzen

(1) Juskevich, JC. / Guyer, CG. (1990): Bovine Growth Hormone: Human Food Safety Evaluation. In: Am Assoc Adv Sci. URL: http://www.jstor.org/stable/2877952?seq=1#page_scan_tab_contents.

(2) Groenewegen, PP., et al. (1990): Effect of bovine somatotropin on the growth rate, hormone profiles and carcass composition of Holstein bull calves. In: Dom Anim Endocrinol. URL: http://europepmc.org/abstract/med/2311373.

(3) Groenewegen, PP., et al. (1990): Bioactivity of milk from bST-treated cows. In: J Nutr. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/2341916.

(4) Collier, RJ. / Bauman, DE. (2014): Update on human health concerns of recombinant bovine somatotropin use in dairy cows. In: J Anim Sci. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24663163.

(5) Collier, RJ., et al. (1991): Factors affecting insulin-like growth factor-I concentration in bovine milk. In: J Dairy Sci. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/1779049.

(6) Sundhed.dk (2016): IGF-1. URL: https://www.sundhed.dk/sundhedsfaglig/laegehaandbogen/undersoegelser-og-proever/klinisk-biokemi/blodproever/igf-1/.

(7) FDA (2009): Report on the Food and Drug Administration’s Review of the Safety of Recombinant Bovine Somatotropin. URL: http://www.fda.gov/AnimalVeterinary/SafetyHealth/ProductSafetyInformation/ucm130321.htm.

(8) Collier, RJ., et al. (1991): Factors affecting insulin-like growth factor-I concentration in bovine milk. In: J Dairy Sci. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/1779049.

(9) Brinckman, D. (2000): The regulation of rBST: the European case. In: AgBioForum. URL: http://www.agbioforum.org/v3n23/v3n23a15-brinckman.htm.

(10) Qin, LQ. / He, K. / Xu, JY., et al. (2009): Milk consumption and circulating insulin-like growth factor-I level: a systematic literature review. In: Int J Food Sci Nutr. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19746296.

(11) McLaughlin, JM., et al. (2011): Effects of Tomato- and Soy-Rich Diets on the IGF-I Hormonal Network: A Crossover Study of Postmenopausal Women. In: Cancer Prev Res (Phila). URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21430071.

(12) Norat, T., et al. (2007): Diet, serum insulin-like growth factor-I and IGF-binding protein-3 in European women. In: Eur J Clin Nutr. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16900085.

[13] Maggio, M., et al. (2013): IGF-1, the Cross Road of the Nutritional, Inflammatory and Hormonal Pathways to Frailty. In: Nutrients. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3820068/.

(14) Cancer Research UK (2016): Causes of cancer and reducing your risk. URL: http://www.cancerresearchuk.org/about-cancer/causes-of-cancer.  

(15) Ma, J., et al. (2001): Milk Intake, Circulating Levels of Insulin-Like Growth Factor-I, and Risk of Colorectal Cancer in Men. In: J Nat Canc Inst. URL: http://jnci.oxfordjournals.org/content/93/17/1330.full.

(16) Grgurevic, N., et al. (2016): Effect of dietary estrogens from bovine milk on blood hormone levels and reproductive organs in mice. In: J Dairy Sci. URL: http://www.journalofdairyscience.org/article/S0022-0302%2816%2930323-X/fulltext?rss=yes.

(17) Pond, SM. / Tozer, TN. (1984): First-pass elimination. Basic concepts and clinical consequences. In: Clin Pharmacokinet. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/6362950.

(18) Kafrouni, MI. / Anders, RA. / Verma, S. (2007): Hepatotoxicity Associated With Dietary Supplements Containing Anabolic Steroids. In: Clin Gastroenterol Hepatol. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17509944.

(19) de Koning, L., et al. (2011): Sugar-sweetened and artificially sweetened beverage consumption and risk of type 2 diabetes in men. In: Am J Clin Nutr. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21430119.

(20) Hill, AB. (1965): The Environment and Disease: Association or Causation? In: Proc R Soc Med. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1898525/.

(21) CDCP (2016): What Are the Risk Factors for Lung Cancer? URL: http://www.cdc.gov/cancer/lung/basic_info/risk_factors.htm.

(22) Aune, D., et al. (2015) Dairy products, calcium, and prostate cancer risk: a systematic review and meta-analysis of cohort studies. In: Am J Clin Nutr URL: http://ajcn.nutrition.org/content/101/1/87.full.

(23) Cho, E., et al. (2004): Dairy Foods, Calcium, and Colorectal Cancer: A Pooled Analysis of 10 Cohort Studies. In: J Nat Can Inst. URL: http://jnci.oxfordjournals.org/content/96/13/1015.

(24) Zang, J., et al. (2015): The Association between Dairy Intake and Breast Cancer in Western and Asian Populations: A Systematic Review and Meta-Analysis. In: J Breast Canc. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26770237/.

(25) Larsson, SC et al. (2015): Milk Consumption and Mortality from All Causes, Cardiovascular Disease, and Cancer: A Systematic Review and Meta-Analysis. In: Nutrients. URL: http://www.mdpi.com/2072-6643/7/9/5363/htm.


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Bildquelle Titelbild: Flickr / Benjamin Horn ; CC Lizenz


 

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Morten verfügt über einen Masterabschluss in Molekularer Ernährung & Lebensmitteltechnologie. Seine spärliche Zeit verbringt er damit pseudowissenschaftlichen Gesundheitsunsinn zu widerlegen.

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4 Kommentare

  1. Sehr guter Artikel! Wo ist aber der Link zu den Quellen? Würde sie mir gerne anschauen

    • Gab einen kleinen Fehler im Code. Jetzt sollte unten ein aufklappbarer Button mit den Quellenangaben sein.

      • Hab den Artikel gelesen weil ich die Pro und Kontra Seite abwägen wollte. Leider finde ich den obigen Artikel sehr wertend und stellenweise recht unsachlich geschrieben.
        Als Leser wird man negativ bewertet wenn man nicht Meinung des Autors is, hilft mir leider nicht wenn ich mir eine sachliche Meinung bilden möchte.
        Es wirkt auch so als wäre nur in die eine Richtung recherchiert worden, gleichzeitig wirft der Autor jedem “anderen” schlechte Recherche vor.
        Fand ich leider nicht sehr hilfreich, aber wer seine vorgefasste Meinung bestätigen will der ist hier richtig.

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