Wissenschaft und Evidenz in der Praxis: Diäten

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Wissenschaft und Evidenz in der Praxis: Diäten

Von Dr. Brad Dieter | Benötigte Lesezeit: 11 Minuten |


Im Laufe meiner wissenschaftlichen Karriere verbrachte ich über 10 Jahre mit der Ausbildung in der Wissenschaft (als Bachelor-Student, Master-Student, Doktor und nun als Hochschulmitglied). Bei 90% der Zeit dieser Ausbildung ging darum, wie man über Probleme nachdenkt, Fragen stellt und diese schlussendlich beantwortet. Die restlichen 10% bestanden aus spezifischen Inhalten.

Der Großteil der Ernährungswelt sieht bereits (meiner Meinung nach) seit einigen Jahrzehnten den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr und verschwendet viel zu viel Zeit damit, sich mit Inhalten zu beschäftigen (und viel zu wenig darauf, wie man über die Ernährung nachdenken sollte und auf welche Dinge es WIRKLICH ankommt).

Ich werde heute versuchen, dies ein wenig zurechtzurücken.

Wissenschaft und Evidenz in der Praxis: Diäten

Mein wissenschaftliches Training hat mir eine einzigartige Perspektive auf die Dinge gegeben. Ich wurde über das gesamte translationale Spektrum trainiert; letzte Woche habe ich innerhalb von 24 Stunden Zellen kultiviert, Tiere injiziert, mit Patienten geredet und Daten aus klinischen Studien verarbeitet. Dieses Training lehrte mich viel darüber, wie man über große Problematiken denken muss und wie man Evidenz über drei Schlüsselebenen zu kohärenten Ideen verknüpft, die man dann in die praktische Anwendung beim Menschen übersetzen kann.

Diese drei Ebenen sind:

  • Die Observationsebene
  • Die mechanistische Ebene und
  • Die Interventionsebene.

1. Die Observationsebene

Observationsstudien ziehen eine große Gruppe von Leuten heran, sammeln Daten über sie und versuchen, Dinge zu finden, die miteinander zusammenhängen oder korrelieren.

Zum Beispiel: Korreliert in einer Stichprobe von Leuten ein höherer Konsum des Lebensmittels X positiv mit dem Körpergewicht (Abbildung 1)?

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Bei Observationsstudien verfügt man über die Daten einer Stichprobe (Y Menschen), darunter auch was diese wie häufig konsumieren. Hieraus kann man z.B. eine Korrelation zwischen Körpergewicht und Konsum ableiten. (Bildquelle: ScienceDrivenNutrition.com)

Observationsstudien sind oftmals Querschnittsstudien – das heißt, sie liefern sozusagen Schnappschüsse von Daten zu einem einzelnen Zeitpunkt. Sie können jedoch auch „longitudinal“ ausgerichtet sein, was bedeutet, dass einige Datenpunkte (und somit auch die Probanden) über eine längere Zeit verfolgt werden und Daten zu mehreren Zeitpunkten erhoben werden (Abbildung 2).

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Werden Daten über mehrere Zeitpunkte angesehen, spricht man auch von Längsschnittsstudien. Diese können sowohl retrospektiv als auch prospektiv betrachtet werden – je nachdem, in welche Richtung man sich auf der Zeitachse bewegt. (Bildquelle: ScienceDrivenNutrition.com)

Egal, ob die Daten Querschnitte oder longitudinal sind, ist das Studiendesign bei Observationsstudien jedoch grundsätzlich limitiert, weil: Korrelation ist nicht gleich Kausalität. Das Höchste der Gefühle ist bei Observationsstudien, Korrelationen zu finden und Hypothesen zu eventuellen Mechanismen erst einmal aufzustellen bzw. aufstellen zu können.

Korrelationen können irreführend sein. Völlig zufällige Dinge können gut miteinander korrelieren. Im Beispiel weiter unten kann man eine deutliche Korrelation erkennen, aber es existiert jedoch kein Mechanismus, der Ursache und Wirkung in diesem Falle auch nur ansatzweise erklären könnte (Abbildung 3).

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In dieser Grafik siehst du die Ausgaben der USA für Wissenschaft, Raumfahrt und Technologie (rote Linie) sowie die Häufigkeit der Suizidrate durch Erhängen (schwarze Linie). Beide steigen im Verlauf der Zeit an. Heißt das jetzt also, dass die Ausgaben der USA für Wissenschaft, Raumfahrt und Technologie mit der Suizidrate durch Erhängen korreliert ist? Eher weniger wahrscheinlich. (Bildquelle: ScienceDrivenNutrition.com)

Observationsstudien sind einzelne Schnappschüsse. Sie können rückwärts und manchmal auch vorwärts gerichtet sein. Unabhängig von ihren zeitlichen Charakteristiken sind sie jedoch niemals in der Lage, Kausalitäten und Mechanismen aufzudecken.

2. Die mechanistische Ebene

Mechanistische Studien sind hochkontrollierte Studien, welche designet werden, um aufzudecken, wie genau ein bestimmtes Phänomen funktioniert. Wenn wir beispielsweise beobachten, dass viele Leute abnehmen, die sich Low-Carb ernähren, fragen wir uns:

  • Wie genau funktioniert das?
  • Ist es aufgrund der niedrigeren Insulinlevels?
  • Ist es aufgrund magischer Eigenheiten eines höheren Fettgehalts in der Ernährung?
  • Ist es aufgrund einer magischen Kreatur, die Kohlenhydraten innewohnt und die verhindert, dass wir abnehmen?
  • Oder liegt es vielleicht einfach an den Kalorien?

Solche Studien verwenden meistens Modelle (zum Beispiel Tiermodelle) und erzeugen eher realitätsferne Szenarios, um möglichst jede einzelne Variable zu kontrollieren, das „Hintergrundrauschen“ (engl. „noise“) zu minimieren und den einen spezifischen Mechanismus aufzudecken.

Eine mechanistische Studie könnte so aussehen, dass man das Gen, welches für das Protein (Hormon) Leptin kodiert, in einem Mäusemodell herausnimmt und dann beobachtet, welchen Effekt dies auf den Kohlenhydratstoffwechsel der Skelettmuskulatur hat. Aus solch einem Experiment könnte man fundamentale Dinge über die Rolle von Leptin im Muskelstoffwechsel lernen, aber es hätte auch einige substanzielle Limitationen. Erstens sind Menschen keine Mäuse und zudem sagt es einem nichts über die Abstufung der Leptinlevels und wie diese den Kohlenhydratstoffwechsel beeinflussen. Solch ein Experiment kann lediglich einen binären Effekt untersuchen.

Ein weiteres Beispiel wäre so etwas wie Dr. Kevin Halls aktuelle Studie, in der er Menschen in eine klinische Umgebung und in ein Stoffwechsellabor (engl. „metabolic ward“) brachte und ihre Nahrungszufuhr, die körperliche Aktivität und im Grunde genommen ihr ganzes Leben kontrollierte (Abbildung 4). Die Studie verglich eine Low-Fat Ernährung mit Low-Carb ketogenen Diäten und wollte herausfinden, ob die geringere Insulinreaktion infolge einer Low-Carb Ernährung die Fettoxidation, den Gewichts- oder den Fettverlust erhöhte (mehr Details folgen).

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Bei mechanistischen Studien werden vereinfachte Experimente unter Laborbedingungen durchgeführt. Hierdurch können wertvolle Erkenntnisse über den Mechanismus gewonnen werden, allerdings haben solche Versuche ihre natürlichen Limitationen (z.B. weil es Tierversuche sind oder unter Laborbedingungen stattfinden). (Bildquelle: ScienceDrivenNutrition.com)

3. Die Interventionsebene

Interventionsstudien sind diejenigen, welche in Frage stehende Hypothesen direkt testen, indem sie eine Variable (die sogenannte unabhängige Variable) so gut wie möglich isolieren und dann manipulieren, um einen spezifischen Effekt (auf die sogenannte abhängige Variable) zu erforschen. Eine Interventionsstudie sieht, grob gesagt, so aus: Nimm eine große Gruppe von Menschen, verteile sie zufällig auf Intervention X und Intervention Y und schaue, welche der beiden Gruppen in Sachen Krankheitsrisiko oder Gewichtsverlust besser abschneidet (Abbildung 5).

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Eine Gruppe von Menschen wird auf mehrere (mindestens 2) Interventionen aufgeteilt (z.B. Diät 1 und Diät 1). Untersucht wird ein Effekt auf die unabhängige Variable (z.B. Körpergewicht). (Bildquelle: ScienceDrivenNutrition.com)

Diese Studien können ebenfalls sehr mechanistischer Natur sein, müssen es jedoch nicht. Zudem ist das Primärziel ein anderes als in mechanistischen Studien. Das Ziel dieser Studien ist es meistens, einzuschätzen, ob eine Intervention eine spezifische abhängige Variable (z.B. Gewicht, Herzerkrankungen, Krebsrisiko, etc.) positiv (oder negativ) beeinflusst. Sie sind normalerweise nicht dazu da, zu bestimmen, WIE genau die Wirkung der Intervention/Behandlung funktioniert (z.B. weil der Inhibitor PCSK9i die Degradation des LDL-Rezeptors reduziert).

Auch diese Studien haben Limitationen, beispielsweise werden sie oft (aber nicht immer) an kleinen Stichproben durchgeführ., Störvariablen können oft nicht vollständig kontrolliert werden und die Demografie der Population ist oft eingeschränkt aussagekräftig.

4. Bonus-Stufe – Metaanalysen

Zusätzlich zu diesen drei Ebenen der Evidenz haben wir zudem ein weiteres Werkzeug zur Verfügung, nämlich Metaanalysen (siehe hierzu den Beitrag von Anoop). Eine Metaanalyse ist im Grunde genommen ein Werkzeug, um die gesamte Literatur zu einem Themenbereich zu „synthetisieren“. Formaler ausgedrückt,

„‘Metaanalyse‘ ist ein quantitatives, formales, epidemiologisches Studiendesign, das verwendet wird, um auf systematische Art und Weise vorherige Forschungsstudien miteinzubeziehen, um auf der Basis dieser Literatur Schlussfolgerungen zu ziehen.

Ergebnisse aus Metaanalysen können präzisere Einschätzungen von Behandlungseffekten, Krankheitsrisikofaktoren oder anderen Variablen geben als jede individuelle Studie, die zu dem Pool an miteinbezogener Literatur beigetragen hat. Das Erkennen und Analysieren der Variabilität oder Heterogenität von Studienergebnissen ist ebenfalls eine kritische Ergebnisvariable.

Die Vorteile einer Metaanalyse beinhalten eine verfestigte und quantitative Bewertung einer großen, oftmals komplexen und manchmal auch widersprüchlichen Gesamtheit der Literatur. Die Spezifikation der abhängigen Variable und der zu testenden Hypothese sind kritische Vorgaben, um eine Metaanalyse durchzuführen, ebenso wie eine sensitive Literatursuche. Das Versagen, eine Mehrheit an existierenden Studien zu identifizieren, kann zu fehlerhaften Schlussfolgerungen führen; es gibt jedoch Methoden der Datensuche, um das Potential fehlender Studien zu erkennen; zum Beispiel mithilfe von Funnel Plots.

Rigoros durchgeführte Metaanalysen sind ein nützliches Werkzeug in der evidenzbasierten Medizin. Das Bedürfnis nach der Integration von Ergebnissen vieler Studien versichert die Begehrtheit metaanalytischer Forschung und die große Menge der heutzutage generierten Forschungsliteratur macht die Durchführung dieser Forschungsart möglich.“Haidich, 2010

Bis hierhin war dieser Artikel sehr theoretisch und ziemlich esoterisch. Lass uns diese Prinzipien einmal in der Praxis anwenden, indem wir uns durch eine populäre diätische Intervention durcharbeiten und schauen, was passiert, wenn wir diese auf allen Levels der Evidenz evaluieren.

Fallbeispiel: Low-Carb und ketogene Diäten

Die zugrundeliegende Hypothese Low-Carb und ketogener Diäten

Um wissenschaftlich an eine Fragestellung heranzugehen, braucht man zunächst eine Hypothese. Die zugrundeliegende Hypothese kohlenhydratarmer und ketogener Diäten, nämlich, dass diese eine überlegene Diät für den Fettverlust sei, haben wir bereits an anderer Stelle besprochen (z.B. hier und hier).

Mit diesem Artikel will ich eigentlich herüberbringen, „wie man über Diäten und Fettverlust nachdenken sollte“, weshalb sich vieles hier darum drehen wird, wie man diese Hypothese testen kann. Ich werde im Folgenden also die Hypothese darlegen und dann Schritt für Schritt jede Evidenzebene durcharbeiten.

Die Hypothese Low-Carb und ketogener Diäten lautet: Die Akkumulation von Fettmasse ist das Ergebnis erhöhten Insulinlevels infolge des Kohlenhydratkonsums, welcher den Stoffwechsel in Richtung Fetteinlagerung und weg von der Fettoxidation manövriert.

Gut für uns, dass die Wissenschaft ein Set von Werkzeigen bereithält, die genau dafür da sind, Hypothesen zu testen. Wenn obige Hypothese zuträfe, würden wir folgende Dinge beobachten:

  • Aus Observationsdaten: Hohe prozentuale Kohlenhydratzufuhren hingen mit höheren Körpergewichten oder mehr Körperfett zusammen.
  • Aus mechanistischen Daten: In hochkontrollierten Experimentalstudien sollte die Restriktion von Kohlenhydraten zu mehr Gewichtsverlust führen als die Restriktion von Fett.
  • Aus Interventionsdaten: In gut kontrollierten Experimentalstudien in (ziemlich) freilebenden Menschen sollten kohlenhydratarme Diäten effektiver sein als kohlenhydratreiche Diäten.

Nun, Evidenz existiert auf allen drei Ebenen. Lasst und sie also durchgehen.

Die Observationsdaten zu Low Carb & ketogenen Diäten

Als einfachen Test dieser Hypothese auf der Observationsebene würde man eine große Stichprobe an Menschen nehmen und schauen, ob höhere prozentuale Kohlenhydratzufuhren mit einem höheren Körpergewicht oder Körperfettanteil zusammenhängt. Vereinfacht gesagt: Wenn diese Hypothese korrekt wäre, würden wir in der folgenden Grafik die rote Linie sehen, wenn nicht, würden wir die die blaue Linie sehen.

Wissenschaft und Evidenz in der Praxis: Diäten

Je nachdem, welche Hypothese sich als richtig erweist, würden wir entweder die rote Linie (Hypothese ist korrekt) oder die blaue Linie (Hypothese ist falsch) herausbekommen. (Bildquelle: ScienceDrivenNutrition.com)

Solche Studien wurden bereits in einer großen Bandbreite von Populationen durchgeführt und die Daten sind frei verfügbar (2)(3)(4). Wenn wir uns diese Daten anschauen, sehen wir, dass die blaue Linie in den Ergebnissen dominiert. Daten, welche diese Hypothese unterstützen, sind hingegen ziemlich spärlich.

Die mechanistischen Daten zu Low Carb & ketogenen Diäten

Wollten wir die Hypothese – Kohlenhydrate seien ein Hauptregulator der Fettakkumulation – auf eine mechanistische Art und Weise testen, würden wir hochkontrollierte Experimentalstudien designen, die zeigten, dass die Kohlenhydratrestriktion die Insulinspiegel senkt, die Fettoxidation erhöht und in einem höheren Fettverlust resultiert, als eine Fettrestriktion. Glücklicherweise wurde diese Arbeit bereits erledigt.

Studie 1 (Hall et al, 2015)

Die erste Studie hatte ein Crossover-Design, in dem Menschen 6 Tage lang entweder eine kohlenhydrat- oder fettrestriktierte Ernährung zugeführt bekamen, und zwar nachdem sie jeweils eine fünftätige Baseline-Ernährung hinter sich hatten (5).

Zusammengefasst waren die Ergebnisse, dass die Kohlenhydratrestriktion zu einer erhöhten Fettoxidation und einer verminderten Kohlenhydratoxidation führte; die Gruppe, welche die Fettzufuhr reduzierte, nahm jedoch etwas mehr Fettmasse ab als diejenige Gruppe, welche die Kohlenhydratzufuhr reduzierte (Abbildung 7).

Wissenschaft und Evidenz in der Praxis: Diäten

Grafik A zeigt die Veränderung der Fettbalance, welche in beiden Gruppen einen negativen Trend zeigte. Dies impliziert, das beide Gruppen an Fettmasse während der Intervention verloren haben. RC = Verringerte Kohlenhydratzufuhr, RF = Verringerte Fettzufuhr. Grafik B zeigt jedoch, dass die Gruppe, welche die Fettzufuhr eingeschränkt hat (RF), im Schnitt eine höhere Menge an Körperfett verloren hat, als diejenige, welche die Kohlenhydrate limitierte (RC). (Bildquelle: Hall et al, 2015)

Das andere wichtige Ergebnis der Studie war, dass eine erhöhte Fettsäureoxidation (einer der nachgesagten Vorteile einer ketogenen Diät) zunächst nichts mit einem erhöhten Fettverlust zu tun hat; in der Tat war in dieser Studie sogar eher das Gegenteil der Fall (dies bleibt noch zu erforschen) (Abbildung 8).

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Zwar stieg die Fettoxidation in der RC Gruppe stark an (Grafik G), aber dies ändert nichts an dem Endergebnis der Hall-Studie. Und dies zeigt, dass die RF Gruppe im Schnitt mehr Fettmasse verloren hat (Grafik B aus der oberen Sektion). Zum Vergrößern, bitte hier klicken. (Bildquelle: Hall et al, 2015)

Studie 2 (Hall et al, 2016)

Dies ist eine der am engsten kontrollierten und am besten konzipierten Studien, welche bislang durchgeführt wurden (6). Stoffwechselkammern, DEXA-Scans, doppelt markiertes Wasser, multizentrisch, gut durchgeführte Statistiken… Dies ist der Cadillac der Ernährungsstudien.

Was wurde gemacht?

„Siebzehn übergewichtige oder adipöse Männer wurden Stoffwechselkammern zugeteilt, in denen sie 4 Wochen lang eine kohlenhydratreiche Baseline-Ernährung (BD) konsumierten, gefolgt von 4 Wochen einer isokalorischen ketogenen Diät (KD) bei festgelegtem Eiweißgehalt.“ – Hall et al, 2016

Die Teilnehmer dieser Studie verloren während der 15 Tage der kohlenhydratreichen Baseline-Ernährung ca. 0,8 kg Körpergewicht (0,5 kg davon Körperfett). Die 15 Tage ketogene Ernährung führten zu einem Körpergewichtsverlust von 1,6 kg, wobei nur 0,2 kg davon Körperfett waren und der Rest einem Wasserverlust zugeschrieben werden muss (Abbildung 9).

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Veränderung des Körpergewichts (Grafik A) sowie Veränderung der Fettmasse (Grafik B) im Experimentzeitraum. Erst High-Carb (Baseline Diet, Tag -15-0)) dann ketogen (ab Tag 0). (Bildquelle: Hall et al, 2016)

In dieser Studie verloren die Teilnehmer während der 15 Tage der kohlenhydratreichen Ernährung also ca. einen halben Kilogramm Körperfett, während sie auf der ketogenen Diät nur ca. ein viertel Kilogramm Körperfett verloren. All dies geschah trotz niedrigerer Insulinlevels und einer höheren Anzahl an Ketonkörpern während der ketogenen Phase. Dies weist darauf hin, dass ketogene Diäten keinen metabolen Vorteil für den Gewichtsverlust bieten.

Die Studie zeigte zudem eine sehr schnelle „Adaptation“, während der die Insulinsekretion stark abfiel und die Fettsäure- und Ketonkörperkonzentration sowie die Fettsäureoxidation substanziell anstieg. Diese Daten sind extrem wichtig, da sie EINDEUTIG eine schnelle und robuste Adaptation an eine ketogene Ernährung zeigen.

Wissenschaft und Evidenz in der Praxis: Diäten

Veränderung diverser Parameter während des Experimentzeitraums, darunter Ketonkörperkonzentration (Grafik A) und Anteil freier Fettsäuren (Grafik B). (Bildquelle: Hall et al, 2016)

Mechanistische Daten, welche die Hypothese unterstützen, sind schlichtweg nicht vorhanden.

Die Interventionsdaten zu Low Carb & ketogenen Diäten

Studie 1 (Dansinger et al, 2005)

Die erste Studie, welche wir besprechen werden, heißt: „Comparison of the Atkins, Ornish, Weight Watchers, and Zone diets for weight loss and heart disease risk reduction: a randomized trial” (7).

Im Grunde genommen rekrutierten sie 160 Probanden und teilten ihnen zufällig entweder eine Atkins-Diät (Low-Carb), eine Ornish-Diät (Low-Fat und vegan), eine Weight Watchers Diät (IIFYM der 90er) oder eine Zone-Diät (ausgeglichene Makronährstoffverteilung) zu. Diesen Diäten folgten die Leute ein Jahr lang. Kommen wir also zu den Ergebnissen (Abbildung 11).

Wissenschaft und Evidenz in der Praxis: Diäten

Auswirkungen populärer Diätformen hinsichtlich Gewichtsveränderung (Grafik links) und korrigiert nach Einhaltung der Diätvorgaben (Grafik rechts( (Bildquelle: Dansinger et al, 2005)

In der linken Abbildung sieht man, dass die unterschiedlichen Diäten sehr ähnliche Gewichtsverluste zur Folge hatten. Rechts sieht man, dass die Adhärenz an die Diät den Gewichtverlust in wesentlich größerem Maße bestimmte als die spezifische Diät.

Studie 2 (Alhassan et al, 2007)

Die zweite Studie mit dem Titel „Comparison of the Atkins, Zone, Ornish, and LEARN diets for change in weight and related risk factors among overweight premenopausal women: the A TO Z Weight Loss Study: a randomized trial” hat ein fast identisches Design, mit der Ausnahme, dass die Studienteilnehmer übergewichtige Frauen in der Menopause waren (8).

In dieser Studie rekrutierten sie ca. 76-79 Personen und teilten ihnen zufällig entweder eine Atkins-Diät (Low-Carb), eine Ornish-Diät (Low-Fat und vegan), eine LEARN-Diät (IIFYM der 90er) oder eine Zone-Diät (Ausgeglichene Makronährstoffverteilung) zu (Abbildung 12).

Wissenschaft und Evidenz in der Praxis: Diäten

Gewichtsveränderung nach Diätform. Abgebildet sind jeweils das 1 und das 3 Tertil. (Bildquelle: Alhassan et al, 2007)

Auch diese Studie zeigte, dass jede Diät einen ähnlichen Gewichtsverlust hervorrief und dass es in Sachen Gewichtsverlust keinen signifikanten Unterschied gab. Ebenfalls zeigte sie, dass die Adhärenz in Sachen Gewichtsverlust viel wichtiger war als welcher spezifischen Diät sie folgten.

Studie 3 (Davis et al, 2009)

Die dritte Studie, “Comparative study of the effects of a 1-year dietary intervention of a low-carbohydrate diet versus a low-fat diet on weight and glycemic control in type 2 diabetes”, untersuchte den Effekt von Low-Carb versus Low-Fat bei Menschen mit Typ-2-Diabetes (9).

Die Studie zeigte, das Low-Carb und Low-Fat Diäten praktisch identische Ergebnisse in Sachen HbA1c-, Gewichts- und Blutdruckänderungen. Dies bezeugt, dass, wenn es einen Vorteil von Low-Carb-Diäten gibt, dieser wahrscheinlich sehr klein ist und dass die meisten Gesundheitsvorteile einer Diät bei Typ-2-Diabetikern einfach vom resultierenden Gewichtsverlust bestimmt werden (Abbildung 13).

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Auswirkungen einer kohlenhydratarmen bzw. fettarmen Ernährung bei Typ 2 Diabetikern. (Bildquelle: Davis et al, 2009)

Metaanalysen (Bueno et al, 2013)

Wir könnten ad nauseam weitermachen, Studien aufzuzählen, oder wir könnten einfach ein mächtiges Werkzeug namens Metaanalyse nutzen, um alle Daten zu diesem Bereich zusammenzufassen. Wenn man die interventionsbasierte Forschung, die Low-Carb-/ ketogene Diäten mit Low-Fat-Diäten vergleicht, in einer Metaanalyse integriert, ergibt sich folgendes Bild (Abbildung 14) (10).

Wissenschaft und Evidenz in der Praxis: Diäten

In ihrer Meta-Analyse verglichen Bueno et al die langfristigen Effekte von sehr kohlenhydratarmen Ernährungsformen (VLCKD) sowie fettarmen Ernährungsformen (LFD). (Bildquelle: Bueno et al, 2013)

Das Bild gibt uns drei wichtige Informationen:

  • Die Ergebnisse sind hoch-heterogen
  • über 12 Monate scheint es einen geringfügigen Vorteil von etwa einem Kilogramm der ketogenen Diät gegenüber einer Low-Fat-Diät zu geben, und
  • dies ist unabhängig von der Adhärenz (Einhaltung der Diät-Richtlinien)

Dies lässt einige wichtige Beobachtungen zu. Die Daten der Interventionsstudien ergaben ohne Zweifel, dass die Adhärenz diejenige Variable ist, welche am besten die Überlegenheit einer Diät in Sachen Gewichtverlust erklären kann (über 12 Monate wurde beispielsweise zwischen geringer und hoher Adhärenz ein Unterschied von ca. 7 kg gefunden). Die Überlegenheit einer Low-Carb-Diät beläuft sich auf ca. 1 kg über 12 Monate. Dieser Vergleich zeigt, worum es in der Wahl der Diät eigentlich gehen sollte.

Die kumulativen Daten aus unzähligen Interventionsstudien unterstützten die genannte Hypothese zudem nicht.

Was wissen wir?

Was sagen uns all diese Low-Carb vs. Low-Fat Studien?

Nun, sie sagen uns, dass die Kalorienbilanz wichtiger ist als die spezifische Diät und dass die Adhärenz eine wesentlich entscheidendere Rolle spielt als die Makronährstoffverteilung einer Diät.

Der wichtigste Faktor, den man bei der Wahl einer Diät für sich selbst oder einen Klienten berücksichtigen sollte, ist also die Adhärenz: Kann der-/ diejenige sich langfristig ohne Probleme an Diät X/Y halten? Zudem sollte man beachten, dass Diätmethoden Werkzeuge sind und dass es keine Diät gibt, die für jeden alle Probleme löst, wie dein Schweizer Armeemesser, als du 11 warst.

PS: Dieser Artikel basiert auf einer Vorlesung, die ich im Rahmen der Inland Empire Fitness Conference hielt.

Quellen & Referenzen

(1) Haidich, AB. (2010): Meta-analysis in medical research. In: Hippokratia. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3049418/.

(2) Ma, Y., et al. (2005): Association between Dietary Carbohydrates and Body Weight. In: Am J Epidemiol. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1199523/pdf/nihms2420.pdf.

(3) Trichopoulou, A., et al. (2002): Lipid, protein and carbohydrate intake in relation to body mass index. In: Eur J Clin Nutr. URL: http://www.nature.com/ejcn/journal/v56/n1/full/1601286a.html.

(4) Barrera, D., et al. (2013): Strength of association of dietary factors and physical activity with obesity and body fat in school children in Mexico City. In: FASEB J. URL: http://www.fasebj.org/content/27/1_Supplement/1063.14.short.

(5) Hall, KD., et al. (2015): Calorie for Calorie, Dietary Fat Restriction Results in More Body Fat Loss than Carbohydrate Restriction in People with Obesity. In: Cell Metab. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26278052.

(6) Hall, KD., et al. (2016): Energy expenditure and body composition changes after an isocaloric ketogenic diet in overweight and obese men. In: Am J Clin Nutr. URL: http://ajcn.nutrition.org/content/early/2016/07/05/ajcn.116.133561.full.pdf+html.

(7) Dansinger, ML., et al. (2005): Comparison of the Atkins, Ornish, Weight Watchers, and Zone Diets for Weight Loss and Heart Disease Risk Reduction. A Randomized Trial. In: JAMA. URL: http://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/200094.

(8) Alhassan, S. et al. (2007): Comparison of the Atkins, Zone, Ornish, and LEARN Diets for Change in Weight and Related Risk Factors Among Overweight Premenopausal WomenThe A TO Z Weight Loss Study: A Randomized Trial. In: JAMA. URL: http://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/205916.

(9) Davis, NJ., et al. (2009): Comparative study of the effects of a 1-year dietary intervention of a low-carbohydrate diet versus a low-fat diet on weight and glycemic control in type 2 diabetes. In: Diabetes. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19366978.

(10) Bueno, NB., et al. (2013): Very-low-carbohydrate ketogenic diet v. low-fat diet for long-term weight loss: a meta-analysis of randomised controlled trials. In: Br J Nutr. URL: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23651522.



Bildquelle Titelbild: Fotolia / studiostoks


Über

Brad Dieter (PhD) ist ein ausgebildeter Wissenschaftler, Ernährungscoach und Autor. Er ist der verantwortliche Editor von Science Driven Nutrition und strebt danach die Lücke zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu schließen. Sein Ziel besteht darin Informationen zum Thema Ernährung richtigzustellen und für jedermann leicht verfügbar zu machen.

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