Studien widersprechen sich, also glaube ich nicht an wissenschaftliche Untersuchungen

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Studien widersprechen sich, also glaube ich nicht an wissenschaftliche Untersuchungen

Von Anoop Balachandran | Benötigte Lesezeit: 5 Minuten |


Dies ist eine der häufigsten Argumente, die sich gegen einen auf Wissenschaft-basierenden Ansatz aussprechen. Und ich habe mittlerweile aufgehört zu zählen, wie oft ich Kommentare auf Facebook und in Foren gelesen habe, die ungefähr so lauten: „Eine Studie sagt aus, dass es helfen könnte, die andere sagt, dass es nicht hilft“ oder „Du kannst zu jeder Studie eine entsprechende Gegenstudie finden“.

Aus diesem Grund – so heißt es – sei eine Diskussion, die auf Basis von Studien geführt wird, sinnlos.

Dies ist einer der Hauptkritikpunkte, der gegen wissenschaftliche Ansätze ins Feld geführt wird. Keiner der online verfügbaren Artikel hat dieses Thema gut genug aufgedröselt und ich habe von Leuten gehört und gelesen, die angeblich zu den Experten der wissenschaftlichen Community gehören und ihre Hände über dem Kopf in schierer Verzweiflung zusammenschlagen, wenn sie über widersprüchliche Ergebnisse zum gleichen Thema stolpern.

Studien widersprechen sich, also glaube ich nicht an wissenschaftliche Untersuchungen

Was ist also falsch an dieser Debatte?

Man vergleicht Äpfel mit Orangen.

Es gibt offensichtliche Gründe für vorhandene Differenzen in Studien, obwohl diese relativ ähnlich zu sein scheinen. Der Hauptgrund könnte in z.B. in

  • der untersuchten Population
  • der Intervention/Behandlung
  • der Ergebnismessung
  • der Dauer der Studie
  • der Voreingenommenheit („Bias“)

liegen.

Ich möchte dies an einem Beispiel veranschaulichen: Nehmen wir einmal an du hast zwei Studien mit einem identischen Trainingsprogramm, bei dem der Muskelmassegehalt als Ergebnismessung herangezogen wird. Die Studien haben eine ähnliche Dauer und kommen dennoch zu widersprüchlichen Ergebnissen. Wieso?

Es liegt daran, dass in einer Studie untrainierte Studienteilnehmer und in der anderen trainierte Probanden verwendet wurden, um den Effekt zu messen. Natürlich haben die untrainierten Teilnehmer massive Ergebnisse erzielt, während die Trainierten weniger Fortschritte machten, als erwartet.

Der Punkt ist hier folgender: Die Studien können ähnlich aussehen, aber sich in fundamentalen Aspekten voneinander unterscheiden. Aus diesem Grund dürfen sie auch nicht in einen Topf geworfen werden. Das ist so dumm, als würde man sich darüber aufregen, dass Äpfel keine Orangen sind.

Konflikte ähnlicher Studien

Wenn ähnliche Studien miteinander in Konflikt stehen, dann ist dies meist darin begründet, dass diese Studien nicht genügend Teilnehmer enthalten. Oder in anderen Worten: Das Treatment (z.B. ein Medikament, ein Supplement, ein Trainingsprogramm, eine Übung) ist effektiv, doch es konnte keine statistische Signifikanz hergestellt werden, weil es zu wenige Teilnehmer gab (siehe hierzu Mennos‘ Artikel „(Kraftsport-) Studien verstehen lernen | Was ist die Teststärke (Statistical Power)?“).

Das wissen wir aber schon seit sehr langer Zeit und deswegen haben wir auch eine recht elegante Lösung für dieses Problem – es nennt sich Meta-Analyse oder auch Meta-Studie.

Die Lösung des Problems: Die Meta Studie

Die Lösung des Problems: Die Meta Studie

In einfachen Worten ausgedrückt handelt es sich bei einer Meta-Studie um einen systematischen Prozess, der viele kleinere Studien zu einer großen Studie (mit einer großen Teilnehmeranzahl) kombiniert.

Tatsächlich ist dies auch der Grund, wieso Meta-Studien die größte Validität besitzen und sich damit einen Platz an der Spitze der Pyramide in der Hierarchie der Beweislast in einem auf Wissenschaft-basierenden Ansatz verdienen.

Aus diesem Grund gilt für all jene Personen, die ihre Studien gerne mit Hilfe eines „cherry-picking“ auswählen um ihren Standpunkt zu untermauern oder für Individuen, die darauf hinweisen, dass sich Studien ohnehin widersprechen und daher keine Gültigkeit besitzen folgende Aussage: Sie liegen beide falsch und haben offensichtlich keine Ahnung über die Basics des auf Wissenschaft basierenden Ansatzes.

Bla bla bla – Kannst du auch ein Beispiel geben?

Hier ist eine sehr berühmte Meta-Studie, die untersucht hat, ob eine kurze und günstige Behandlung mit Corticosteroiden bei schwangeren Frauen die Kindersterblichkeit reduziert oder nicht. Die Ergebnise der Meta-Untersuchung sind in einer Grafik dargestellt, die sich „Forest Plot“ nennt:

Studien widersprechen sich, also glaube ich nicht an wissenschaftliche Untersuchungen

Widersprüchliche Studienergebnisse sind aufgrund der geringen Teilnehmerzahl eher die Regel als die Ausnahme. Die Lösung des Problems lautet: Meta-Analyse! (Bildquelle: Roberts/Dalziel, 2006))

Jetzt werden sich einige unserer Leser fragen: Was zum Teufel haben all diese Linien nun zu bedeuten?

  • Jede horizontale Linie repräsentiert eine Studie. Das Jahr der Studie (also das Jahr an dem die Studie publiziert wurde), wird auf der linken Seite angegeben. Je kürzer die Linie, desto größer ist unser Vertrauen in das Ergebnis der Studie.
  • Die vertikale Linie ist die Linie für „Keine Unterschiede“. Das heißt: Wenn die horizontale Linie die vertikale Linie berührt, dann ist das Ergebnis der Untersuchung statistsich gesehen nicht signifikant. Oder anders formuliert: Es gibt keinen Vorteil durch das Treatment.
  • Wie du sehen kannst, sind nur 2 Studien (in grün) auf einem signifikanten Niveau, wobei 5 Studien (in rot) keine Signifikanz erreichen. Das heißt: 2 Studien zeigen, dass die Behandlung mit Corticosteroiden vorteilhaft ist, während 5 Studien zeigen, dass die Behandlung keinen Vorteil liefert. Wenn du danach gehst, dann kommst du tatsächlich zu dem Ergebnis, dass es widersprüchliche Ergebnisse zwecks einer Behandlung von schwangeren Frauen mit Corticosteroiden gibt und dass die Behandlung wohlmöglich nicht effektiv ist.

Basierend auf diesen „nicht eindeutigen“ Ergebnissen haben die meisten Geburtshelfer keine Corticosteroid-Therapie durchgeführt. 1989 wurde schließlich eine Meta-Studie durchgeführt. Und wie die obige Grafik zeigt: Wenn man die vorangegangenen Studien miteinander kombiniert, bekommt man insgesamt 2.486 Teilnehmer heraus und es zeigt sich ein eindeutiger Vorteil bei der Behandlung mit Corticosteroiden.

Die Position des Diamanten zu Gunsten der linken Seite impliziert, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit der Babies durch die Gabe von Corticosteroiden um 30-50% reduziert werden kann!

Unglücklicherweise brauchte es noch eine weitere Dekade (und 10 weitere Studien) und eine erneute Meta-Analyse, bis diese Behandlung routinemäßig Einzug in die Praktik von Geburtenhelfern fand. Wir kamen also eigentlich schon viel zu spät zu der Party – und als die Meta-Analyse schließlich durchgeführt war, haben wir uns nicht darum gekümmert wenn es darum ging die Ergebnisse nachzuschlagen. Stattdessen haben wir weitere Gelder für neue Studien verschwendet.

 

Und was heißt das alles nun genau?

Und was heißt das alles nun genau?Es heißt, dass mehrere zehntausende Babies unnötig gelitten und unnötig gestorben sind.

Diese Geschichte war tatsächlich so unglaublich, dass man den Forest Plot der Corticosteroid Meta-Analyse in der Folge in das Logo der Cochrane Group aufgenommen hat.

Die Cochrane Collaboration ist eine unabhängige Nonprofit-Organisation die in mehr als 130 Ländern repräsentiert ist. Ihre primäre Aufgabe besteht primär darin qualitativ hochwertige systemische Reviews und Meta-Analysen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge möglichst zeitnah zu veröffentlichen, um dafür zu sorgen, dass sich derartige Tragödien nicht mehr wiederholen.

Und falls du Fragen über gesundheitliche Fürsorge hast, so ist dass deine erste Anlaufstelle im Internet. Die Corticosteroid Meta-Analyse ist ein Beispiel für eine beinahe unglaubliche Story für die Macht eines auf Wissenschaft basierenden Ansatzes oder – noch spezieller – die Story der Meta-Analyse, die zehntausende von Leben rettet.

Abschließende Worte

Studien wirken auf den ersten Blick sehr ähnlich, können sich aber in fundamentalen Aspekten voneinander unterscheiden.

Anstatt handverlesene Studien („cherry-picking“) rauszusuchen, welche die eigenen Ansichten unterstützen, sollte man sich die Gesamtheit der Beweislast ansehen. Studien, die sich in der Tat ähneln und die zu widersprüchlichen Ergebnissen kommen, sollten in einem systematischen Prozess den man „Meta-Analyse“ nennt zusammengefasst und systematisch analysiert werden.

Du fandest diesen Beitrag zum Thema Studien und wieso sie sich widersprechen informativ & lehrreich – und würdest gerne mehr evidenzbasierte Informationen (Praxis & Theorie) lesen? Dann werde Leser unseres monatlich erscheinenden Magazins, der Metal Health Rx

Quellen & Referenzen

(1) Roberts, D. / Dalziel, S. (2006): Antenatal corticosteroids for accelerating fetal lung maturation for women at risk of preterm birth. In: Cochrane Database Syste Rev. URL: http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16856047.

(2) Archive of the old Cochrane Community Site: The story of the Cochrane logo. URL: http://www.cochrane.org/features/story-cochrane-logo.


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Bildquelle Titelbild: Pixabay / felixioncool ; CC Lizenz


Über

Anoop Balachandran verfügt über einen PhD in Exercise Physiology, einen Masterabschluss in Human Performance und ist ein ACE und NSCA zertifizierter Personal Trainer und Kraftcoach.

Fitness ist seine leidenschaftliche Passion. Auf seiner Seite ExerciseBiology.com lässt sich Anoop zu einer Vielzahl von Themen aus, die sich um Kraftsport, Leistungssteigerung, Ernährung und eine Verbesserung der Körperkomposition drehen.

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